28. Januar 2013

Laura Himmelreich ein Opfer? Ja, aber nicht Brüderles, sondern des Medienbetriebs. Ausgleichende Ungerechtigkeit

Die Journalistin Laura Himmelreich könnte einem leidtun. Könnte. Denn was ihr jetzt widerfährt, das hat sie sich selbst eingebrockt.

Sie hat - ob nun aus eigenem Enschluß, ob dazu von ihrem Ressortchef oder der "Stern"-Chefredaktion beauftragt - einen der miesesten Artikel verfaßt, die in letzter Zeit in Deutschland über einen Politiker geschrieben wurden; es war der Versuch, den designierten FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle als einen lüsternen, herumwitzelnden alten Mann zu entlarven, ihn also als Politiker unmöglich zu machen (siehe Wehklagen über "Sexismus". Cora Stephan zur Brüderle-"Affäre"; ZR vom 27. 1. 2013).

Noch bevor diese Ausgabe des "Stern" am Donnerstag an den Kiosken war, hatte die Hauptstadtredaktion aber eine noch bessere Idee: Den Artikel nicht so sehr als Anti-Brüderle-Beitrag zu vermarkten, sondern eher als Anti-Sexismus-Beitrag. Dazu erschien am frühen Nachmittag des Mittwoch ein Vorbericht der Berliner Redakteure Franziska Reich und Andreas Hoidn-Borchers (siehe "Brüderle und die anderen schamlosen Böcke in Nadelstreifen"; ZR vom 24. 1. 2013).

Sex sells. Sexism sells even better. Die Rechnung ging auf; der "Stern" hatte seine Publicity und darf sich über die Auflage dieser Woche freuén.

Und die Autorin Laura Himmelreich wurde fortan nicht mehr als Autorin zitiert und kritisiert, sondern als ein tatsächliches oder vorgebliches Opfer sexueller Belästigung, das sich ein Jahr nach diesem Vorfall endlich der Öffentlichkeit offenbart. Auch ich habe das so gesehen, bevor ich den Artikel im "Stern" gelesen hatte.



Und was sagt nun Laura Himmelreich selbst dazu? Nichts. Oder jedenfalls fast nichts.

Ja, ist das denn nicht ein Glücksfall für die Karriere einer Journalistin, in Deutschland überall in den Schlagzeilen zu sein; Anlaß für unzählige Debatten in den Familien, an den Stammtischen, im Internet zu werden? (Der betreffende Thread in Zettels kleinem Zimmer hat es seit Donnerstag auf mehr als 200 Kommentare und mehr als 20.000 Aufrufe gebracht).

Statt sich in dieser plötzlichen Popularität zu sonnen, ist Laura Himmelreich abgetaucht. Als gestern bei Jauch über ihren Artikel diskutiert wurde, fehlte sie; gewiß hätte man sie liebend gern dabeigehabt.

Seit ihrer plötzlichen Berühmtheit ist sie weder im Hörfunk noch im TV aufgetreten; sie hat keiner Zeitung und keiner Agentur ein Interview gegeben. Die einzige Äußerung, die über einen Tweet hinausgeht, hat sie nach meiner Kenntnis am Mittwoch Nachmittag oder Donnerstag Vormittag gegenüber dem Deutschlandfunk gemacht; und zwar, wie es scheint, in Form einer schriftlichen Stellungnahme. In dem Artikel auf der WebSite des Senders heißt es:
Der Tenor ihres Artikels sollte nie sein: Sie wurde von Rainer Brüderle belästigt und jetzt will sie ihn an den Pranger stellen. Das erklärt die "Stern"-Autorin Laura Himmelreich gegenüber dem Deutschlandfunk. Ins Mikrofon will sie nichts sagen, doch liegt ihr daran, ihre Intention des Artikels persönlich klar zu stellen. (...)

