19. Februar 2012

Joachim Gaucks Nominierung: Sieg für die Freiheit, Erfolg der FDP. Eine List der Vernunft


Je mehr parteipolitisch taktiert wird, umso eifriger versichern die Beteiligten, daß sie keineswegs parteipolitisch taktieren.

Natürlich haben alle taktiert. Daß aus dieser Taktiererei am Ende ein für Deutschland optimales Ergebnis hervorgegangen ist - das mag man als ein Beispiel für das nehmen, was Hegel die "List der Vernunft" nannte. Auch wenn keiner dies als sein Hauptziel verfolgte - am Ende ist es so gekommen, wie es für das Land am besten ist.



Es gibt unter den Parteien einen Sieger, einen Verlierer und zwei, die eigentlich nicht zufrieden sein können, für die es aber schlimmer hätte kommen können:

Der große Sieger dieses Tages ist die FDP. Als ich am späten Nachmittag den Artikel schrieb, der sich mit ihrer Entscheidung für Gauck befaßte, hätte ich nicht gedacht, daß sie erstens derart standhaft sein würde (gehofft hatte ich es); und daß sie sodann mit Standhaftigkeit so schnell und so vollständig zum Erfolg kommen könnte (Huber oder Gauck als Kandidat der Koalition - das wäre eine Richtungsentscheidung. Die Wahl des Präsidenten und die Chance der FDP; ZR vom 19. 2. 2012).

Wie es seine Art ist, hat Philipp Rösler sich seines Erfolgs beim Presseauftritt im Bundeskanzleramt und in den Interviews dieses Abends nicht gebrüstet. (Anders, nebenbei, als Gabriel und die Öko-Zwillinge, die es sich nicht verkneifen konnten, darauf herumzureiten, daß sie ja auch schon beim letzten Mal Gauck ...).

Aber wenn auch Rösler gewohnt leise auftritt - daß dieses Ergebnis allein der FDP zu verdanken ist, weiß jeder halbwegs politisch Interessierte. Die FDP-Führung ist, so hört man, bis an den Rand des Koalitionsbruchs gegangen. Sie hat gewonnen, weil sie - endlich einmal - die besseren Karten hatte; ich habe das in dem Artikel von heute Nachmittag im einzelnen dargelegt.

Aber es genügt in einem solchen Poker eben nicht, nur ein gutes Blatt zu haben. Man braucht auch Nerven; und daß sie nervenstark sein können, haben Rösler und seine Mitstreiter heute bewiesen. Sie haben sich exakt so verhalten, wie es erforderlich war, um die FDP wieder in einen Aufwärtstrend hineinzuführen (siehe Gingrichs Aufstieg, Wulffs Affäre, der Niedergang der FDP - drei Beispiele für rückgekoppelte Prozesse. Was folgt für das Los der FDP? Gutes! (Teil 2); ZR vom 30. 1. 2012).



Der große Verlierer sind die Kommunisten. Die demokratischen Parteien haben sich geeinigt, und sie, die Partei "Die Linke", mußten draußen bleiben. Auch Gysis beleidigte Reaktion auf die Ankündigung der Kanzlerin, einen Konsens mit SPD und "Grünen" zu suchen, konnte daran nichts ändern (siehe Gysi hofft naiv. Wulff-Nachfolge und Doppelstrategie; ZR vom 18. 2. 2012). Die Kommunisten haben jetzt drei Optionen:
  • Sie können die von Gysi eingeschlagene Politik der Anbiederung weiter durchhalten und Gauck unterstützen oder - was die wahrscheinlichere Variante wäre - ihren Wahlleuten in der Bundesversammlung das Abstimmungsverhalten freigeben.

  • Sie könnten jetzt erst recht Flagge zeigen und jemanden aufstellen, der die Identität dieser Partei verkörpert; jemanden wie, sagen wir, Lothar Bisky.

  • Die dritte Option - vielleicht die wahrscheinlichste, wenn man sich in das Denken von Kommunisten hineinversetzt - wäre die Nominierung eines Kandidaten, von dem zu erwarten ist, daß er möglichst viele Stimmen von linken Wahlleuten der SPD und der "Grünen" auf sich ziehen könnte. Also ein respektabler Linker außerhalb der Partei "Die Linke".

    Die Suche nach so jemandem war freilich 2009 (Peter Sodann) und 2010 (Luc Jochimsen) nicht unbedingt mit glanzvollem Resultat ausgegangen. Diesmal aber könnte diese Option für die Kommunisten besonders attraktiv sein, weil Joachim Gauck sich seither mit Äußerungen beispielsweise zu Thilo Sarrazin und zur "Occupy"-Bewegung bei vielen Linken auch bei SPD und "Grünen" höchst unbeliebt gemacht hat (siehe Gaucks goldene Worte. Lesen!; ZR vom 17. 10. 2011).



  • Die übrigen Parteien machen jetzt mehr oder weniger gute Miene zum für sie gar nicht so erfreulichen Spiel.

    Die SPD und die "Grünen" hatten Gauck 2010 aufgestellt, um die Koalition in Verlegenheit zu bringen. Politisch überein­gestimmt hatten sie mit ihm nie; und seither ist er (siehe oben) erst recht als Liberalkonservativer hervorgetreten. Aber sie konnten ja nun - das war offenkundig Teil des Kalküls des FDP-Präsidiums - ja nicht gut den von der FDP vorgeschlagenen Kandidaten Gauck ablehnen, der doch 2010 ihr eigener Kandidat gewesen war.

    Und da dies so war, hatte die FDP auch die Union nach allen Regeln der Kunst ausmanövriert. Denn mit ihrer Entscheidung für Gauck war dessen Wahl so gut wie sicher; die Union hätte in der Bundesversammlung nur verlieren können (es sei denn, sie hätte einen Kandidaten gemeinsam mit den Kommunisten aufgestellt).

    Die Kanzlerin, Meisterin darin, andere auszumanövrieren, hat diese Lage offenbar sofort durchschaut.

    Sie hatte nur noch eine einzige Chance: Die FDP ins Bockshorn zu jagen, indem sie die Situation auf einen möglichen Bruch der Koalition hin zuspitzte. Aber wie ich es am Nachmittag analysiert hatte: Mit welchem Argument hätte die Kanzlerin danach mit der SPD koalieren können, die ebenfalls Gauck gewählt hätte? Und wie hätte sie mit ihrer Europapolitik dagestanden, eine Regierungskrise am Hals?

    Es ging also nur darum, ob die FDP standhalten würde. Das tat sie offensichtlich. Danach zog die Kanzlerin, kühl bis ins Herz hinan, sofort die Konsequenz. If you can't beat 'em, join 'em sagt man im Englischen - wenn man jemanden nicht schlagen kann, dann macht man besser mit ihm gemeinsame Sache.



    Die List der Vernunft hat uns nun einen künftigen Präsidenten beschert, wie man ihn sich besser unter den gegebenen Umständen kaum wünschen kann. Und die FDP hat, dank einer endlich einmal wieder gezeigten Geradelinigkeit und Standhaftigkeit, jetzt die Chance, sich aus ihrem Tief wieder herauszuarbeiten.

    Hoffentlich nutzen sie Rösler und seine Leute, diese Chance. Ein bißchen Klappern gehört schon zum Handwerk; es muß ja nicht gleich ein Getöse à la Westerwelle sein.­
    Zettel



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelbild: Joachim Gauck am 29. 11. 2010 in München. Vom Autor Michael Lucan/pixeldost unter Creative Commons Attribution 3.0 Unported-Lizenz CC-BY-3.0 freigegeben.