Jeder ist seines Glückes Schmied. So lautete eine, selbstverständlich ideologische und nicht ganz wahre, Kernidee des Kapitalismus. Das Individuum soll frei sein, es hat die Wahl, es kann scheitern oder gewinnen. Wir haben jetzt eine neue Ideologie: Schuld sind immer die anderen. Handlungen dürfen niemals Folgen haben. Deshalb glaube ich, dass wir in Wahrheit längst nicht mehr im Kapitalismus leben, sondern in etwas anderem, einem System, für das es noch keinen Namen gibt und dessen erster Systemkritiker ich gern wäre.
Ich lehne es, aus Gründen, die Sie jetzt sicher begreifen, ab, für meine Kolumnen irgendeine Verantwortung zu übernehmen. Ich bin für das, was ich schreibe, nicht zuständig.
Kommentar: Harald Martenstein hat in seinen Kolumnen im "Zeit-Magazin" einen sehr eigenen Stil entwickelt; eine Art Antipolemik. Er posaunt seine Meinung nicht heraus; er spitzt nicht zu und arbeitet nicht mit dem Stilmittel der Hyperbel, der Übertreibung. Ganz im Gegenteil: Er untertreibt stilistisch; er relativiert, zeigt Verständnis für Gegenpositionen.
Im jetzigen Text nennt er Beispiele dafür, daß immer seltener Verantwortung übernommen wird - in der Politik, aber auch in der Gesellschaft. Und dann geht es, für Martenstein charakteristisch, so weiter:
Verschwunden ist nun freilich - das möchte ich kommentierend anmerken - keineswegs die Kategorie der Verantwortung, der Verantwortlichkeit.
Ganz im Gegenteil: Wenn es ein Problem gibt, dann sind wir heute fix darin, den oder die Verantwortlichen zu finden - in der Schuldenkrise die Banker, bei Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Einwanderung die uneinsichtigen Deutschen (oder umgekehrt den Islam), aktuell "die Ölmultis", wenn der Benzinpreis steigt.
Insofern sind wir nachgerade eine Gesellschaft, in der ständig von Verantwortung die Rede ist. Nur nicht der eigenen.
Ich lehne es, aus Gründen, die Sie jetzt sicher begreifen, ab, für meine Kolumnen irgendeine Verantwortung zu übernehmen. Ich bin für das, was ich schreibe, nicht zuständig.
Harald Martenstein in seiner aktuellen Kolumne im "Zeit-Magazin" (9/2012 vom 23. 2. 2012) unter der Überschrift "'Ich bin für das, was ich schreibe, nicht zuständig'".
Kommentar: Harald Martenstein hat in seinen Kolumnen im "Zeit-Magazin" einen sehr eigenen Stil entwickelt; eine Art Antipolemik. Er posaunt seine Meinung nicht heraus; er spitzt nicht zu und arbeitet nicht mit dem Stilmittel der Hyperbel, der Übertreibung. Ganz im Gegenteil: Er untertreibt stilistisch; er relativiert, zeigt Verständnis für Gegenpositionen.
Im jetzigen Text nennt er Beispiele dafür, daß immer seltener Verantwortung übernommen wird - in der Politik, aber auch in der Gesellschaft. Und dann geht es, für Martenstein charakteristisch, so weiter:
Ich möchte das gar nicht pauschal kritisieren, jede dieser Entwicklungen hat ihr Für und Wider, und über jede von ihnen müsste man getrennt diskutieren.Er ist kein Zola, der den Finger reckt und anklagt, dieser Harald Martenstein. Er ist ein stiller Beobachter, der sich leise wundert. Hier folgendermaßen:
Es gibt aber doch eine auffällige Gemeinsamkeit. Die Idee, dass Handelnde im Wesentlichen selbst für ihre Taten, für ihr Leben, für ihre Erfolge und Misserfolge, auch für die Menschen, die ihnen nahestehen, verantwortlich sind, diese Idee der Verantwortung gilt in den verschiedensten Bereichen zunehmend als altmodisch oder sogar menschenfeindlich.Früher tat ein Politiker schon dann zurück, wenn in seinem Verantwortungsbereich etwas nicht in Ordnung gewesen war; auch wenn er selbst daran gar keine Schuld trug. Heute gibt es demokratische Politiker, die - so Martenstein - "klammern sich fast wie Diktatoren an ihre Ämter". Und gleich dazu im Martenstein-Stil:
Dies wird jetzt aber keine moralische Empörungs- oder Antipolitikerkolumne. Ich möchte einfach nur eine Veränderung beschreiben.Eine Veränderung, die sich beispielsweise auch darin zeigt, daß die Taten von Verbrechern gern einer ungünstigen Umwelt und das Versagen von Schulkindern der Schule und den Lehrern zugeschrieben werden.
Verschwunden ist nun freilich - das möchte ich kommentierend anmerken - keineswegs die Kategorie der Verantwortung, der Verantwortlichkeit.
Ganz im Gegenteil: Wenn es ein Problem gibt, dann sind wir heute fix darin, den oder die Verantwortlichen zu finden - in der Schuldenkrise die Banker, bei Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Einwanderung die uneinsichtigen Deutschen (oder umgekehrt den Islam), aktuell "die Ölmultis", wenn der Benzinpreis steigt.
Insofern sind wir nachgerade eine Gesellschaft, in der ständig von Verantwortung die Rede ist. Nur nicht der eigenen.
Zettel
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