Ihre Absicht sei es gewesen, aufzuzeigen, dass Brüderle ein Politiker sei, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint.(...) Sie finde es wichtig, dass die Debatte über den Umgang zwischen Politikern und jungen Journalistinnen geführt werde. Allerdings habe sie nie beabsichtigt, diese Debatte anzustoßen.
Sie hatte, das macht die Lektüre ihres Artikels klar, nur beabsichtigt, Brüderle als Politiker in den Orkus zu stoßen.

Jetzt steht sie als armes Opfer da, die Laura Himmelreich, die nie ein Opfer Brüderles gewesen war und auch nie behauptet hatte, unter einer Belästigung durch Brüderle gelitten zu haben.

Sie hat auch nach jener Nacht im Stuttgarter Hotel noch freundlichem Umgang mit ihm gepflegt, wie gestern die F.A.S. zu berichten wußte (Kommentar #34). Dort schildert die Bauernfamilie Holling in Schleswig-Holstein einen Besuch Brüderles auf ihrem Hof; mit Laura Himmelreich im Troß der Journalisten:
Brüderle durfte einst im Esszimmer Platz nehmen. (...) Auch Laura Himmelreich hat damals am Esszimmertisch gesessen. (...) Ihr Umgang mit Brüderle sei freundlich gewesen. Nach etwa zwei Stunden ist der FDP-Politiker zum nächsten Termin aufgebrochen. Himmelreich hat sich zu ihm in den Dienstwagen gesetzt, gut zwei Monate nach dem Vorfall in der Hotelbar.
Und weiter schreibt die F.A.S.:
Auch hatte sie sich von Brüderle, wie der "Stern" mitteilt, zu keiner Zeit sexuell belästigt gefühlt, schon gar nicht bedroht.
Deutlicher kann ein Dementi eigentlich kaum ausfallen.

Aber was soll's? Laura Himmelreich kann richtigstellen, soviel sie will. Das Image der armen jungen Frau, die von einem der "schamlosen Böcke in Nadelstreifen" (so ihre "Stern"-Kollegen Reich und Hoidn-Borchers über den designierten Spitzen­kandidaten der FDP) belästigt wurde, wird sie nicht mehr loswerden.



Nicht eben förderlich für eine Karriere als politische Journalistin, die sich auch noch auf die FDP spezialisiert hatte. Deren Politiker dürften um Laura Himmelreich jetzt einen weiten Bogen machen; und nicht nur die der FDP.

Dumm gelaufen. Sie wollte Brüderle politisch unmöglich machen und hat sich nun selbst als Journalistin unmöglich gemacht. Sie ist Opfer nicht schamloser sexueller Belästigung, sondern der Schamlosigkeit des Medienbetriebs geworden, der sich wenig um die Wahrheit schert, wenn es Auflage zu machen und Quoten zu erreichen gilt.

Dieser Betrieb hat Laura Himmelreich die Rolle des Opfers zugewiesen, ob sie will oder nicht. Ihr wird Unrecht getan. Aber nach der Art, wie sie sich mit ihrem Artikel gegenüber Rainer Brüderle benommen hat, kann man das als ausgleichende Ungerechtigkeit sehen. Kein Mitleid also mit Laura Himmelreich.

Es sei denn, sie hätte den Mumm, doch noch vor die Öffentlichkeit zu treten und zu sagen: Es gibt keinen Grund für Herrn Brüderle, sich bei mir zu entschuldigen, wie das laut einer Umfrage für "Bild am Sonntag" 90 Prozent der Deutschen verlangen. Der Vorfall an der Hotelbar war auch nicht "skandalös", wie 56 Prozent glauben. Ich bin es, die sich für einen mißratenen Artikel bei Herrn Brüderle zu entschuldigen hat.

Wenn sie etwas von dieser Art sagen würde, die Journalistin Laura Himmelreich, dann hätte sie wieder jedenfalls meinen Respekt. Und hätte ja vielleicht den ersten Schritt auf dem Weg zurück zur ernstzunehmenden Journalistin getan.
Zettel



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