15. April 2010

Marginalie: Warum leistet Frau Kartika Sari Dewi Shukarno gemeinnützige Arbeit? Und warum wurde sie nicht ausgepeitscht? Scharia in Malaysia

Kartika Sari Dewi Shukarno, 33 Jahre, von Beruf Model, ist eine Bürgerin Malaysias. Sie wurde dazu verurteilt, drei Wochen lang gemeinnützige Arbeit in einer Einrichtung der Kinderhilfe zu verrichten. Hier können Sie ein Foto von ihr sehen, zusammen mit ihrem Vater.

An sich ist das keine Meldung; jedenfalls nicht außerhalb von Malaysia. Aber der Fall weist einige Besonderheiten auf.

Zum einen war Kartika Shukarno ursprünglich nicht zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden, sondern zu sechs Schlägen mit dem Rohrstock. Ja, sechs Schlägen mit dem Rohrstock. Caning heißt das auf Englisch.

Wer sich für die Einzelheiten der Exekution dieser Strafe interessiert, der findet sie in dem Wikipedia-Artikel Caning in Malaysia. Man erfährt dort unter anderem, daß es für unterschiedliche Verbrechen zwei verschiedene Arten von Rohrstöcken gibt, daß ein Arzt die Auspeitschung überwacht und daß - so human geht es in Malaysia zu - diese unterbrochen wird, wenn der Delinquent das Bewußtsein verliert.

Auch ist man gesundheitsbewußt. Ist der Delinquent HIV-infiziert, dann wird der Rohrstock nach der Benutzung verbrannt, so schreibt es das Gesetz vor.

In der Regel wird diese Strafe nur gegen Männer verhängt. Aber es gab auch vor der Verurteilung von Kartika Sari Dewi Shukarno schon Ausnahmen; drei Frauen, die wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs verurteilt worden waren, wurden am 9. Februar dieses Jahres ausgepeitscht.



Warum wurde die Strafe durch den Sultan von Pahang in gemeinnützige Arbeit umgewandelt? Weil Frau Shukarno darauf bestanden hatte, daß ihre Auspeitschung öffentlich vollzogen werden würde. (Normalerweise geschieht das nichtöffentlich in einem Gefängnis). Der Fall beschäftigte dadurch die Öffentlichkeit Malaysias. Es gab Proteste auch über das Land hinaus.

Und was war nun das Verbrechen von Frau Shukarno gewesen? Sie war im August 2008 von Singapur nach Malaysia zurückgekehrt und hatte in einem Hotel übernachtet, wo sie auch zu Abend aß. Dazu hatte sie sich ein Glas Bier bestellt.

Als sie das Glas an die Lippen setzte, wurde sie von Religionspolizei festgenommen. Der Genuß von Alkohol ist Moslems bekanntlich verboten, und im im malaysischen Bundesland Panang stehen darauf sechs Stockhiebe.



Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Nachdem der Sultan von Panang als oberste religiöse Behörde die Strafe umgewandelt hatte, meldete sich am Freitag vorvergangener Woche die Vereinigung moslemischer Rechtsanwälte von Malaysia (PPMM) zu Wort und protestierte. Gegenüber der Presse äußerte sich deren Generalsekretär Abdul Halim Bahari
"PPMM is concerned that royal decree does not have the legitimacy before the law because even though the Sultan is the head of the state's religion, he must defend Islamic laws and strengthen (the) institution of Islamic courts. The rights and power as the head of the state’s religion must be conducted according to the canon of the law," Abdul Halim said.

He added that Islamic interpretation for the punishment of alcohol consumption was definite and not open to interpretation. PPMM also questioned the reasons provided for not proceeding with Kartika’s sentence.

"PPMM is curious why the sentence was commuted based humanitarian factor when the punishment itself is very light and has its own philosophy. Syariah caning is different from civil caning which injures and tortures offenders. Syariah caning is more like a father educating his son," he added.

"Die PPMM ist besorgt, daß der königliche Erlaß nicht rechtens ist, denn der Sultan ist zwar das religiöse Oberhaupt des Staats, aber er muß die islamischen Gesetze verteidigen und die Einrichtungen der islamischen Gerichte stärken. Die Rechte und die Macht als Staatsoberhaupt müssen nach den Bestimmungen des Rechts ausgeübt werden", sagte Abdul Halim.

Er fügte hinzu, daß die islamische Interpretation für die Bestrafung des Genusses von Alkohol eindeutig und keiner Interpretation zugänglich sei. Die PPMM bezweifelt auch die Gründe dafür, daß die gegen Kartika verhängte Strafe nicht ausgeführt wurde.

"Die PMM wüßte gern, warum das Urteil aufgrund humanitärer Faktoren umgewandelt wurde, obwohl die Strafe selbst sehr leicht ist und ihre eigene Philosophie hat. Das Auspeitschen gemäß der Scharia unterscheidet sich vom zivilen Auspeitschen, das die Täter verletzt und foltert. Das Auspeitschen nach der Scharia ist eher so, wie wenn ein Vater seinen Sohn erzieht", fügte er hinzu.
Man sieht wieder einmal, wie rechtsstaatlich es dort zugeht, wo die Scharia gilt.

Auf den Fall aufmerksam geworden bin ich durch die aktuelle Kolumne von Delfeil de Ton im Nouvel Observateur; ein Autor, der sich immer wieder mit den Menschenrechten befaßt. Siehe zu ihm Der Fall Nguyen Van Ly; ZR vom 11. 4. 2007.



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