Ohne daß dies in der Öffentlichkeit eine größere Diskussion ausgelöst hätte, hat das Umwelt-Bundesamt (UBA) einen bemerkenswerten Vorstoß unternommen: Es schlägt eine "flächendeckende Maut" für PKWs vor. Der Präsident des Amts, Jochen Flasbarth, sagte dazu gegenüber der "Berliner Zeitung": "Die streckenbezogene Maut ist die gerechteste Lösung, weil die Kosten dort bezahlt werden, wo sie entstehen. (...) Die flächendeckende Maut nach Fahrleistung ist aus Sicht des UBA auch ideal, um den Verkehr ökologisch zu steuern."
Flasbarth bezog sich auf eine Studie seines Hauses mit dem Titel "PKW-Maut in Deutschland - Eine umwelt- und verkehrspolitische Bewertung"; sie trägt kein genaues Publikationsdatum außer dem Hinweis "Stand: April 2010". Verfaßt wurde sie von Christoph Erdmenger, Caroline Hoffmann, Kilian Frey, Martin Lambrecht und Wojciech Wlodarski.
Dieser Text ist in dreierlei Hinsicht erstaunlich:
Erstens, weil er zeigt, in welchem Maß sich inzwischen die Umwelt-Bürokratie Kompetenzen anmaßt, die in andere Ressorts gehören. Für Verkehrspolitik ist bekanntlich das Verkehrsministerium zuständig und nicht das Umwelt-Bundesamt, eine nachgeordnete Behörde des Umweltministeriums. Dieses Amt aber nimmt es für sich wie selbstverständlich in Anspruch, die PKW-Maut einer nicht nur umweltbezogenen, sondern auch "verkehrspolitischen Bewertung" zu unterziehen. Die Studie befaßt sich nur zu ungefähr einem Drittel mit Umwelt-Aspekten einer PKW-Maut; ansonsten mit den Themen "Finanzierung" und "Verkehrssteuerung".
Die Umweltbürokratie wuchert, Arm in Arm mit Umweltorganisationen, inzwischen in nahezu alle Bereiche der Gesellschaft hinein (siehe zum Beispiel Deutschland im Öko-Würgegriff (17): Jetzt wird der Gesundheitsbereich erobert; ZR vom 9. 8. 2009). Daß sie auch die Verkehrspolitik, ja die Finanzpolitik des Bundes als ihr Thema ansieht, wundert inzwischen offenbar kaum noch jemanden. Mit Umwelt hat ja irgendwie alles zu tun.
Zweitens zeigt diese Studie eine bemerkenswerte Inkonsistenz. Der Text ist in sich widersprüchlich. Die Empfehlung, die am Ende ausgesprochen wird, steht im Gegensatz zu dem, was zuvor dargelegt wurde.
Drittens läuft das, was empfohlen wird, auf nicht weniger hinaus als eine lückenlose staatliche Überwachung jedes Bürgers, der ein Auto nutzt.
Diese beiden Punkte lohnen eine etwas ausführlichere Befassung.
Untersucht wird, welche Auswirkungen a) eine zeitbezogene Maut (man muß für einen bestimmten Zeitraum eine Vignette erwerben), b) eine fahrleistungsbezogene Maut (Bezahlung nach gefahrenen Kilometern) und c) eine flächenbezogene Maut (City-Maut) hat.
Eine zeitbezogene Maut lehnen die Autoren ab, weil die "Möglichkeiten, damit Umweltentlastungen zu bewirken und den Verkehrsfluss zu lenken", gering seien (S. 7). Zu deutsch: Wer seine Vignette erworben hat, der kann im Zeitraum ihrer Gültigkeit sein Auto so nutzen, wie er selbst das für richtig hält und hat keinen Anreiz, es so zu tun, wie die Umweltbürokraten das gern hätten.
Die City-Maut bejahen die Autoren und machen allerlei Vorschläge zu ihrer Optimierung; ich gehe darauf nicht weiter ein. Interessanter sind ihre Überlegungen zur fahrleistungsbezogenen Maut; also zu einer Ausweitung des bisherigen Mautsystems für LKWs auf alle PKWs.
