12. Februar 2012

Zitat des Tages: "Die Franzosen würden gern, können aber nicht; die Deutschen können, wollen aber nicht". T.G. Ash über die Führung Europas

Die Deutschen fühlen sich unbehaglich, weil es schlecht ankommt, wenn sie wirklich führen, aber auch schlecht ankommt, wenn sie nicht führen. (...) Überdies hat die deutsche Zurückhaltung, eine Führungsrolle in Europa zu spielen, auch damit zu tun, daß die deutsche Führungselite daran nicht gewöhnt ist - anders als die französische Elite, die nichts mehr liebt. Die Franzosen würden nur zu gern, können aber nicht; die Deutschen können, wollen aber nicht.
Der britische Historiker Timothy Garton Ash in einem Essay "Allein kriegen sie es nicht hin" im morgen erscheinenden gedruckten "Spiegel" (7/2012 vom 13. 2. 2012).

Kommentar: Ash artikuliert das, was man oft in der ausländischen, vor allem in der angelsächsischen Presse liest: Deutschland ist nun einmal das mächtigste Land Europas; aber es ziert sich, diese Rolle anzunehmen.

Es hat etwas Paradoxes: Länder die ihre Macht überschätzten und sich übernahmen, gibt es und gab es in der Geschichte reichlich; von Sparta bis zum Frankreich Bonapartes, der gern Herr über Europa werden wollte. Daß ein Land umgekehrt - wie Ash es ausdrückt - kann, aber nicht will, ist etwas historisch Seltenes, vielleicht Einmaliges.

Natürlich liegt es daran, daß vor mehr als einem halben Jahrhundert ein Anderer versucht hatte, es Bonaparte mit mehr Erfolg nachzumachen. Als das katastrophal gescheitert war, hat sich Deutschland, zumal als geteiltes Land, kleingemacht. Sehr mit Recht, und ja ohne daß dies dem Wohl des deutschen Volkes geschadet hätte.

Aber klein machen können sich wohl auf Dauer nur kleine Länder - wie die Schweiz, wie Österreich, Schweden oder Finnland. Das größte Land Europas, auch noch in dessen Mitte gelegen, kann sich auf Dauer nicht kleinmachen. Es muß führen. Ob zu unserem Vorteil, ob zu dem Europas - das ist eine andere Frage.

Wir haben das Glück, daß dieser Anspruch an Deutschland in einer Zeit herantritt, in der mit Angela Merkel eine Kanzlerin regiert, die das Gegenteil des Bildes vom auftrumpfenden, bramabarsierenden Boche ist.

Man stelle sich vor, wie prekär die Lage heute wäre, wenn der Kanzler noch Gerhard Schröder hieße! Die Kanzlerin hingegen hat es mit ihrer zurückhaltenden, sachlichen und kompetenten Amtsführung erreicht, daß ihr selbst aus Frankreich ein riesiges Vertrauen entgegengebracht wird (siehe Wie sehen die Franzosen Deutschland?; ZT vom 7. 2. 2012).

Das Grundproblem Deutschlands hat Sebastian Haffner einmal sinngemäß so umrissen: Deutschland hat eine "unschickliche Größe" - zu groß, um Gleicher unter Gleichen in Europa zu sein; zu klein für eine Hegemonie über Europa (Ash zitiert einen ähnlichen Ausspruch von Henry Kissinger). Vielleicht ist ja das, was sich jetzt abzeichnet - ein zwar dominierendes Deutschland, das aber mit seiner Macht rücksichtsvoll und vorsichtig umgeht - eine gute Antwort auf dieses Problem.

Solange wir eben eine Kanzlerin Merkel haben. Nicht nur mit einem revenant Gerhard Schröder, sondern auch beispiels­weise mit einem Kanzler Gabriel, flankiert von einem Außenminister Trittin, dürfte das Problem der "unschicklichen Größe" Deutschlands sich wieder mit Schärfe stellen.­
Zettel



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