25. Februar 2012

Marginalie: Zu wieviel Prozent ist die globale Erwärmung menschengemacht? Fritz Vahrenholt und Mojib Latif geben fast dieselbe Antwort

Es hat bekanntlich eine globale Erwärmung gegeben. Sie fand in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts statt. Um die Jahrtausendwende hat sie aufgehört. Es ist seit 1997 nicht mehr wärmer geworden, aber auch nicht kälter. Das ist schlicht das Faktum; und wer es leugnet, der nimmt die Daten nicht zur Kenntnis (siehe Jetzt liegen auch die globalen Temperaturdaten des Jahres 2011 vor; ZR vom 30. 1. 2012).

Wissenschaftler unterscheiden aber strikt zwischen der Datenebene auf der einen Seite und auf der anderen Seite der Ebene der theoretischen Deutungen und der Modelle für diese Daten. Auch wenn die Daten als solche nicht strittig sind, gibt es in der Regel verschiedene Möglichkeiten, sie zu interpretieren.

Der Forschungsprozeß besteht darin, daß man durch Experimente und Beobachtungen herausfindet, welche Modelle und Theorien stimmen und welche nicht; oft stellt sich heraus, daß die beste Erklärung diejenige ist, die Momente verschiedener Theorien kombiniert und die dabei deren ursprünglich zu groben Annahmen differenziert (siehe Ist Vahrenholt "widerlegt"? Über Daten, Theorien und wissenschaftliche Diskussionen; ZR vom 11. 2. 2012).

Für die globale Erwärmung am Ende des 20. Jahrhunderts gibt es verschiedene mögliche Ursachen - die Sonne könnte eine Rolle gespielt haben, die steigende Konzentration von CO2 in der Atmosphäre, Änderungen von Meeresströmungen beispielsweise.

Ebenso läßt sich der Umstand, daß seit ungefähr 1997 die globale Temperatur nicht mehr steigt, verschieden deuten. Es könnte sein, daß diejenigen Ursachen, die den Temperaturanstieg bewirkt haben, jetzt nicht mehr in gleicher Weise bestehen - weil etwa die Sonnenaktivität sich geändert hat. Es könnte aber auch sein, daß die Hauptursache, etwa der Anstieg der Konzentration von CO2, weiter besteht, daß dieser Effekt aber derzeit durch entgegenwirkende Faktoren überlagert wird.



Da das alles noch nicht abschließend geklärt ist, kann man nur Aussagen über Wahrscheinlichkeiten machen. Dazu möchte ich Ihnen zwei Zitate nennen, die Sie wahrscheinlich überraschen werden.

Am 14. Februar sagte Fritz Vahrenholt in einem Interview mit "NWZ-Online", der Online-Ausgabe der "Nordwest-Zeitung":
Die Sonne leistet mit etwa 50 Prozent einen ebenso großen Beitrag zum Klimageschehen wie CO. (...) Seit 1998 steigt die globale Temperatur nicht mehr, weil neben der sich abschwächenden Sonne ozeanische Strömungen ebenfalls abkühlen.
Ich habe dieses Interview herausgegriffen; ähnliche Angaben hat Vahrenholt auch an anderer Stelle gemacht.

Am vergangenen Dienstag nun ist in "Zeit-Online" ein Interview mit Mojib Latif erschienen. Auch er äußert sich zu den Anteilen von Sonne und CO2:
Nicht 100 Prozent der Erwärmung gehen auf das Konto des Menschen, sondern mindestens die Hälfte. Das können 51 oder 81 Prozent sein. Die Wissenschaft ist da sehr vorsichtig. Der Rest ist natürlichen Ursprungs. Ein Teil (bis in die 1950er- und 1960er-Jahre) geht auf die Sonne zurück. In den Jahrzehnten danach war ein Teil bedingt durch Änderungen der Meeresströmungen.
Vahrenholt wagt die Aussage, daß der menschengemachte Anteil an der Erwärmung "etwa 50 Prozent" beträgt; laut Latif ist es "mindestens die Hälfte".

Die beiden Schätzungen unterscheiden sich also kaum. Latif legt sich allerdings noch weniger fest als Vahrenholt - zwischen 51 Prozent und 81 Prozent liegt ja nun doch eine erhebliche Spanne; auch unter dem Gesichtspunkt, ob sich durch Verringerung der CO2-Emissionen überhaupt das Klima spürbar beeinflussen läßt.



Worüber also die ganze Aufregung? Was hat den Professor Mojib Latif veranlaßt, auf den Professor Fritz Vahrenholt wie ein Berserker verbal einzuprügeln? ("... eine Geschichte aus dem Tollhaus. Wissen Sie, das ist Pseudowissenschaft, das ist eine Ansammlung von entweder Banalitäten oder wilden Spekulationen"; siehe Mojib Latif. Erde, Sonne, globale Erwärmung. Pseudowissenschaft; ZR vom 14. 2. 2012).

In der Sache ist man offenbar gar nicht weit voneinander entfernt. Aber Latif ist ein Hüter der wissenschaftlichen Orthodoxie, der zögerlich einräumen muß, daß die Wirklichkeit komplexer ist, als es diese Orthodoxie wahrhaben will. Vahrenholt hingegen spielt die Rolle des Rebellen, der gegen diese Orthodoxie seinen Hut in den Ring wirft.

Beide sagen fast dasselbe, aber der eine betont den einen und der andere den entgegengesetzten Aspekt. Der eine nennt das Glas halb voll, der andere halb leer.­
Zettel



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