13. Februar 2012

Marginalie: Wie gut geht es den Deutschen wirtschaftlich? Und warum? Gallup hat das untersucht und interpretiert es

Die deutschen Medien werden aus diversen Quellen regelmäßig mit Negativmeldungen über die sozialen Verhältnisse in Deutschland beliefert: Eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich; eine bedrohte und schrumpfende Mittelschicht; immer mehr Armut (siehe zum Beispiel Prozentual mehr Arme in Nordrhein- Westfalen als in Indien?; ZR vom 19. 8. 2009, und Schrumpft die Mittelschicht?; ZR vom 21. 1. 2011).

Die Quellen, die derartige Behauptungen mit Erfolg verbreiten, sind in der Regel Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften, linke Parteien und deren akademische und journalistische Sympathisanten. Sie haben ein verständliches Interesse daran, Deutschland als ein von sozialer Ungerechtigkeit heimgesuchtes Land mit sinkendem Lebensstandard darzustellen. Wie aber sehen die Deutschen selbst ihre wirtschaftliche Lage?

Gallup führt zu solchen Themen regelmäßig weltweit Umfragen durch. Heute hat das Institut eine solche in Deutschland durchgeführte Umfrrage publiziert. Mit interessanten Ergebnissen.

Die auf Deutsch gestellten Fragen sind in dem Artikel nur in englischer Übersetzung wiedergegeben. Es kann also sein, daß es bei meinen Rückübersetzungen kleine Abweichungen gibt. Die Einzelheiten der Umfrage findet man in dieser Dokumentation.

Die erste und wichtigste Frage stellt Gallup regelmäßig: "Wie beurteilen Sie Ihren Lebensstandard?"

Zu Gallups Methodik gehört es, zunächst nach der Einschätzung der gegenwärtigen Lage zu fragen und anschließend nach den Erwartungen für die Zukunft (siehe Wo ist die Lebensqualität höher - in Deutschland oder in den USA?; ZR vom 2. 2. 2012). Deshalb ergänzen sich die Prozentzahlen in der folgenden Grafik nicht zu 100. Gezeigt sind die Prozentwerte für die Antwort "bin zufrieden" (engl. satisfied) auf die erste Frage und für die Antworten "wird besser" (getting better) und "wird schlechter" (getting worse) auf die zweite Frage. Die Ergebnisse seit 2007:



Von 2007 bis 2009 ist der Anteil der Zufriedenen von 81 Prozent auf 88 Prozent gestiegen und danach konstant geblieben. Der Anteil derer, die eine Verbesserung erwarten, war im Krisenjahr 2008 mit 21 Prozent am niedrigsten und liegt seither stabil bei 31 bis 32 Prozent. Die größte Veränderung gibt es beim Anteil derer, die eine Verschlechterung ihres Lebensstandards erwarten: Er hat sich von 42 Prozent in den ersten beiden Jahren dieses Zeitraums auf jetzt 23 Prozent fast halbiert.

Obwohl bereits 88 Prozent mit ihrem jetzigen Lebensstandard zufrieden sind, erwartet also fast ein Drittel eine weitere Verbesserung; nur weniger als ein Viertel stellt sich auf einen sinkenden Lebensstandard ein.

Die Verbesserung des Lebensstandards geht einher mit einer positiven Beurteilung der wirtschaftlichen Lage, wie sie in anderen Gallup-Umfragen ermittelt worden war: 2010 hatten 34 Prozent der befragten Deutschen angegeben, daß ihre wirtschaftliche Lage sich verbessert; 2011 betrug dieser Anteil bereits 47 Prozent. Noch drastischer änderte sich die Beurteilung des Arbeitsmarkts: 2010 hatten 22 Prozent gesagt, es sei leicht, in Deutschland Arbeit zu finden; 2011 sagten das 50 Prozent.



Die Ergebnisse der jetzigen Umfrage sprechen auch massiv gegen die verbreitete Behauptung, besonders die Mittelschicht sei in Deutschland von wirtschaftlichem Abstieg bedroht.

Gallup teilte die Befragten nach Einkommen in drei Gruppen ein. Von den 40 Prozent mit den geringsten Einkommen waren im Jahr 2011 nicht weniger als 81 Prozent (!) mit ihrem Lebensstandard zufrieden; von den 40 Prozent mit den höchsten Einkommen waren es 95 Prozent, und von den 20 Prozent mit mittlerem Einkommen waren 91 Prozent mit ihrem Lebensstandard zufrieden.

Besonders drastisch nahm in dieser mittleren Gruppe die positive Beurteilung des Arbeitsmarktes zu: 2010 hatten nur 13 Prozent gesagt, es sei leicht, Arbeit zu finden; 2011 waren es in dieser Gruppe 52 Prozent, die das angaben.

Eine weitere Frage lautete: "Kann man in Deutschland vorankommen, wenn man hart arbeitet, oder ist das nicht der Fall?" Hier die Ergebnisse:



Die positiven Antworten auf diese Frage gehen quer durch die Einkommensschichten: Je 83 Prozent in der unteren und der mittleren Einkommensgruppen bejahten sie; in der oberen waren es 89 Prozent.



In seinen Berichten teilt Gallup nicht nur die Ergebnisse von Umfragen vor, sondern es macht auch Aussagen über die vermutlichen Ursachen für das Antwortverhalten. Die jetzigen Daten führt das Institut auf die erfolgreiche deutsche Wirtschaftspolitik zurück; insbesondere den Einsatz von Kurzarbeit. Dadurch hätten die deutschen Firmen auch während der Krise ihre qualifizierte Belegschaft größtenteils halten können, was eine schnelle Ausweitung der Produktion beim Anspringen der Konjunktur ermöglicht habe.

Als weitere Gründe für die gute Wirtschaftslage Deutschlands werden genannt: Die Diversifizierung der Schlüsselmärkte, die starke industrielle Basis Deutschlands und die internationale Nachfrage nach deutschen Produkten, vor allem im Maschinenbau.

Von entscheidender Bedeutung sei nach übereinstimmender Beurteilung von Fachleuten die Zurückhaltung bei Lohnsteigerungen gewesen; weiterhin habe die Schwäche des Euro Exporte nach Übersee begünstigt.



Es ist ein rundum positives Bild der wirtschaftlichen Lage Deutschlands, das sich für Gallup aus seinen Umfragedaten ergibt. Kein Wunder also, heißt es am Schluß, daß andere Länder Europas (Frankreich beispielsweise) dem deutschen Vorbild nacheifern wollten.

Und wie stellen deutsche Medien diese Lage dar? Ein Artikel in "Spiegel-Online" trug im November 2011 die Überschrift "Sinkende Reallöhne - Deutsche können sich immer weniger leisten".­
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Die Übernahme der Grafiken erfolgt mit Erlaubnis von Gallup. Zum Layout dieses Artikels siehe hier.