9. April 2010

Zitat des Tages: "Obama fehlen die gefühlsmäßigen Reflexe"

He is an American who grew up in Hawaii, whose foreign experience was of Indonesia and who had a Kenyan father. The sentimental reflexes, if you like, are not there.

(Er ist ein Amerikaner, der in Hawaii aufwuchs, der seine Auslandserfahrungen in Indonesien gemacht hat und dessen Vater aus Kenya stammt. Wenn Sie so wollen, fehlen die gefühlsmäßigen Reflexe).

Sir David Geoffrey Manning, von 2003 bis 2007 britischer Botschafter in Washington, über das Verhältnis Präsident Obamas zu Großbritannien, zitiert von der amerikanischen Truppenzeitschrift Stars and Stripes.


Kommentar: Der Ex-Botschafter sagte das vor dem Auswärtigen Ausschuß des britischen Unterhauses. Seine Bemerkung fand Eingang in einen Bericht des Ausschusses über die britisch-amerikanischen Beziehungen, der am vorvergangenen Sonntag veröffentlicht wurde.

Ich bin auf das Zitat in der aktuellen Kolumne von Charles Krauhthammer in der Washington Post gestoßen. Ihr Thema ist die, wie Krauthammer sagt, "Politik Obamas, Alliierte ins Gesicht zu schlagen" (Obama's policy of slapping allies). Neben Großbritannien erwähnt Krauthammer Polen und Tschechien, Indien (dem gegenüber er China und Indonesien bevorzuge) und das demokratische Honduras, gegen das sich Obama auf die Seite des Chávez-Freunds Zelaya schlug (siehe Obamas Politik gegenüber Honduras; ZR vom 2. 9. 2009).

Krauthammer hätte auch Israel nennen können; siehe Pax Obama?; ZR vom 21. 3. 2010). Er hätte andererseits erwähnen können, wie freundlich Obama nicht nur mit China umgeht, sondern auch mit Rußland und mit den Staaten der islamischen Welt.

Ergibt eine solche Politik, die fast alle Präferenzen der bisherigen amerikanischen Außenpolitik auf den Kopf stellt, irgendeinen Sinn? Krauthammer bekennt sich zu seiner Ratlosigkeit: Erst wenn es einmal eine Obama-Doktrin gebe, werde man wissen, "whether it was pique, principle or mere carelessness" - ob es Ressentiment war, Prinzip oder bloße Nachlässigkeit.

Vielleicht von allem etwas.

Obama hat einerseits eine Biographie, in der Europa nie eine Rolle gespielt hat; wohl aber Länder weitgehend außerhalb der abendländischen Tradition wie Kenya, Hawaii und Indonesien. Gut möglich, daß Manning Recht hat und daß dort und nicht bei der transatlantischen Verbundenheit seine gefühlsmäßigen Bindungen liegen.

Von Nachlässigkeit würde ich nicht sprechen; aber doch von einer großen Unerfahrenheit und Naivität, ja Unbeholfenheit, mit der Obama und seine gleichfalls außenpolitisch unerfahrene Secretary of State Clinton ihre Außenpolitik betreiben.

Und drittens scheint mir in diesem Muster einer unsicheren, wankelmütigen Außenpolitik in der Tat doch so etwas wie ein Prinzip erkennbar zu sein: Versöhnen statt Spalten. Die ausgestreckte Hand. Kinder, vertragt euch doch endlich. Rhetorik an der Stelle von Diplomatie. Überwertige Ideen dort, wo Realpolitik erforderlich wäre.

Die Gegner des Westens wird es freuen.



Und noch eine bizarre Marginalie aus Krauthammers Kolumne: Im Arbeitszimmer des US-Präsidenten, dem Oval Office, stand - so Krauthammer - aus der Zeit von Bush eine Büste von Churchill. Obama hätte sie an die Engländer zurückgeschickt.

Ich war mir nicht sicher, ob der geschätzte Charles Krauthammer sich in dieser Kolumne - erschienen am 2. April - vielleicht einen nachträglichen Aprilscherz erlaubt hatte, und habe deshalb nachgesehen: Im Telegraph vom 14. 2. 2009 ist die Geschichte tatsächlich zu lesen:

Seit den Anschlägen des 11. September 2001 stand im Oval Office diese Büste von Winston Churchill; gesandt von Großbritannien als Zeichen der transatlantischen Solidarität. Es handelte sich um eine Leihgabe aus der Sammlung der britischen Regierung.

Als Obama gewählt worden war, fragte die britische Regierung an, ob die Büste dort weiterhin stehen solle. Obama lehnte dankend ab. Der britische Botschafter mußte sie abholen lassen.



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