Vierzig Jahre lang war der westliche Nachbar Polens nicht Deutschland, sondern die DDR. Das bedeutete gegenseitige Abneigung. Denn im real existierenden Sozialismus hatten beide Staaten den halbkolonialen Status von Mitgliedern des Warschauer Pakts und des Comecon.
Sie standen damit in Konkurrenz um die Gunst des Kolonialherren UdSSR. Man neidete einander den jeweiligen Vorteil, der dem anderen gewährt wurde. Den Polen ließ Moskau mehr Freiheit als den Ostdeutschen; diesen erlaubte es, indem man das wirtschaftliche Sonderverhältnis zu Bonn genehmigte, einen höheren Lebensstandard als den Polen.
Hinzu kam die von der DDR ihren Bürgern verordnete unechte und aufgesetzte Brüderlichkeit. In der Bundesrepublik konnte man über die Oder-Neiße-Grenze diskutieren; in der DDR hatte man sie als "Friedensgrenze" zu preisen. Während man in der Bonner Republik wenigstens in Ansätzen die gemeinsame Aufarbeitung der schwierigen deutsch-polnischen Vergangenheit in Angriff nahm, wurde in der DDR dieses Verhältnis auf Hitlers Überfall 1939 reduziert; verschwiegen wurde selbstredend, daß das ebenso Stalins Überfall gewesen war.
Bis 1990 bestand dadurch die paradoxe Situation, daß es einen deutsch-polnischen Dialog - bescheiden genug, wie er war - nur sozusagen über die Köpfe der deutschen Nachbarn Polens hinweg gab. Seit 1972 bemühte sich eine deutsch-polnische Schulbuchkommission um die Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte; aber das "deutsch" darin stand eben nicht für Polens deutsche Nachbarn, sondern für die Bundesrepublik.
Diese Bundesrepublik war, wie konnte es anders sein, nach Westen hin orientiert. Folglich war ihr die Aussöhnung nicht mit Polen, sondern mit Frankreich ein vorrangiges Anliegen. Der Rheinländer Konrad Adenauer wollte ein katholisches Westeuropa mit den drei Kernländern Deutschland, Frankreich und Italien; ein neues Karolingerreich. Für das "heidnische" Preußen fehlte ihm das Verständnis. Den Polen, ihr Land noch hinter Preußen gelegen, half es in seinen Augen wenig, daß sie katholisch waren.
Das Verhältnis Deutschlands zu seinen beiden problematischsten Nachbarn, Frankreich und Polen, war und blieb nicht nur dadurch grundverschieden.
Mit Frankreich hatte es das gegeben, was bis 1945 von vielen Menschen in beiden Ländern als eine "Erbfeindschaft" begriffen worden war. Eine Feindschaft zwischen Gleichen, in deren Verlauf einmal die eine und einmal die andere Seite die stärkere gewesen war; Frankreich seit der Zeit der Reunionskriege und bis zu Bonaparte, Deutschland dann nach dem Krieg von 1870/71.
Da gab es viel Haß; aber es gab in diesem ambivalenten Verhältnis auch viel gegenseitigen Respekt. In Deutschland bewunderte man die französische Rationalität und Gewandtheit, in Frankreich die Tiefe und Gründlichkeit der Deutschen. Voilà un homme! soll Bonaparte gesagt, haben, nachdem er am 2. Oktober 1808 Goethe in Erfurt kennengelernt hatte; "Was für ein Mann!" oder auch: "Welch ein Mensch!".
Ganz anders war das Verhältnis zu Polen.
Gewiß, auch Polen war einmal eine Großmacht gewesen. Noch bis 1657 unterstand das Herzogtum Preußen polnischer Oberhoheit. Mit Rücksicht auf Polen konnte sich der erste preußische König, Friedrich I., nicht "König von Preußen" nennen, sondern nur "König in Preußen".
