31. Januar 2013

Die Bedrohung Israels. Hintergründe der gestrigen Luftschläge

Rechts oben auf der nebenstehenden Karte (für eine vergrößerte Ansicht zweimal auf die Abbildung klicken) sehen Sie das Dreiländereck zwischen Syrien, dem Libanon und den von Israel besetzten Golanhöhen. Dort, in Syrien nahe der libanesischen Grenze, flogen gestern israelische Jagdflugzeuge zwei Angriffe gegen syrische Ziele.

Gestern Abend gegen 22 Uhr MEZ verbreitete die New York Times eine Eilmeldung, die auf einen gemeinsam vom Jerusalemer und Washingtoner Büro der NYT verfaßten Artikel verwies. Darin beruft sich die Zeitung auf anonyme Quellen in der US-Regierung, laut denen Israel die USA über einen Angriff auf einen Militärkonvoi informiert habe.

Dieser habe sich, beladen mit sophisticated antiaircraft weaponry, also hochentwickelten Luftabwehr-Waffen, in Syrien in Richtung libanesische Grenze bewegt. Die Waffen seien für die Hisbollah bestimmt gewesen. Weitere amerikanische Quellen sprechen davon, daß es sich um russische SA-17-Luftabwehrraketen gehandelt habe.

Laut NYT hat die syrische Regierung diesen Angriff bestritten, aber erklärt, israelische Flugzeuge hätten a scientific research facility in the Damascus suburbs that was used to improve Syria's defenses angegriffen, eine wissenschaftliche Forschungseinrichtung in den Vororten von Damaskus, die benutzt werde, um Syriens Verteidigung zu verbessern.

Heute früh meldete die israelische Zeitung Haaretz, daß beide Angaben zutreffen: Es habe zwei israelische Einsätze gegeben; einen gegen den Konvoi und eine gegen eine Fabrik, in der Chemiewaffen hergestellt werden.

Inzwischen hat Stratfor den Hintergrund dieser Einsätze analysiert:

Solche Einsätze unternimmt Israel dann und nur dann, wenn es seine Sicherheit unmittelbar bedroht sieht; wie bei den Angriffen auf Atomanlagen im Irak (1981) und Syrien (2007) sowie wahrscheinlich auf eine Waffenfabrik im sudanesischen Khartum im Oktober 2012 (siehe Die Vorgeschichte der jetzigen Eskalation in Gaza begann im Sudan; ZR vom 16. 11. 2012).

Warum also jetzt? Es geht um Assads Chemiewaffen. Es geht darum, zu verhindern, daß sie in die Hände von Terroristen fallen - sei es der mit Assad verbündeten Hisbollah, sei es der sunnitischen Dschihadisten, die gegen sein Regime kämpfen.

Die Sorge um das Schicksal dieser Waffen bestimmt seit Monaten die westliche Syrienpolitik; siehe
Assads Chemiewaffen: Wann würde der Westen intervenieren? Die Lage ist anders als in Libyen; ZR vom 25. 7. 2012

Aufruhr in Arabien (37): Chemiewaffen, Patriot-Raketen, das Schicksal des Assad-Clans. Hintergründe der aktuellen Entwicklung in Syrien; ZR vom 6. 12. 2012
In letzter Zeit gab es - so berichten es Quellen aus der Nähe Netanyahus - in Israel eine wachsende Besorgnis, weil die Hisbollah Basen in der Nähe von Chemiewaffen-Standorten in Syrien eingerichtet hatte.

Ebenso wäre es eine Bedrohung der Sicherheit Israels, wenn die Hisbollah im Libanon mit von Syrien gelieferten russischen SA-17 (russische Bezeichnung Buk, auf Lafetten montierte Raketen) eine effiziente Luftabwehr einrichten könnte. Die leidliche Sicherheit an der Nordgrenze basiert bisher auf der Fähigkeit Israels, Raketenbeschuß gegebenenfalls mit Luft­schlägen zu beantworten.

Wie groß die Sorge in Israel ist, zeigen zwei weitere Entwicklungen der letzten Tage. Zwei Batterien des Raketenabwehrsystems Iron Dome (Eiserne Kuppel) wurden nach Norden verlegt; die eine in die Nähe von Haifa, die andere nach Galiläa. Parallel dazu führt der israelische Berater für Nationale Sicherheit Yaakov Amidror seit dem 28. Januar in Moskau Gespräche über das Problem der syrischen Chemiewaffen. Die jetzigen Luftschläge könnten auch ein Signal an Moskau sein, das Israels Entschlossenheit zeigen soll, sich dieser Bedrohung zu erwehren.



Der breitere Hintergrund für diese Besorgnisse in Israel ist die allgemeine Verschlechterung seiner Sicherheitslage seit Beginn des "Arabischen Frühlings". In Ägypten stellt inzwischen die Moslembruderschaft den Friedensvertrag von 1978 offen in Frage. In Jordanien wackelt die Herrschaft des haschemitischen Königshauses; auch dort könnten die Moslembrüder demnächst die Macht übernehmen. Israel hat keinen langfristig verläßlichen Friedenspartner mehr.

Die gestrigen Einsätze dienten der Prävention von Gefahren, die im Norden Israel bedrohen. Auch an seiner Südgrenze rüstet das Land auf. Innerhalb der dort stationierten 80. Division ist eine neue Brigade gebildet worden, die speziell für die Sicherheit an der Sinaigrenze zuständig ist. Dort wurden auch neue Zäune und andere Grenzanlagen errichtet.

Zur Sicherheitslage Israels siehe auch:
Gaza, die langfristige Gefahr für Israel und die mögliche Rolle der Türkei; ZR vom 9. 6. 2010

Aufruhr in Arabien (17): Israels Dilemma. Dreißig Jahre nach dem Friedensvertrag mit Ägypten ist das Land wieder bedroht; ZR vom 26. 3. 2011

Schlechte Nachrichten aus Israel; ZR vom l8. 4. 2011

"Die ägyptische Revolution hat Israel erreicht". Haaretz über die heutigen Anschläge und die Lage an Israels Südgrenze; ZR vom 18. 8. 2011

Stratfors Analysen: "Israel muß sich auf einen Sturm einrichten". George Friedman über die Lage im Nahen Osten (mit deutscher Zusammenfassung); ZR vom 24. 8. 2011

Aufruhr in Arabien (20): Israel zwischen der Machtpolitik der Türkei und einem instabilen Ägypten; ZR vom 15. 9. 2011

Aufruhr in Arabien (30): Israel ist von allen Seiten bedroht. Die gegenwärtige Entwicklung macht eine Lösung des Palästinenser-Problems unmöglich; ZR vom 15. 8. 2012

Stratfors Analysen: "Israels Überleben steht auf dem Spiel". Reva Bhalla über die neue strategische Lage im Nahen Osten (englisch mit deutscher Zusammen­fassung); ZR vom 12. 12. 2012
Zettel



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