4. Februar 2012

US-Präsidentschaftswahlen 2012 (15): Was ist diese Nevada eigentlich für ein Staat, in dem heute Caucuses sind? Mit einem Nachtrag zu den Ergebnissen

Die heutigen Caucuses in Nevada sind, was das Ergebnis angeht, nicht spannend. Mitt Romney wird gewinnen; die Frage ist nur, ob er über oder unter 50 Prozent erhält. Gingrich wird mit großem Abstand Zweiter werden. Ob Rick Santorum oder Ron Paul Platz drei schafft, ist noch nicht ganz sicher; die Umfragen deuten auf Paul hin. Allenfalls das liefert noch ein kleines Element der Überraschung.

Lassen Sie mich deshalb diesmal auf einen anderen Aspekt eingehen: Wer die amerikanischen Vorwahlen und Caucuses verfolgt, der bekommt zugleich ein Bild von den Staaten und Regionen der USA; so, wie der Sportfreund, der sich für die Tour de France interessiert, auch etwas über die Städte und Regionen Frankreichs erfährt. Da die Wahlen selbst in Nevada keine eingehende Berichterstattung wert sind, will ich diesmal ein Blick auf den Staat werfen; einen durchaus interessanten Staat der USA.

Nevada - das weckt starke Assoziationen, nicht wahr? Der einzige Staat der USA, der die Prostitution erlaubt. Mit dem Spieler- und Showparadies Las Vegas im Süden; im Norden Reno, wo man, wie in Las Vegas, sehr unkompliziert heiraten und vor allem sich wieder scheiden lassen kann. Karl-May-Leser assoziieren vielleicht noch das "Tal des Todes".

Sehen wir etwas genauer hin.



Die bisherigen Vorwahlen haben den politisch Interessierten bekanntgemacht mit
  • Iowa, einem Staat an der Grenze zwischen dem Industriegebiet um die Großen Seen und dem Westen der USA; halb ländlich und (inzwischen) halb urban;

  • dem sehr typischen Neu-England-Staat New Hampshire, bewohnt von einer besonders freiheits­liebenden, auch gern einmal störrischen Bevölkerung (Staatsmotto Live free or die - Freiheit oder Tod);

  • mit dem Südstaat South Carolina (aber nicht tiefer Süden, sondern auch ein bißchen Ostküste);

  • und mit Florida - zur Zeit des Unabhängigkeitskriegs ein typischer Südstaat, in dem fast fünfzig Prozent der Bevölkerung schwarze Sklaven waren; heute ein bunt gemischter Staat, in dem zwei Drittel der Bevölkerung Zugezogene sind (siehe Heute wählt Florida; ZR vom 31. 1. 2012).


  • Mit Nevada greift nun der erste Staat des Westens in die Entscheidung über die Kandidatur der GOP ein. Ein Staat des südlichen Westens, wie Kalifornien; aber doch längst nicht so weit im Süden liegend wie etwa Florida. Reno (39°32') liegt auf fast derselben geographischen Breite wie New York (40°41').

    Warum verbinden wir mit Nevada "Süden der USA"? Zum einen, weil es ein Wüstenstaat ist; mit einem Festlandsklima, in dem es im Sommer in der Tat höllisch heiß werden kann. (Im Winter hingegen können die Temperaturen nachts durchaus einmal minus 40° Grad erreichen). Zum anderen erinnert uns das Spanische der Namen an Mexiko. Der Name des Staats selbst ("die Schneebedeckte"; nämlich die Sierra Nevada) ist Spanisch; ebenso "Las Vegas"; zu deutsch: die Wiesen.

    In der Tat gehörte Nevada, wie auch die im Osten, Westen und Süden angrenzenden US-Bundesstaaten, einmal zu Mexiko, das eine Zeitlang mit den USA um die Vorherrschaft auf dem nordamerikanischen Kontinent rang. Erst im Gefolge des mexikanisch-amerikanischen Kriegs von 1848 löste sich dieser nördliche Teil von Mexiko (Mexican Cession); später entstanden dort zuerst Territorien und dann Bundesstaaten der USA. Hier sehen Sie den großen Umfang dieses Gebiets, das einmal ein Teil Mexikos gewesen war (für eine vergrößerte Ansicht bitte auf die Karte klicken):


    Die Geschichte des Staats Nevada wird aber nicht durch diese Zeit geprägt (in der dort kaum Weiße lebten), sondern durch zwei andere Epochen; und sie muß man kennen, um den eigenartigen Doppelcharakter dieses Staats zu verstehen:

    Zum einen nämlich wurde Nevada, wie auch das benachbarte Utah, zunächst von Mormonen besiedelt. Viele ihrer Nachfahren leben noch heute in Nevada, vor allem in Las Vegas.

    Ausgerechnet in Las Vegas, der sin city, der "Stadt der Sünde"? Ja. Las Vegas ist eben nicht nur das. Ein Teil der Wähler, die bei diesen Caucuses ihre Stimme für Mitt Romney abgegeben haben, werden Mormonen wie er gewesen sein; die meisten aus Las Vegas und Reno, wo zusammen 82 Prozent der republikanischen Wähler wohnen.

    Wie konnte aus den Siedlungen von Mormonen das heutige glitzernde Las Vegas hervorgehen? Der Grund liegt in der Entwicklung des Staats ab Mitte des 19. Jahrhunderts: Erstens war Las Vegas ein Eisenbahn-Knotenpunkt; damit auch eine Stadt, in der buntes, turbulentes Leben herrschte. Zweitens wurde in der Nähe Silber abgebaut, und es entstand so etwas wie eine Gesellschaft der Glücksritter. Und damit die andere Seite des Staats; sozusagen der Gegenentwurf zur mormonischen Gesellschaft.