Aber das lag doch lange zurück. Vom letzten Drittel des 18. Jahrhundert an war Polen ein kleines Land, von seinen östlichen und westlichen Nachbarn bedroht, 1795 schließlich zwischen Preußen und Rußland aufgeteilt. Viele Polen wanderten im Jahrhundert danach aus; in die USA, aber auch nach Deutschland, vor allem in das Ruhrgebiet, wo Bergarbeiter gesucht wurden.
Das prägte das Polenbild in Deutschland. Daß Polen ein großes Kulturland ist; daß es die nach der Verfassung der USA zweitälteste Verfassung der Welt hatte, spielte für das Polenbild der Deutschen kaum eine Rolle. Polen, das war das Land, aus dem die Dienstmädchen und die Kumpel kamen.
Die herabwürdigende Sicht der Nazis auf das "slawische Untermenschentum" fiel auf fruchtbaren Boden. "Polnische Wirtschaft" war ein Schlagwort für Ineffizienz. Gerade auch in der DDR, die sich für ihre Unterlegenheit gegenüber der Bundesrepublik dadurch entschädigte, daß man sich den Polen überlegen fühlte.
Ein weiterer und entscheidender Unterschied zum deutsch-französischen Verhältnis war und ist, daß die gegenseitigen Verletzungen im zwanzigsten Jahrhundert ungleich größer gewesen waren.
Das Nazi-Reich hatte, sieht man von der Verfolgung der Juden ab, in Frankreich ein vergleichsweise mildes Besatzungsregime errichtet. Umso barbarischer hauste man in Polen.
Auf der anderen Seite waren Millionen Deutsche Opfer der Vertreibungen. Diese gingen nicht von Polen aus, das Stalin, unter Billigung durch die Westmächte, "nach Westen verschoben" hatte, und das insofern selbst ein Opfer war. Aber es waren eben doch die fortan polnischen Gebiete, aus denen die Deutschen vertrieben worden waren. Unter tätiger Mitwirkung von Polen, vor allem von polnischen Kommunisten.
Größte Verletzungen also auf beiden Seiten. Es gab und gibt die unbedingte Notwendigkeit einer Aufarbeitung, die schwieriger sein wird als die des Verhältnisses zu Frankreich. Die DDR hatte das nicht gewollt, und die alte Bundesrepublik hatte es nicht gekonnt. Das Deutschland nach der Wiedervereinigung hat es weitgehend versäumt.
Es blieb bei den Vorurteilen über Polen. In der "Tageszeitung" (taz) war beispielsweise über Staatspräsident Lech Kaczyński am 26. Juni 2006 dies zu lesen:
Wäre es ein liberaler oder gar ein konservativer Autor gewesen, der so etwas zu Papier brachte, dann wäre die Karriere dieses Mannes damit beendet gewesen. Hätte eine konservative oder liberale Zeitung so etwas über einen linken Staatspräsidenten gedruckt, dann hätte es eine allgemeine Empörung ausgelöst.
Hätte sich jemand gegen den Staatspräsidenten Frankreichs derart infam geäußert, dann hätte man es ihm sogar in einem linken Blatt verübelt. Aber es war ja nur Polen. Es war ja nur der aufrechte Antikommunist Lech Kaczyński.
Die deutsche Arroganz gegenüber Polen ist nicht verschwunden. Sie hat sich nur, die Haltung in der DDR aufnehmend, von der Rechten auf die Linke verlagert.
Sie standen damit in Konkurrenz um die Gunst des Kolonialherren UdSSR. Man neidete einander den jeweiligen Vorteil, der dem anderen gewährt wurde. Den Polen ließ Moskau mehr Freiheit als den Ostdeutschen; diesen erlaubte es, indem man das wirtschaftliche Sonderverhältnis zu Bonn genehmigte, einen höheren Lebensstandard als den Polen.
