20. April 2010

Marginalie: Endlich ein kompetenter Artikel über die Hintergründe des Vulkanasche-Flugverbots. Bahnt sich ein Skandal an?

Als ich am Sonntag eine kurze Notiz zu diesem Thema schrieb, war mir unwohl beim Schreiben, denn ich hatte zwar einige Informationen zum Hintergrund gefunden, aber längst keinen zufriedenstellenden Überblick.

Jetzt hat R.A. in Zettels kleinem Zimmer auf einen heutigen Artikel aufmerksam gemacht, der endlich diese Informationen enthält. Der Autor ist Jan Brill, Chefredakteur des Fachmagazins "Pilot und Flugzeug", und zu lesen ist der Artikel hier.

Wenn Sie irgend die Zeit haben, dann lesen Sie diesen Artikel, und Sie sind besser informiert als 99 Prozent der deutschen Zeitungsleser und vermutlich kein viel geringerer Anteil der deutschen Journalisten.

Für den Fall, daß Sie diese Zeit nicht haben, hier die Essenz:
  • Die jetzigen Maßnahmen folgen dem auch schon in meinem Artikel vom Sonntag erwähnten Volcanic ash contingency plan EUR region in seiner Fassung vom September 2009 (ICAO Doc 19).

  • Dieser enthält aber nur technische Vorschriften, die regeln, wie zu verfahren ist, wenn eine Sperrung aufgrund einer Aschenwolke erfolgt ist. Es soll damit zu Beispiel dafür Sorge getragen werden, daß nicht in London ein Flugzeug in Richtung Prag startet, wenn dort der Luftraum bereits gesperrt ist. Brill:
    Soweit ist das ein reiner Implementierungsplan, der die inneren Mechanismen im Zusammenspiel der ATC-Organisationen festlegt. Ein wie auch immer geartetes Mandat zur Sperrung eines Luftraums ergibt sich dadurch in keinster Weise, es wird – um eine Analogie aus dem Straßenverkehr zu bemühen – vielmehr festgelegt, wo, wann und wie viele Warnbarken bei einer möglichen Straßensperrung aufgestellt werden.
  • Ob und wann eine Sperrung erfolgt, legt dieser Notfallplan also nicht fest. Er spricht nur schlicht von "ash clouds", von Aschewolken. Ob diese vorliegen, muß gewissermaßen von außen eingegeben werden. Hierzu nun wurde im jetzigen Fall ein Rechenmodell zugrundelegt, das aber gerade nicht das Auftreten von Aschewolken simuliert, sondern nur das von "contaminated areas", von verunreinigten Gebieten also. Brill:
    Das ICAO Doc 19 verlangt "ash clouds" als Input, um das Räderwerk der Zero-Flow-Restriction in Gang zu setzen, vorgesetzt bekommt es allerdings eine "contaminated area" mit ausdrücklich unbestimmter Aschekonzentration.
  • Als erster Schritt war das, schreibt Brill, vernünftig, da man ja erst einmal sehen mußte, ob und wie sich Aschewolken entwickeln:
    Skurril wird der Vorgang erst, da die offenkundige Anschauung (keine Aschewolke zu sehen) zugunsten des missinterpretierten Computermodells verworfen wurde. Ergebnis: Bei strahlend blauem CAVOK-Wetter, dem bislang besten Flugwetter des Jahres, steht die gesamte deutsche IFR-Luftfahrt still, weil man – vereinfacht gesagt – auf den Computer starrte, anstatt aus dem Fenster zu schauen.
  • Inzwischen gibt es zu dem Artikel schon zahlreiche Kommentare; den Fachkenntnissen und der Diktion nach überwiegend von Berufspiloten geschrieben. Fast alle stimmen Brill im Kern zu.

    Wenn das so ist, dann bahnt sich ein Skandal an; ein bürokratischer Skandal, ein Skandal vor allem der EU-Bürokratie.

    Ein Skandal mit Neben-Skandalen, zum Beispiel der bürokratischen Entscheidung, Transit-Passagiere tagelang unter unzumutbaren Bedingungen auf den Flughäfen festzuhalten, statt ihnen durch Sondergenehmigungen die Möglichkeit zu geben, sich vorübergehend in einem Hotel einzuquartieren.



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