Die Mindestlösung wäre, daß der Staat alle, die eine Autobahn benutzen wollen, zur Anschaffung eines Kontrollgeräts (On Board Unit, OBU) zwingt, und daß darüber die Maut so abgerechnet wird, wie das bisher schon für LKWs geschieht. Allerdings sehen die Autoren zwei Probleme (S. 8f). Erstens:
Dann wäre es ja auch freilich nichts mit der Überwachung und Kontrolle aller Bürger. Nichts wäre es dann mit dem perfekten Überwachungsstaat, den eine flächendeckende PKW-Maut schaffen würde; mit einer Überwachung auf zwei Ebenen:
Erstens wird jede Fahrt jedes Bürgers lückenlos von der OBU in seinem Auto erfaßt und an einen Zentralrechner gemeldet. Egal, ob man zum Einkaufen fährt, einen Ausflug zum Wochenende macht oder zur Oma verreist - der Staat weiß über jeden Bürger, wo sich sein Auto zu welchem Zeitpunkt befunden hat. Er besitzt für jeden von uns dann das, was bisher im Rahmen von Fahndungen die Polizei mühsam für Verdächtige erstellen mußte: Ein "Bewegungsprofil".
Zweitens muß auch noch die Überwachung überwacht werden; durch die von den Autoren genannten Kontrollen, damit kein Bürger ohne aktiviertes OBU unterwegs ist. Also die ständige und flächendeckende Überprüfungen von Fahrzeugen durch Straßenkontrollen und auf Parkplätzen.
Verstehen Sie das, lieber Leser?
Gegen die Vorratsdatenspeicherung hat es einen Aufschrei der Empörung gegeben, der schließlich zu den vom BVerfG für diese festgesetzten strengen Richtlinien geführt hat.
In diesem damaligen Fall ging es darum, daß der Staat keineswegs einen generellen Zugriff auf die Verbindungsdaten hat, sondern daß diese lediglich beim Provider gespeichert werden müssen, damit sie gegebenfalls im Rahmen einer Strafverfolgung verwendet werden können.
Die flächendeckende PKW-Maut mit ihrer lückenlosen Überwachung aller Bürger durch den Staat würde diese Vorratsdatenspeicherung (auch in der Form, in der sie vor der Entscheidung des BVerfG existierte) als eine liberale Idylle erscheinen lassen.
Aber seltsam - kein Aufschrei der Empörung. Noch nicht einmal ein leises Stöhnen.
Flasbarth bezog sich auf eine Studie seines Hauses mit dem Titel "PKW-Maut in Deutschland - Eine umwelt- und verkehrspolitische Bewertung"; sie trägt kein genaues Publikationsdatum außer dem Hinweis "Stand: April 2010". Verfaßt wurde sie von Christoph Erdmenger, Caroline Hoffmann, Kilian Frey, Martin Lambrecht und Wojciech Wlodarski.
Dieser Text ist in dreierlei Hinsicht erstaunlich:
Erstens, weil er zeigt, in welchem Maß sich inzwischen die Umwelt-Bürokratie Kompetenzen anmaßt, die in andere Ressorts gehören. Für Verkehrspolitik ist bekanntlich das Verkehrsministerium zuständig und nicht das Umwelt-Bundesamt, eine nachgeordnete Behörde des Umweltministeriums. Dieses Amt aber nimmt es für sich wie selbstverständlich in Anspruch, die PKW-Maut einer nicht nur umweltbezogenen, sondern auch "verkehrspolitischen Bewertung" zu unterziehen. Die Studie befaßt sich nur zu ungefähr einem Drittel mit Umwelt-Aspekten einer PKW-Maut; ansonsten mit den Themen "Finanzierung" und "Verkehrssteuerung".
