19. April 2010

Anmerkungen zur Sprache (9): Eine Türkin als deutsche Ministerin?

Bei der heute bekanntgegebenen Umbildung seiner Regierung hat der niedersächsische Ministerpräsident Wulff die CDU-Politikerin Aygül Özkan in sein Kabinett geholt. Sie wird Chefin des Sozialministeriums, das um die Zuständigkeit für Integration erweitert wurde.

Eine erfreuliche Nachricht. Nicht nur, weil die Juristin Özkan, die innerhalb von sechs Jahren in der Hamburger CDU eine steile Karriere gemacht hat, offenbar ein politisches Talent ist. Sondern auch deshalb, weil sie türkischer Herkunft ist; ein Beispiel also für gelungene Assimilation und damit ein Vorbild für andere Deutsche, deren Vorfahren aus der Türkei eingewandert sind.

Nur nennen wir sie seltsamerweise nicht so, die Deutschen mit türkischen Vorfahren. Sondern sie werden in der Regel - auch in der verlinkten Meldung - "Deutsch-Türken" genannt.



Die deutsche Sprache ist in solchen Dingen sehr genau. Ein zusammengesetztes Nomen hat eine Kernbedeutung, die durch einen Zusatz oder Zusätze präzisiert oder modifiziert wird. Ein Knopfloch zum Beispiel ist ein Loch, aber ein spezielles, nämlich das für einen Knopf. Der Holzlöffel ist ein Löffel, und zwar einer, der aus Holz gefertigt wurde. Ein Deutschamerikaner ist ein Amerikaner, aber einer mit deutschen Vorfahren; so, wie ein Frankokanadier ein Kanadier ist, dessen Vorfahren aus Frankreich kamen.

Ein Amerikaner mit deutschen Vorfahren ist aber kein Amerikadeutscher, und ein Kanadier französischer Herkunft kein Kanadafranzose; so wenig, wie ein Loch für einen Knopf ein Lochknopf ist und ein Löffel aus Holz ein Löffelholz. Das Nomen wird durch das Präfix ergänzt, nicht umgekehrt. Gerade bei Doppelwörtern, die aus zwei Bezeichnungen für Nationalitäten gebildet werden, ist dieser Unterschied konstitutiv für die Bedeutung. Ein Afroamerikaner ist, um ein weiteres Beispiel zu nennen, kein Afrikaner, sondern ein Amerikaner mit Vorfahren aus Afrika.

Das Präfix muß sich allerdings nicht unbedingt auf die Herkunft beziehen. Eine zweite Möglichkeit, wie es in solchen Wörtern die Bedeutung des Nomens modifiziert, besteht in der Angabe des Wohnsitzes. Rußlanddeutsche lebten über Generationen im zaristischen Rußland und dann in der Sowjetunion, hatten aber weiter - in ihren Paß eingetragen - die deutsche Nationalität. Als Algerienfranzosen bezeichnete man ganz analog vor der Unabhängigkeit Franzosen, die in Algerien lebten.



Folgt man diesen Regeln des Deutschen, dann ist ein Deutschtürke ein Türke, der entweder deutsche Vorfahren hat (wie der Deutschamerikaner) oder der in Deutschland lebt, aber weiter Türke ist (so, wie der Algerienfranzose ein Franzose blieb).

Das erstere ist natürlich nicht gemeint. Also das zweite? Es scheint in der Tat so, als solle mit der Bezeichung "Deutschtürke" zum Ausdruck gebracht werden, daß es sich eben nicht um Deutsche handelt, sondern um Türken, die lediglich in Deutschland leben.

Will man das nicht ausdrücken, dann sollte man auch nicht diese Bezeichnung verwenden. Sprachlich korrekt wäre es, Deutsche mit türkischen Vorfahren als Türkendeutsche oder Türkodeutsche zu bezeichnen. So, wie Frank Sinatra und Dean Martin Italoamerikaner waren, und wie Henry Kissinger ein Deutschamerikaner ist und kein Amerikadeutscher.

Nicht wahr, Sie empfänden es als absurd und anmaßend, wenn wir Kissinger, den früheren amerikanischen Minister, einen Amerika-Deutschen nennen würden? Aber ist es dann nicht ebenso absurd, die frisch ernannte deutsche Ministerin Aygül Özkan eine Deutsch-Türkin zu nennen?



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Johann Gottfried Herder. Gemälde von Johann Ludwig Strecker (1775). In der Public Domain, da das Copyright erloschen ist. Links zu allen Folgen dieser Serie findet man hier.