    Denn zum Lebensstil dieser Glücksritter gehörte natürlich auch das Spielen. Zwar wurde das Glücksspiel 1909 verboten; aber als bald darauf die Minen verlassen wurden und auch der Ackerbau darniederlag, legalisierte der Staat Nevada es 1931 wieder, um sich eine Geldquelle zu erschließen. So begann die Entwicklung zur heutigen "Stadt der Sünde" Las Vegas.



    Trotz der eindrucksvollen Landschaft ist Nevada also kein ländlich, sondern ein durch die beiden Städte Las Vegas und Reno bestimmter Staat.

    Das prägt auch die Mitgliedschaft der GOP, der Republikanischen Partei.

    Auf dem Land ist sie traditionell konservativ. Dort finden sich die meisten Evangelikalen, die Anhänger von Gingrich und Santorum; auch der Kandidaten Bachmann, Caine und Perry, bevor diese das Rennen aufgaben.

    In den Städten aber ist die GOP liberaler. Dort hat Romney seine Hochburgen. Das ist der Hauptgrund dafür, daß er heute in Nevada exzellent abschneiden wird; nicht so sehr der Umstand, daß er Mormone ist. Nur jeder vierte bis fünfte Wähler der GOP ist Mormone.

    Da hat "Spiegel-Online", wie so oft, danebengegriffen, als es seinen Vorbericht zu diesen Wahlen überschrieb "Mitt Romney in Nevada - Mit der Macht der Mormonen". Nein. Mit der Stärke der eher liberalen, jedenfalls moderaten Republikaner in den großen Städten.­




    Nachtrag am Sonntag, 13.40 Uhr:

    Das Endergebnis steht noch aus. Derzeit sind 71,1 Prozent der Stimmbezirke ausgezählt. Danach liegt Romney mit 46,7 Prozent weit vor Gingrich mit 22,7 Prozent, dem Ron Paul mit 18,6 Prozent bemerkenswert dicht auf den Fersen ist. Santorum erreicht beim gegenwärtigen Stand 11,1 Prozent.

    Gingrich hat bisher erst in einem einzigen Landkreis (county) gewonnen, nämlich Mineral, im Westen an der Grenze zu Kalifornien gelegen. Der Name läßt darauf schließen, daß dort einst Silber geschürft wurde. Gingrich erhielt genau 39 Stimmen, gefolgt von Romney mit 37 Stimmen. Insgesamt wurden 91 Stimmen abgegeben - wohlgemerkt, im gesamten Landkreis! Nevada, das ist eben fast leere Wüste; darin zwei Großstädte.

    Ron Paul hat die beiden aneinander angrenzenden Landkreise Nye und Esmeralda gewonnen; im Süden an der Grenze zu Kalifornien gelegen. In Nye befindet sich ein großes Forschungs- und Testgelände der US-Regierung, die Nevada National Security Site, wo Tausende Wissenschaftler und Militärs arbeiten. Einst fanden in diesem Gebiet Atombombenversuche statt.

    Ron Paul erreichte in Nye fast die absolute Mehrheit (45,8 Prozent). Er hat eine starke Gefolgschaft bei Akademikern, aber wegen seiner nicht-interventionistischen Außen- und Militärpolitik ebenso in den Streitkräften.



    Gingrich hat auf seine Niederlage wütend reagiert und Romney vorgeworfen, er sage ständig die Unwahrheit. Er, Gingrich, werde bis zum Parteitag weiter gegen Romney kämpfen.

    Dieser Kampf hat, was Gingrich angeht, inzwischen einen Grad an Härte, man könnte fast sagen Bösartigkeit erreicht, wie er in US-Vorwahlen ganz ungewöhnlich ist. Vor vier Jahren sind nicht nur die Kandidaten der Republikaner - John McCain, Mike Huckabee und Mitt Romney - ungleich respektvoller miteinander umgegangen, sondern auch Obama und Hillary Clinton bei den Demokraten; auch wenn diese sich ein erbittertes Rennen bis zum Schluß lieferten.

    Gingrich aber erweist sich zunehmend als derjenige, als der er auch schon in seiner Zeit in Washington berüchtigt war: Damals hat er als Führer der republikanischen Mehrheit im Senat rücksichtslos gegen Präsident Clinton gekämpft und dabei sogar eine vorübergehende Stillegung von Behörden (shutdown) in Kauf genommen. Es wurde ihm vorgeworfen, daß das die persönliche Rache an Clinton dafür war, daß dieser ihn nicht respektvoll genug behandelt hätte.

    Es gab damals zahlreiche weitere Vorwürfe; auch eine Rüge durch die Ethikkommission des Senats. Im November 1998 trat Gingrich vom Amt des Führers der Republikaner zurück und legte zugleich sein Mandat nieder.

    Er war der Gegenspieler Clintons auch während der Lewinsky-Affäre gewesen. Damals hatte er seinen Gegner zu vernichten versucht; bis hin zu dem Versuch, eine Amtsenthebung zu errreichen. Es scheint, daß Gingrich diesen Stil der Auseinandersetzung mit politischen Gegnern nicht aufgegeben hat; auch wenn es jetzt ein innerparteilicher ist.
    Zettel



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Das Lansdowne-Porträt von George Washington, gemalt von Gilbert Stuart (1796). National Portrait Gallery der Smithsonian Institution. Das Porträt zeigt Washington, wie er auf eine weitere (dritte) Amtszeit verzichtet. Karte der USA vom Autor Wapcaplet unter GNU Free Documentation License, Version 1.2 oder später freigegeben. Kart der Mexican Cession vom Autor Kballen in die Public Domain gestellt. Links zu allen Beiträgen dieser Serie finden Sie hier. Siehe auch die Serie Der 44. Präsident der USA von 2008.