28. Februar 2012

Der Angriff auf Stratfor: Einige Informationen, anhand derer Sie sich selbst ein Bild machen können - von Stratfor, von den Tätern und ihren Helfern

Der Informationsdienst Stratfor - den Lesern von ZR gut bekannt, weil ich ihn oft als Informationsquelle nutze - ist bekanntlich im Dezember vergangenen Jahres Opfer eines Datendiebstahls geworden. Erbeutet wurden Adressen­dateien (einschließlich der Nummern von Kreditkarten), Emails und andere Dokumente.

Offenbar um die erhoffte Publicity zu maximieren, haben die Diebe nicht das gesamte Material zugleich ins Netz gestellt, sondern erst die Adressendateien mit den Kreditkartendaten (die sie, wie erinnerlich auch zum Diebstahl von Geld von den betreffenden Konten nutzten); und dann erst jetzt über Wikileaks die erbeuteten Emails.

Seither wird wieder verstärkt über Stratfor berichtet, diskutiert und vor allem spekuliert; oft mit wenig Rücksicht auf die Tatsachen. Damit Sie sich selbst ein Bild machen können, möchte ich einige Fakten nennen und auf Informationsquellen aufmerksam machen.

Falls Sie noch einmal die Einzelheiten zu dem Hackerangriff vor Weihnachten nachlesen wollen, finden Sie Informationen in diesem Artikel: Stratfor ist wieder online. Neue Informationen über den Hackerangriff; ZR vom 12. 1. 2012; dort sind auch die früheren Artikel in ZR zu diesem Datendiebstahl verlinkt. Über den Ablauf und den entstandenen Schaden hat auch George Friedman, der Gründer und Leiter von Stratfor, einen ausführlichen Bericht verfaßt.



Der aktuelle Bericht bei tagesschau.de beginnt mit dem Satz: "Das US-Unternehmen Stratfor agiert mit 'geopolitischen Analysen' im Verborgenen, gerät nun aber in den Blick der Öffentlichkeit."

Dieses "im Verborgenen" sieht so aus, daß Stratfor seine Informationen über eine WebSite anbietet, zu der jedermann freien Zugang hat. Nur den Journalisten der "Tagesschau", offenbar keine Meister im Googeln, war das anscheinend bisher verborgen geblieben.

Diese Startseite gibt einen Überblick über die jeweils aktuellen Artikel. Archivierte Artikel waren bis zu dem Hackerangriff über die Suchfunktion zugänglich. Da die Hacker aber nicht nur Daten entwendet, sondern auch Dateien auf den Servern von Stratfor zerstört haben, ist diese Funktion derzeit noch nicht wieder verfügbar.

Bitte sehen Sie sich diese Startseite einmal an und lesen Sie den einen oder anderen Artikel. Sie finden im Augenblick zum Beispiel Informationen über
  • den Kampf der nigerianischen Regierung gegen die islamistische Organisation Boko Haram

  • das Bemühen Rußlands, wieder mehr Einfluß in den Staaten zu gewinnen, die einst zur Sowjetunion gehörten

  • die politische Krise in Griechenland, die sich im Augenblick aus der Finanzkrise entwickelt

  • die Gespaltenheit der syrischen Opposition

  • die Rebellenorganisation FARC in Kolumbien und ihre aktuelle Verhandlungstaktik

  • die tödlichen Schüsse im afghanischen Innenministerium und ihre politischen Folgen

  • den Drogenkrieg in Mexiko

  • die Lage am Golf von Hormus, die nach den Informationen von Stratfor derzeit nicht kritisch ist

  • das Wiederaufflammen der Piraterie vor Somalia nach dem Ende der Monsunzeit

  • die amerikanischen Optionen beim Rückzug aus Afghanistan.
  • Das sind die hauptsächlichen Artikel, die heute auf der Startseite angeboten werden. Wenn Sie auf "More analysis" klicken, gelangen Sie zu näheren Informationen und weiteren Artikeln.