Hinzu kam die von der DDR ihren Bürgern verordnete unechte und aufgesetzte Brüderlichkeit. In der Bundesrepublik konnte man über die Oder-Neiße-Grenze diskutieren; in der DDR hatte man sie als "Friedensgrenze" zu preisen. Während man in der Bonner Republik wenigstens in Ansätzen die gemeinsame Aufarbeitung der schwierigen deutsch-polnischen Vergangenheit in Angriff nahm, wurde in der DDR dieses Verhältnis auf Hitlers Überfall 1939 reduziert; verschwiegen wurde selbstredend, daß das ebenso Stalins Überfall gewesen war.
Bis 1990 bestand dadurch die paradoxe Situation, daß es einen deutsch-polnischen Dialog - bescheiden genug, wie er war - nur sozusagen über die Köpfe der deutschen Nachbarn Polens hinweg gab. Seit 1972 bemühte sich eine deutsch-polnische Schulbuchkommission um die Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte; aber das "deutsch" darin stand eben nicht für Polens deutsche Nachbarn, sondern für die Bundesrepublik.
Diese Bundesrepublik war, wie konnte es anders sein, nach Westen hin orientiert. Folglich war ihr die Aussöhnung nicht mit Polen, sondern mit Frankreich ein vorrangiges Anliegen. Der Rheinländer Konrad Adenauer wollte ein katholisches Westeuropa mit den drei Kernländern Deutschland, Frankreich und Italien; ein neues Karolingerreich. Für das "heidnische" Preußen fehlte ihm das Verständnis. Den Polen, ihr Land noch hinter Preußen gelegen, half es in seinen Augen wenig, daß sie katholisch waren.
Das Verhältnis Deutschlands zu seinen beiden problematischsten Nachbarn, Frankreich und Polen, war und blieb nicht nur dadurch grundverschieden.
Mit Frankreich hatte es das gegeben, was bis 1945 von vielen Menschen in beiden Ländern als eine "Erbfeindschaft" begriffen worden war. Eine Feindschaft zwischen Gleichen, in deren Verlauf einmal die eine und einmal die andere Seite die stärkere gewesen war; Frankreich seit der Zeit der Reunionskriege und bis zu Bonaparte, Deutschland dann nach dem Krieg von 1870/71.
Da gab es viel Haß; aber es gab in diesem ambivalenten Verhältnis auch viel gegenseitigen Respekt. In Deutschland bewunderte man die französische Rationalität und Gewandtheit, in Frankreich die Tiefe und Gründlichkeit der Deutschen. Voilà un homme! soll Bonaparte gesagt, haben, nachdem er am 2. Oktober 1808 Goethe in Erfurt kennengelernt hatte; "Was für ein Mann!" oder auch: "Welch ein Mensch!".
Ganz anders war das Verhältnis zu Polen.
Gewiß, auch Polen war einmal eine Großmacht gewesen. Noch bis 1657 unterstand das Herzogtum Preußen polnischer Oberhoheit. Mit Rücksicht auf Polen konnte sich der erste preußische König, Friedrich I., nicht "König von Preußen" nennen, sondern nur "König in Preußen".
Aber das lag doch lange zurück. Vom letzten Drittel des 18. Jahrhundert an war Polen ein kleines Land, von seinen östlichen und westlichen Nachbarn bedroht, 1795 schließlich zwischen Preußen und Rußland aufgeteilt. Viele Polen wanderten im Jahrhundert danach aus; in die USA, aber auch nach Deutschland, vor allem in das Ruhrgebiet, wo Bergarbeiter gesucht wurden.
Das prägte das Polenbild in Deutschland. Daß Polen ein großes Kulturland ist; daß es die nach der Verfassung der USA zweitälteste Verfassung der Welt hatte, spielte für das Polenbild der Deutschen kaum eine Rolle. Polen, das war das Land, aus dem die Dienstmädchen und die Kumpel kamen.
Die herabwürdigende Sicht der Nazis auf das "slawische Untermenschentum" fiel auf fruchtbaren Boden. "Polnische Wirtschaft" war ein Schlagwort für Ineffizienz. Gerade auch in der DDR, die sich für ihre Unterlegenheit gegenüber der Bundesrepublik dadurch entschädigte, daß man sich den Polen überlegen fühlte.