Die Umweltbürokratie wuchert, Arm in Arm mit Umweltorganisationen, inzwischen in nahezu alle Bereiche der Gesellschaft hinein (siehe zum Beispiel Deutschland im Öko-Würgegriff (17): Jetzt wird der Gesundheitsbereich erobert; ZR vom 9. 8. 2009). Daß sie auch die Verkehrspolitik, ja die Finanzpolitik des Bundes als ihr Thema ansieht, wundert inzwischen offenbar kaum noch jemanden. Mit Umwelt hat ja irgendwie alles zu tun.
Zweitens zeigt diese Studie eine bemerkenswerte Inkonsistenz. Der Text ist in sich widersprüchlich. Die Empfehlung, die am Ende ausgesprochen wird, steht im Gegensatz zu dem, was zuvor dargelegt wurde.
Drittens läuft das, was empfohlen wird, auf nicht weniger hinaus als eine lückenlose staatliche Überwachung jedes Bürgers, der ein Auto nutzt.
Diese beiden Punkte lohnen eine etwas ausführlichere Befassung.
Untersucht wird, welche Auswirkungen a) eine zeitbezogene Maut (man muß für einen bestimmten Zeitraum eine Vignette erwerben), b) eine fahrleistungsbezogene Maut (Bezahlung nach gefahrenen Kilometern) und c) eine flächenbezogene Maut (City-Maut) hat.
Eine zeitbezogene Maut lehnen die Autoren ab, weil die "Möglichkeiten, damit Umweltentlastungen zu bewirken und den Verkehrsfluss zu lenken", gering seien (S. 7). Zu deutsch: Wer seine Vignette erworben hat, der kann im Zeitraum ihrer Gültigkeit sein Auto so nutzen, wie er selbst das für richtig hält und hat keinen Anreiz, es so zu tun, wie die Umweltbürokraten das gern hätten.
Die City-Maut bejahen die Autoren und machen allerlei Vorschläge zu ihrer Optimierung; ich gehe darauf nicht weiter ein. Interessanter sind ihre Überlegungen zur fahrleistungsbezogenen Maut; also zu einer Ausweitung des bisherigen Mautsystems für LKWs auf alle PKWs.
Die Mindestlösung wäre, daß der Staat alle, die eine Autobahn benutzen wollen, zur Anschaffung eines Kontrollgeräts (On Board Unit, OBU) zwingt, und daß darüber die Maut so abgerechnet wird, wie das bisher schon für LKWs geschieht. Allerdings sehen die Autoren zwei Probleme (S. 8f). Erstens:
Die technischen Herausforderungen einer Ausweitung des Lkw-Mautsystems auf Pkw sind allerdings sehr hoch. So kämen zu der einen Million zu erfassenden Lkw rund 45 Millionen Pkw hinzu. Unklar ist, wie der Aufwand für die Installation eines Pkw-Mautsystems und die laufenden Kosten für Erhebung, Erfassung und Kontrolle im Verhältnis zu den Einnahmen aus der Maut stünden.Nun, das alles könnte man ja auf die Autofahrer umlegen. Aber zweitens gibt es ein generelles Problem: Wenn die Maut nur für Autobahnen erhoben wird, dann weichen viele Fahrer auf andere Strecken aus:
Hier müsste beim Auftreten der Ausweichverkehre entweder für die Ausweichstrecke ebenfalls eine Maut erhoben werden, wie heute schon teilweise bei der Lkw-Maut praktiziert. Oder die Ausweichstrecke müsste mit baulichen Veränderungen und Einschränkungen für den Verkehr so unattraktiv gestaltet werden, dass Ausweichverkehre unterbleiben.Also ein gigantischer Überwachungsapparat, der jede Fahrbewegung in Deutschland erfaßt. Aber wie will man verhindern, daß jemand ohne OBU auf einer deutschen Straße fährt oder das Gerät abschaltet? Die Studie auf Seite 9:
Das Problem der Ausweichverkehre tritt nicht auf, wenn die Pkw-Maut für das gesamte deutsche Straßennetz erhoben würde.
