17. Februar 2012

Marginalie: "Ich glaube, das war's". Überlegungen zu Wulffs Nachfolge

In den Berliner Parteizentralen dürfte seit gestern überall das stattfinden, was Daniel Friedrich Sturm in "Welt-Online" für die FDP so beschreibt:
Zwar ist der Bundespräsident bislang nicht zurück getreten – die Führung der FDP aber rechnet damit und sinniert schon über die Wahl eines Nachfolgers von Christian Wulff. "Ich glaube, das war's", sagte ein Mitglied der FDP-Führung "Welt Online".
Daß es "das war", ist jetzt vermutlich die einhellige Meinung im politischen Berlin - außer vielleicht die von Christian und Bettina Wulff. Aber man wird es ihnen wohl sagen. Also ist jetzt über die Nachfolge zu reden.

Es gab schon einmal eine Nachfolge-Diskussion im Hintergrund; kurz nach dem Jahreswechsel. Damals waren neben Joachim Gauck, der natürlich - sollte er wollen - gesetzt wäre, diese Namen genannt worden: Norbert Lammert; Klaus Töpfer; Katrin Göring-Eckardt (siehe Jetzt Göring-Eckardt? Oder gar Klaus Töpfer? Die Spekulation über Wulffs Nachfolge ist eröffnet; ZR vom 7. 1. 2012). Heute bietet Süddeutsche.de die folgenden Namen an: Gauck, Töpfer, de Maizière, Lammert - in dieser Reihenfolge.

Gegenüber der seinerzeitigen Liste, die ich einem Bericht der "Rheinischen Zeitung" entnommen hatte, gibt es also nur eine Veränderung: An die Stelle von Göring-Eckardt ist auf dieser aktuellen Liste Thomas de Maizière getreten. Ein Mann mit dem Format eines Präsidenten. Aber auch jemand, der einmal Kanzler werden könnte und der sich das vielleicht nicht verbauen möchte.

Als im Jahr 2004 sich die Amtszeit von Bundespräsident Rau ihrem Ende näherte und über mögliche Nachfolger diskutiert wurde, hatte freilich niemand Horst Köhler auf der Liste. Im Gespräch waren damals Edmund Stoiber, Wolfgang Schäuble, Wolfgang Gerhardt und sogar Cornelia Schmalz-Jacobsen, an die sich heute kaum noch jemand erinnert; sie galt zeitweise sogar als die Favoritin ("Nach Rau / eine Frau!").

Während die Öffentlichkeit über diese Namen debattierte, sondierte die damalige Oppositionsführerin Merkel im Hintergrund, besprach sich mit Guido Westerwelle und brachte diesen dazu, auf einen FDP-Kandidaten zu verzichten. Angela Merkel lieferte damals ihr Gesellenstück als politische Taktikerin. Man erfuhr wenig. Dann ging unversehens der Vorhang auf - und da stand Horst Köhler. "Merkels Präsident" stand nach Köhlers Wahl auf dem Titel des "Spiegel".

Ähnlich war es dann bei der Kandidatur Christian Wulffs im Jahr 2010. Auch an ihn hatte kaum jemand gedacht, bevor die Kanzlerin ihn präsentierte.



Auch jetzt könnte es ganz anders kommen, als man es zunächst erwartet. In den Parteizentralen wird man sich unter anderem diese Gesichtspunkte überlegen:
  • Alle werden jemanden wollen, der einigermaßen die Sicherheit bietet, seine Amtszeit turnusgemäß zu Ende zu bringen. Also jemanden mit besseren Nehmer­qualitäten als Horst Köhler; und jemanden mit einer politischen Vergangenheit in einem strahlender reinen Weiß, als das bei Christian Wulff der Fall ist. Man wird da gewiß recherchieren, bevor man nominiert.

  • Für alle Parteien ist Wulffs Nachfolge zwar wichtig; aber doch in unterschiedlichem Ausmaß. Am wichtigsten ist sie für die FDP. Für sie wäre es verheerend, wenn jemand als Kandidat einer informellen schwarzroten Koalition gewählt werden würde; wieder einmal ein "Stück Machtwechsel", so würde das wahrgenommen werden. Die FDP wird also alles tun, um einen gemeinsamen schwarzgelben Kandidaten durchzu­setzen. Viele Machtmittel hat sie freilich nicht.

  • Am ruhigsten können die Kommunisten der Kandidatenkür zusehen. Sie dürften wieder einen eigenen Kandidaten aufstellen; vermutlich einen weniger peinlichen als 2009 Peter Sodann. Stellt die SPD zusammen mit den Grünen einen Kandidaten auf, dann können sich die Kommunisten ihre Zustimmung zu diesem im dritten Wahlgang abhandeln lassen (siehe Wahl des Bundespräsidenten: Die Partei "Die Linke" ist gestern salonfähig geworden; ZR vom 1. 7. 2010).

  • Die Sozialdemokraten sind in einer schwierigen Lage. Ein gemeinsamer Kandidat mit der Union würde als Weichenstellung für eine Große Koalition nach 2013 wahrgenommen werden; schon wahlkampftaktisch muß die SPD aber darauf beharren, selbst den Kanzler stellen zu wollen. Gerede über eine Große Koalition kann ihr deshalb gar nicht recht sein.

    Stellt sie andererseits einen eigenen Kandidaten auf, dann würde sie ihn angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung möglicherweise durchbekommen - aber nur mit Hilfe der Kommunisten. Auch das wäre für die SPD problematisch. Die Volksfront ist mit einer heimlichen Vorsitzenden der Kommunisten Sahra Wagenknecht erst einmal vom Tisch; die SPD hat gegenwärtig jedes Interesse daran, daß nicht über eine mögliche Regierungspartei der Partei "Die Linke" im Jahr 2013 debattiert wird.

  • Die Grünen können sich freuen, daß mit Katrin Göring-Eckardt eine der Ihren ins Spiel gebracht wurde. Als gemeinsame Kandidatin von SPD und Grünen hätte sie vielleicht sogar eine Chance; denn die aus dem "Bündnis 90" hervorgegangene einstige Bürgerrechtlerin, gegenwärtig Präses der Synode der Evangelischen Kirche, dürfte in der Bundesversammlung auch für manchen aus dem schwarzgelben Lager wählbar sein. Ansonsten wäre auch der Öko-Professor Töpfer für die Grünen ein angenehmer Bundespräsident.
  • Derartige Überlegungen dürften jetzt in Berlin angestellt werden. Offiziell muß man sich natürlich noch bedeckt halten, solange Wulff nicht zurückgetreten ist.

    Und wenn er einfach bleibt? Zum Rücktritt zwingen kann ihn niemand. Während seiner gesamten Karriere hat der Westfale Wulff eine bemerkenswerte Beharrlichkeit bewiesen; beispielsweise hinderten ihn Wahlniederlagen 1994 und 1998 nicht daran, weiter das Amt des niedersächsischen Ministerpräsidenten anzustreben, bis er es schließlich hatte.

    Aber wie der von "Welt-Online" zitierte Politiker aus der FDP-Führung halte ich es für unwahrscheinlich, daß Wulff die Affäre jetzt noch aussitzen kann. Die Kanzlerin mag kurzzeitig von Wulffs Niedergang sogar profitieren, weil sie in den Augen der Deutschen zunehmend in die Rolle einer Ersatzpräsidentin hineinwächst; aber eine nicht endenwollende Diskussion um den Präsidenten kann auch der Koalition nicht recht sein. Und es gibt ja auch eine staatspolitische Verantwortung.­
    Zettel



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