    So können Sie sich selbst ein Bild davon machen, welche Art von Informationen Stratfor liefert:

    Überwiegend handelt es sich um Informationen, die aus öffentlich zugänglichen Quellen kompiliert werden. Stratfor wertet sie systematisch aus - also Agenturen, Zeitungen, Zeitschriften, Radiosendungen. Dies ist das, was jede Nachrichtenredaktion macht, und natürlich auch jeder Geheimdienst; Stratfor macht es allerdings besonders gründlich und weltweit.

    Ein kleiner Teil der Informationen wird im Unterschied dazu, wie es dann heißt, "Stratfor's sources" oder "a Stratfor source" zugeordnet. Stratfor hat nie einen Hehl daraus gemacht, daß es über eigene Quellen verfügt; wie natürlich auch jeder gute Journalist. Dort, wo Stratfor von seinen sources spricht, würde es in einem Zeitungsbericht heißen "wie man aus Regierungskreisen erfahren kann" oder dergleichen. In der Journalistensprache tragen solche Informationen die Bezeichnung "unter drei".

    Und natürlich versucht Stratfor, wie investigative Journalisten und Geheimdienstler, auch an andere Quellen zu kommen - Sekretärinnen, Regierungsbeamte beispielsweise; wer immer bereit ist, Informationen preiszugeben. Der "Spiegel" verdankt seinen Erfolg von Anfang an derartigen Methoden des Recherchierens.

    Die eigentliche Leistung von Stratfor für seine Abonnenten besteht jedoch nicht im Sammeln solcher Informationen, sondern darin, daß diese von Spezialisten ausgewertet werden, die ihr Handwerk verstehen. Wenn Sie beispielsweise die Berichterstattung in ZR zur Entwicklung in Arabien oder zum dschihadistischen Terrorismus verfolgen, die sich wesentlich auf Stratfor stützt, dann werden Sie finden, daß fast immer die Entwicklungen richtig vorhergesagt wurden (siehe zum Beispiel die Serien Aufruhr in Arabien und Aktuelles zum Krieg der Dschihadisten).



    Normalerweise sind diese Artikel - bis auf jeweils wenige - nicht kostenlos zu lesen; sondern man muß den Informationsdienst für einige hundert Dollar im Jahr abonnieren. Dabei kann sich jeder Abonnent sein eigenes "Menü" zusammenstellen - welcher Kontinent ihn zum Beispiel besonders interessiert, welche Themenbereiche (Politik, Wirtschaft, Militär usw.); ob er per Email nur die jeweiligen Hauptartikel erhalten will oder auch ständig aktualisierte Kurzinformationen (wenn er das wählt, bekommt er mehrere Dutzend Emails am Tag). Die allgemein zugängliche Startseite enthält die Überschriften und Anfänge der wichtigsten jeweiligen Artikel; aber weiterlesen können nur Abonnenten.

    Der Hackerangriff hat dieser Belieferung der Abonnenten die organisatorische Grundlage entzogen. Deshalb sind alle Artikel derzeit frei zugänglich. Gestern wurde ich informiert, daß das aber demnächst zu Ende gehen soll. Wenn Sie sich also gründlich über Stratfor informieren wollen, dann tun Sie es besser in den nächsten Tagen.



    Nicht wahr, das klingt ein wenig anders als die Schreckensmeldungen, die Sie derzeit lesen können. Recherchen, wie sie der Stolz jedes investigativen Journalisten sind, werden Stratfor mit erhobenem Zeigefinger vorgehalten, als seien sie des Teufels. Beispielsweise in dem verlinkten Artikel von tagesschau.de:
    Es drängt sich der Verdacht auf, dass Stratfor im Ausland mit Mitteln der Spionage arbeitet. Mit solchen Arbeitsmethoden gelangt Stratfor offenbar immer wieder an sensible Informationen. So berichtet ein türkischer Regierungsberater über eine angeblich tödliche Erkrankung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Eine mexikanische Militärquelle mit Zugang zum mexikanischen Präsidenten gewährt Stratfor Einsicht in die geplante Anschaffung von Drohnen. Ein hochrangiger US-Militär berichtet minutiös über Hubschraubereinsätze in Pakistan.
    Ja, in der Tat. Jede größere Zeitung, jedes Nachrichten­magazin bedient sich derartiger Quellen. Der Übergang zu geheimdienstlichen Methoden ist fließend; der "Spiegel" beispielsweise hat seit der Zeit seines Geschäftsführenden Redakteurs, späteren Chefredakteurs und schließlichen Verlagsdirektors Hans-Detlev Becker ausgezeichnete Kontakte zur Organisation Gehlen, dem heutigen BND. Sein legendäres Archiv (die "Dokumentation") kann sich durchaus mit dem Archiv manches Geheimdienstes messen.