Zur Überwachung sind beispielsweise mobile Kontrollen während der Fahrt sowie Standkontrollen auf Parkplätzen notwendig. Hier wäre der Überwachungsaufwand wegen der wesentlich größeren Zahl der zu kontrollierenden Verkehrsteilnehmer deutlich höher als bei der Lkw-Maut.Vor dieser Vision schrecken offenbar selbst unsere Autoren zurück, und so verfallen sie auf Seite 10 auf einen verblüffenden Gedanken:
Eine nutzergerechte Finanzierung wäre auch kostengünstig mit einer Abgabe auf den Kraftstoffverbrauch erreichbar, zum Beispiel als Zuschlag der Wegekosten auf die Energiesteuer auf Treibstoffe ("Mineralölsteuer"). (...) Der Verkehr ließe sich auch mit – bereits bewährten – verkehrsplanerischen und verkehrsregulierenden Maßnahmen steuern. (...) Eine Erhöhung der Kraftstoffbesteuerung – möglichst EU-weit – böte die kostengünstigste und einfachste Möglichkeit, Kosten des Straßenverkehrs nutzergerecht anzulasten.Also alles klar? Keineswegs. Nachdem sie nämlich diese Folgerung gezogen haben, schlagen die Autoren einen Salto rückwärts und schreiben als das Fazit ihrer Studie auf Seite 15:
Das Umweltbundesamt hält vor diesem Hintergrund die Einführung einer fahrleistungsbezogenen Pkw-Maut auf dem gesamten deutschen Straßennetz für das zielführendste der diskutierten Maut-Modelle.Daß, wie sie zuvor selbst dargelegt hatten, gar kein Mautmodell erforderlich ist, weil es auch eine Erhöhung der Mineralölsteuer plus Verkehrssteuerung wie bisher tun würde, taucht jetzt nicht mehr auf.
Dann wäre es ja auch freilich nichts mit der Überwachung und Kontrolle aller Bürger. Nichts wäre es dann mit dem perfekten Überwachungsstaat, den eine flächendeckende PKW-Maut schaffen würde; mit einer Überwachung auf zwei Ebenen:
Erstens wird jede Fahrt jedes Bürgers lückenlos von der OBU in seinem Auto erfaßt und an einen Zentralrechner gemeldet. Egal, ob man zum Einkaufen fährt, einen Ausflug zum Wochenende macht oder zur Oma verreist - der Staat weiß über jeden Bürger, wo sich sein Auto zu welchem Zeitpunkt befunden hat. Er besitzt für jeden von uns dann das, was bisher im Rahmen von Fahndungen die Polizei mühsam für Verdächtige erstellen mußte: Ein "Bewegungsprofil".
Zweitens muß auch noch die Überwachung überwacht werden; durch die von den Autoren genannten Kontrollen, damit kein Bürger ohne aktiviertes OBU unterwegs ist. Also die ständige und flächendeckende Überprüfungen von Fahrzeugen durch Straßenkontrollen und auf Parkplätzen.
Verstehen Sie das, lieber Leser?
Gegen die Vorratsdatenspeicherung hat es einen Aufschrei der Empörung gegeben, der schließlich zu den vom BVerfG für diese festgesetzten strengen Richtlinien geführt hat.
In diesem damaligen Fall ging es darum, daß der Staat keineswegs einen generellen Zugriff auf die Verbindungsdaten hat, sondern daß diese lediglich beim Provider gespeichert werden müssen, damit sie gegebenfalls im Rahmen einer Strafverfolgung verwendet werden können.
Die flächendeckende PKW-Maut mit ihrer lückenlosen Überwachung aller Bürger durch den Staat würde diese Vorratsdatenspeicherung (auch in der Form, in der sie vor der Entscheidung des BVerfG existierte) als eine liberale Idylle erscheinen lassen.
Aber seltsam - kein Aufschrei der Empörung. Noch nicht einmal ein leises Stöhnen.
Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen bisherigen Folgen dieser Serie findet man hier. Titelvignette: Schiffe sinken im Sturm. Gemälde von Ludolf Backhuysen (ca 1630). In der Public Domain, da das Copyright erloschen ist (Ausschnitt). - Ich möchte auf den gestrigen Artikel von Jan Filter aufmerksam machen, der zu einer ähnlichen Bewertung kommt wie ich.