29. Februar 2012

Zitat des Tages: Schmutzige Phantasien in der Redaktion des NDR? Jedenfalls die Kollaboration mit einem windigen Unternehmen. Noch einmal Stratfor

Stratfor-Quellen wüssten unter Umständen "zu keinem Zeitpunkt, dass sie eine Quelle" waren. Friedman geht sogar noch weiter. In einer Nachricht bedrängt er eine Analystin, "finanzielle, sexuelle oder psychologische Kontrolle" über einen Informanten zu erlangen - "bis zu dem Punkt, an dem er seine Quellen preisgibt."
tagesschau.de in einem Artikel über die angeblichen Machenschaften des Informationsdienstes Stratfor.

Kommentar: Das klingt aufregend, nicht wahr? Richtig nach Spionage-Krimi. Wir sehen James Bond vor uns, wie er, den gerührten und nicht geschüttelten Martini in der Hand, "sexuelle Kontrolle" über eines der Bond-Girls zu gewinnen trachtet. In diesem Fall also ein weiblicher James Bond, Jane Bond sozusagen; mit vermutlich erotisch umgekehrter, gegen einen Mann gerichteten Zielsetzung.

Es handelt sich um Reva Bhalla. Der Name klingt wie aus einem Spionagefilm. Reva Bhalla ist aber Analystin bei Stratfor. Sie ist eine junge, aparte Frau orientalischen Aussehens, mit langen schwarzen Haaren; das können Sie sich hier ansehen. Paßt zum Namen. Paßt zur "sexuellen Kontrolle".

Die Analystin Reva Bhalla also, derzeit vor allem zuständig für Lateinamerika, wurde, wenn wir der "Tagesschau" Glauben schenken wollen, von ihrem Chef George Friedman "bedrängt", jene besagte Kontrolle über einen Informanten zu erlangen.

Hat er sie bedrängt? Er hat nicht. Da ist mit den Redakteuren des NDR, die für die "Tagesschau" zuständig sind, offenbar ihre schmutzige Phantasie durchgegangen. Vielleicht war es auch eine Verzweiflungstat der Kollaborateure von Wikileaks.



Der Reihe nach.

Wikileaks hat bekanntlich die Rolle eines Hehlers übernommen, der sich von Dieben deren Beute übergeben läßt - in diesem Fall einen Teil der Beute von Datendieben, nämlich gestohlene Emails (siehe Der Angriff auf Stratfor: Einige Informationen, anhand derer Sie sich selbst ein Bild machen können - von Stratfor, von den Tätern und ihren Helfern; ZR vom 28. 2. 2012).

Man kann diese Mails - dazu hat sie Wikileaks ja übernommen - jetzt im Internet lesen. Beispielsweise diesen Mailwechsel zwischen Reva Bhalla und ihrem Chef George Friedman.

Das Szenario: Es geht um den Gesundheitszustand von Hugo Chávez. In der ersten Mail berichtet Reva Bhalla über Informationen von einer Kontaktperson, die "anti-Chavez" eingestellt sei und die behauptete, daß Chávez' Krebs in einem fortgeschrittenen Stadium sei. In der Mail werden dann hauptsächlich Spekulationen über mögliche Nachfolger von Chávez berichtet.

Friedman, der sich offenbar als der Mentor der jungen Analystin sieht, reagiert in seiner Antwort mit leichtem Tadel: Er gebe Reva Bhalla derartige Aufträge, damit sie lerne, Quellen zu bewerten. Bei Quellen von Analysten sei es aber oft unklar, ob sie nicht untauglich (unqualified) seien. Das Bewerten der Quellen sei "a very difficult art but one you must learn" - eine sehr schwere Kunst; aber eine, die sie erlernen müsse.

Deutlich pikiert antwortet Bhalla: "Yes, I have much to learn and I may be just an analyst, but i'm not 100% incapable of evaluating a source I've known for a while" - ja, sie habe noch viel zu lernen und sei ja nur eine Analystin, aber sie sei auch nicht total unfähig, eine Quelle zu beurteilen, die sie schon längere Zeit kenne.

Das ärgerte nun offenbar wieder Friedman, und er gab der Analystin eine längere Lektion, wie man mit Informanten umzugehen hat:

Das, was man ihr erzählt habe, könne auch reines Geschwätz sein. Analysten neigten dazu, sich zu sehr um das zu kümmern, was ein Informant ihnen erzählt, und zu wenig um die Person dieses Informanten selbst. Das aber sei das Entscheidende: "To be effective your goal is the person and not the subject. Otherwise it's gossip which is information that you cannot definitively confirm" - wenn man Erfolg haben wolle, dann müsse man sich auf die Person und nicht das Thema konzentrieren. Sonst sei es nur Geschwätz, also Information, die man nicht definitiv bestätigen kann.