    Nun schreibt aber tagesschau.de "Die größten Namen des militärisch-industriellen Komplexes der USA verlassen sich auf die Informationen der Texaner". Was hat es damit auf sich?

    Neben seinen normalen Abonnenten (subscribers), die das geschilderte Angebot erhalten, gibt es bei Stratfor Kunden, die sich gegen einen höheren Preis eingehender informieren lassen. Dabei geht es beispielsweise um die Sicherheit in einem Land der Dritten Welt, in dem eine Firma investieren möchte; oder um die dort zu erwartende politische Entwicklung, die auf Investitionsentscheidungen Einfluß hat.

    Solche Informationen werden über das normale Abonnement hinaus als spezielle Pakete wie "Global Vantage" angeboten, das Telefonkonferenzen und Email-Korrespondenz mit den Spezialisten von Stratfor einschließt. Sie können das in der Wikipedia nachlesen.



    Das ist alles. Wie kommt es zu der Dämonisierung dieses Informationsdienstes? Sie ist zum einen das Werk der Hacker und jetzt von Wikileaks, das die gestohlenen Emails verbreitet. Offenbar um sich selbst und ihre Heldentaten ins rechte Licht zu setzen, blasen sie Stratfor zu einer geheimnisumwitterten Institution auf, die überall ihre Finger im Spiel hat. Willfährige oder schlicht uninformierte Journalisten nehmen das auf und verbreiten es.

    Das Ergebnis dieser Dämonisierung, wie es beim Konsumenten dieser Medien ankommt, ist dann beispielsweise das, was man gestern in den Kommentarspalten von "Spiegel-Online" über ZR lesen konnte:
    Zettels Raum ist ein erzkonservatives und marktlibertinäres Meinungsportal mit guten Beziehungen zu Stratfor. Man kann dort auch Vorabdrucke von Veröffentlichungen von Stratforautoren lesen.
    Daran ist richtig, daß es ZR gibt. Alles andere ist falsch.

    ZR ist kein Meinungsportal, sondern bekanntlich ein Blog. Seine Autoren sind durchaus nicht erzkonservativ, sondern liberal. (Falls Sie sich überzeugen wollen - ein Text von mir ist im aktuellen Wettbewerb der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit um den Titel "Autor der Freiheit 2011" vertreten). "Marktlibertinär" [sic] ist ZR auch nicht; allerdings marktliberal, was freilich etwas anderes ist. Libertär ist kein einziger der Autoren von ZR; so wenig wie erzkonservativ.

    Und meine "guten Beziehungen zu Stratfor"? Sie sind exakt so gut wie meine Beziehungen zum "Spiegel" - bei beiden bin ich Abonnent. Vorabdrucke erlaubt mir Stratfor auch nicht; sondern nur die Übernahme bestimmter bereits publizierter Artikel. Jede Zeitschrift und jeder Blog kann sie übernehmen, wenn sie das wollen und die Quelle nennen und verlinken.



    So laufen solche Kampagnen. Am Anfang steht eine spektakuläre Straftat. Die Täter brüsten sich der Tat und setzen Diffamierendes über ihr Opfer in die Welt, das von den einschlägigen Medien aufgenommen und verbreitet wird. Und am Ende dieser Agitprop-Kette stehen Kommentare wie der bei "Spiegel-Online".­
    Zettel



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Spionagemuseum in Tampere (Finnland). Vom Autor Matti unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported-Lizenz freigegeben. Bearbeitet. Mit Dank an McCluskey.