16. April 2010

Aktuelles zum Krieg der Dschihadisten (7): Sterben für Kabul? Wir werden jede Entscheidung bereuen

"Hänge dich auf, du wirst es bereuen; hänge dich nicht auf, beides wird dich gereuen", schrieb Søren Kierkegaard in "Entweder - oder".

Das ist die Situation, in der sich Deutschland in Bezug auf den Einsatz in Afghanistan befindet. Ein Erfolg ist von diesem Einsatz nicht - nicht mehr - zu erwarten. Heraus aus Afghanistan können wir aber auch nicht, jedenfalls vorerst nicht. Die eine Option ist so wenig attraktiv wie die andere.

Es gibt zu Afghanistan zwei realitätsferne, teils auch heuchlerische Positionen. Die eine ist diejenige, die von der Partei "Die Linke" vertreten wird. Sie behauptet, daß ein Abzug aus Afghanistan dem Frieden dienen würde. So erklärte Gregor Gysi laut einer Pressemitteilung der Fraktion "Die Linke" im Bundestag am 5. September 2009 im Bundestag:
Terrorismus kann niemals wirksam mit Krieg bekämpft werden, im Gegenteil. Frieden und demokratische Entwicklung kann man nicht herbeibomben. Nur Gewaltverzicht, Entwicklungszusammenarbeit und Diplomatie eröffnen einen Ausweg aus der afghanischen Sackgasse. Der Abzug der Bundeswehr ist ohne Alternative.
Daß ein "Gewaltverzicht", also der Abzug der ISAF-Truppen, nicht zum Frieden führen würde, weiß natürlich auch Gregor Gysi. Ob es auch der damalige Bischöfin Käßmann klar war, als sie in ihrer Weihnachtspredigt in Hannover ähnlich argumentierte, mag offen bleiben; siehe dazu den Artikel von Herr in ZR (Gedanken zur christlichen Friedensbotschaft, Beobachtungen aus Afghanistan und eine Erinnerung an Luthers Zwei-Reiche-Lehre; ZR vom 1. 1. 2010).

Zweitens ist es realitätsfern, vom deutschen Einsatz in Afghanistan noch das zu erwarten, was eine begründete Hoffnung gewesen sein mag, als man sich für diesen Einsatz entschied: Die Mithilfe beim Aufbau eines freien, demokratischen Afghanistan, wie es der damalige Außenminister Fischer im Dezember 2001 formuliert hatte (siehe Darf die Bundeswehr in Afghanistan die Taliban angreifen?; ZR vom 6. 4. 2010):
Wir werden uns sehr stark engagieren beim Wiederaufbau, im Bildungssystem, bei der Minenräumung. Wir werden uns stark engagieren bei der Frauenförderung.
Heute ist das in den Hintergrund getreten, sofern es überhaupt noch stattfindet. Der Schwerpunkt des Einsatzes der Bundeswehr im Rahmen von ISAF liegt jetzt bei der Ausbildung afghanischer Soldaten für den Kampf gegen die Taliban und Dschihadisten.



Was ist das Ziel dieses Kampfs? Aus der Sicht von Präsident Karsai natürlich die Sicherung seiner Macht. Solange er auf die fortdauernde Unterstützung durch die USA rechnen konnte, war das gleichbedeutend mit dem Aufbau eines (nach dortigen Maßstäben) freien und demokratischen Afghanistan. Nur für dieses Ziel würde, wie im Irak, der Westen auch langfristig die Last eines zu Kriegs tragen bereit sein.

Aber spätestens seit der Rede Präsident Obamas vom 2. Dezember 2009 weiß Karsai, daß die US-Truppen sein Land ab Juli 2011 verlassen werden. Er muß sich also, will er seine Macht erhalten, umorientieren. Ich habe dazu kürzlich die Afghanistan-Kennerin Susanne Koelbl zitiert:
Der Staatschef weiß: Die westlichen Verbündeten wollen ihre Truppen möglichst bald aus seinem Land abziehen. Die fremden Soldaten jedoch garantieren seine Macht. Deshalb muss sich der afghanische Präsident rechtzeitig neue Verbündete suchen - und zwar diejenigen, die auch dann noch da sind, wenn der Westen mit seinen Schutztruppen fort ist.
Nach Lage der Dinge werden das vor allem der Iran und China sein; ein demokratisches Afghanistan wird dann kaum noch das Ziel bilden.