Und in diesem Zusammenhang - allgemeine Regeln über den Umgang mit Informanten - schreibt Friedman (Tippfehler, wie auch oben, korrigiert; Zettel):
If this is a source you suspect may have value, you have to take control of him. Control means financial, sexual or psychological control to the point where he would reveal his sourcing and be tasked. This is difficult to do when you are known to be affiliated with an intelligence organization. The decision on approach would not come from you but from your handler. This is because your position is too close to the source and your judgment by definition suspect.

Wenn es sich um eine Quelle handelt, von der man vermuten kann, daß sie von einigem Wert ist, dann muß man denjenigen unter Kontrolle bringen. Kontrolle bedeutet finanzielle, sexuelle oder psychologische Kontrolle, bis er seine Quellen offenlegt und in Anspruch genommen werden kann. Das ist schwer zu bewerkstelligen, wenn man als Mitarbeiter eines Informationsdienstes bekannt ist. Die Entscheidung für einen solchen Vorstoß würde nicht man selbst treffen, sondern der zuständige Vorgesetzte. Und zwar deshalb, weil man selbst zu nah an der Quelle ist und das eigene Urteil deshalb per definitionem fragwürdig wäre.
Das ist die Stelle, aus der die Redakteure des NDR ihre Behauptung ableiten: "In einer Nachricht bedrängt er eine Analystin, 'finanzielle, sexuelle oder psychologische Kontrolle' über einen Informanten zu erlangen - 'bis zu dem Punkt, an dem er seine Quellen preisgibt'."

Offenbar ist den klugen Köpfen beim NDR entgangen, daß das englische "you" nicht nur "Sie" oder "du", sondern auch "man" bedeuten kann; und das ist hier eindeutig gemeint, denn Friedman spricht nicht von sich selbst, sondern vom zuständigen Vorgesetzten (handler) generell, beschreibt also die allgemeine Situation. Schon gar nicht "bedrängt" er Reva Bhalla - es geht ja gar nicht um eine konkrete Maßnahme, sondern eindeutig nur um allgemeine Verhaltensregeln.

Hätten die Redakteure wenigstens die Email bis zum Ende gelesen, dann hätte ihnen das selbst bei nur rudimentären Englischkenntnissen aufgehen müssen. Dort nämlich nennt Friedman ausdrücklich den Zweck seiner Erläuterungen: "Just laying this out so you understand the core challenge" - ich lege das nur dar, damit Sie verstehen, welches die eigentliche Herausforderung ist.



Ich habe in der Überschrift vermutet, daß da wohl ihre schmutzige Phantasie mit den NDR-Redakteuren durchgegangen ist. Vielleicht. Es kann aber auch sein, daß der NDR ein wenig in Not ist; in der Not nämlich, eine Entscheidung journalistisch zu rechtfertigen.

Wenn Sie auf der WebSite von Wikileaks, in der dieser aufregende Mailwechsel veröffentlicht wird, einmal zur linken Seitenspalte gehen, dann finden Sie dort eine Liste der Kooperationspartner von Wikileaks bei diesem Unternehmen Stratfor ("The Global Intelligence Files" wird es hochtrabend genannt). Es sind irgendwelche obskuren Blätter und Stationen, beispielsweise Al Akhbar (Libanon), McClatchy (USA), Russia Reporter (Rußland) und The Yes Men - (Bhopal). Und - als einziges großes, unabhängiges Medium: "NDR/ARD - Germany".

Bei der Veröffentlichung der diplomatischen Korrespondenz der USA hatten noch große Blätter wie die New York Times, Le Monde, The Guardian und der "Spiegel" den Leuten von Wikileaks die Hand zur Kooperation gereicht.

Jetzt nichts mehr davon; sie werden wissen, warum sie die Finger von diesen einem Privatunternehmen gestohlenen, journalistisch völlig uninteressanten Dokumenten lassen. Das einzige halbwegs bekannte Medium auf der Liste, außer eben dem NDR als Vertreter der Arbeitgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands, ist die die linke italienische Tageszeitung Repubblica.

Ausgerechnet der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland macht jetzt gemeinsame Sache mit den Hehlern der Einbrecher bei Stratfor und rühmt sich auch noch dieser windigen Rolle als "investigativer Kooperationspartner von WikiLeaks".

Und da sich offensichtlich nicht das Geringste von journalistischem Interesse in diesen gestohlenen Mails finden ließ, wollte man es offenbar mit einer aufgeblasenen James-Bond-Meldung versuchen. Ob mit oder ohne schmutziger Phantasie.­
Zettel



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