Ein weiterer und entscheidender Unterschied zum deutsch-französischen Verhältnis war und ist, daß die gegenseitigen Verletzungen im zwanzigsten Jahrhundert ungleich größer gewesen waren.
Das Nazi-Reich hatte, sieht man von der Verfolgung der Juden ab, in Frankreich ein vergleichsweise mildes Besatzungsregime errichtet. Umso barbarischer hauste man in Polen.
Auf der anderen Seite waren Millionen Deutsche Opfer der Vertreibungen. Diese gingen nicht von Polen aus, das Stalin, unter Billigung durch die Westmächte, "nach Westen verschoben" hatte, und das insofern selbst ein Opfer war. Aber es waren eben doch die fortan polnischen Gebiete, aus denen die Deutschen vertrieben worden waren. Unter tätiger Mitwirkung von Polen, vor allem von polnischen Kommunisten.
Größte Verletzungen also auf beiden Seiten. Es gab und gibt die unbedingte Notwendigkeit einer Aufarbeitung, die schwieriger sein wird als die des Verhältnisses zu Frankreich. Die DDR hatte das nicht gewollt, und die alte Bundesrepublik hatte es nicht gekonnt. Das Deutschland nach der Wiedervereinigung hat es weitgehend versäumt.
Es blieb bei den Vorurteilen über Polen. In der "Tageszeitung" (taz) war beispielsweise über Staatspräsident Lech Kaczyński am 26. Juni 2006 dies zu lesen:
Oft genug hatte der ranghöchste Pole ausposaunt, er kenne von Deutschland nicht mehr als den Spucknapf in der Herrentoilette des Frankfurter Flughafens. Es war bekannt, dass der 1949 geborene Kaczynski jene schwere Generation vertritt, die bereits vor ihrer Geburt von Deutschland gebissen worden war. Man war sich im Klaren über Kaczynskis schwarzes Weltbild, in dem seit dem Mittelalter jeder Deutsche auf vollen Pferden gen Osten sprengt. (...) Russland hatte Polen schließlich den Daumen des Kommunismus in den After gedrückt; und seit den Siebzigerjahren wollten beide Kaczynskis den Sozialismus aus den Pantinen kippen.(...)Diesen Dreck publizierte das Blatt, das in der deutschen Linken die Meinungsführerschaft hat, sie jedenfalls beansprucht.
Vorbild der Kaczynskis ist der Erfinder Polens von 1919, Josef Pilsudski, der 1926 die "gelenkte Demokratie" entdeckte und dem halbfaschistischen Militärregime von 1935 die Bahn schmierte. Wie Pilsudski sind die Kaczynskis Polen bis über beide Ohren, und das Vaterland sitzt ihnen wie angegossen. Dass die zwei vorn wie hinten sauber sind, haben sie bewiesen: Lech, der öffentliche Hinterteile an Warschaus Männern mehrmals verbot, mehr noch Jaroslaw, der mit der eigenen Mutter zusammenlebt - aber wenigstens ohne Trauschein.
Wäre es ein liberaler oder gar ein konservativer Autor gewesen, der so etwas zu Papier brachte, dann wäre die Karriere dieses Mannes damit beendet gewesen. Hätte eine konservative oder liberale Zeitung so etwas über einen linken Staatspräsidenten gedruckt, dann hätte es eine allgemeine Empörung ausgelöst.
Hätte sich jemand gegen den Staatspräsidenten Frankreichs derart infam geäußert, dann hätte man es ihm sogar in einem linken Blatt verübelt. Aber es war ja nur Polen. Es war ja nur der aufrechte Antikommunist Lech Kaczyński.
Die deutsche Arroganz gegenüber Polen ist nicht verschwunden. Sie hat sich nur, die Haltung in der DDR aufnehmend, von der Rechten auf die Linke verlagert.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Staatspräsident Lech Kaczyński mit einem Schal, auf dem das polnische Staatswappen zu sehen ist. Von der polnischen Staatskanzlei unter GNU Free Documentation Licence freigegeben.