Ein demokratisches Afghanistan war das ursprüngliche Ziel des ISAF-Einsatzes gewesen; also counterinsurgency, die Schaffung von Strukturen, durch die der Terrorismus an der Wurzel bekämpft werden sollte. Als Präsident Obama zum ersten Mal eine neue Strategie für Afghanistan verkündete, im März 2009, war unklar, ob er dies weiterhin wollte, oder aber nur noch ein militärisches Zurückdrängen der Terroristen (counterterrorism); siehe Präsident Obamas verwirrende Strategie für Afghanistan; ZR vom 31. 3. 2009.

Mit der Verkündung des Truppenabzugs ab 2011 hat Präsident Obama die Strategie der counterinsurgency faktisch aufgegeben; auch wenn das nicht offen gesagt wird. Denn es ist ausgeschlossen, innerhalb von jetzt noch eineinviertel Jahren stabile demokratische Strukturen in Afghanistan aufzubauen.

Die neue Strategie, die Obama am 2. Dezember 2009 verkündet hat, ergibt allerdings dann einen Sinn, wenn man ihr Ziel so sieht, wie das George Friedman dargelegt hat (siehe Wie zynisch ist die Afghanistan-Politik von Präsident Obama?; ZR vom 9. 12. 2009): Das militärische Kräfteverhältnis in Afghanistan so zu verändern, daß auch nach dem Abzug der US-Truppen die Taliban nicht siegen können; mit der wahrscheinlichsten Perspektive eines andauernden Bürgerkriegs.



In meinem letzten Artikel zu Afghanistan und in der daran anschließenden Diskussion in Zettels kleinem Zimmer habe ich argumentiert, daß ein solches Ziel es nicht rechtfertigt, weiter deutsche Soldaten in diesem Krieg zu opfern. Insofern war und bin ich für einen Abzug aus Afghanistan.

Aber das ist eben nur die eine Seite des "Hänge dich auf oder nicht". Die andere ist gestern mit dem Anschlag der Taliban deutlich geworden, bei dem vier deutsche Soldaten gefallen sind: Die Taliban setzen gezielt auf die Beeinflussung der öffentlichen Meinung in Deutschland.

Dazu gestern Berthold Kohler in FAZ.Net:
Mit schweren Gegenschlägen von Seiten der Bundeswehr, insbesondere aus der Luft, müssen die Taliban seit dem Bombardement vom Kundus-Fluss kaum noch rechnen; am Karfreitag bat die Truppe im Gefecht vergeblich um Luftunterstützung. Zudem dürfte den Aufständischen die öffentliche Meinung in Deutschland – und der Hebel, den sie darstellt – nicht verborgen geblieben sein. Das alles spricht aus Sicht der Taliban dafür, die Angriffe auf die Bundeswehr zu verstärken. Wie lange wird Deutschland das ertragen und "vereint" hinter seinen Soldaten stehen, wie es ihnen Außenminister Westerwelle zusagte?
Mit anderen Worten: Würde in Deutschland jetzt der Abzug aus Afghanistan beschlossen oder auch nur eine "Exit-Strategie" verkündet werden, dann wäre das ein großer Sieg für die Taliban; nicht nur militärisch, sondern vor allem psychologisch.

Terroristen hätten dann nach den Anschlägen in Madrid am 11. März 2004 zum zweiten Mal bewiesen, daß die Strategie, die öffentliche Meinung in demokratischen Staaten zu beeinflussen, erfolgreich ist. Ihre Rechnung wäre aufgegangen, daß man in Ländern des Westens nur genügend Angst erzeugen muß, um gegen diese siegreich zu sein.

Dieser Strategie können und dürfen wir nicht nachgeben. Insofern bin ich gegen einen Abzug aus Afghanistan. Hänge dich auf, du wirst es bereuen; hänge dich nicht auf, beides wird dich gereuen.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: NSF. Als Werk der US-Regierung in der Public Domain.