Wolfgang Thierses arg provinzielle, um nicht zu sagen ossihaft provinziellen Mosereien sind auf ein bemerkenswert großes Echo gestoßen. Vielleicht, weil die Nachrichtenlage in den letzten Tagen wenig hergab. Vielleicht aber auch, weil Thierse einen Nerv getroffen hat; in all seiner Unbeholfenheit doch etwas angesprochen hat, das Resonanz auslöst.
Wie sehen wir einander eigentlich, wir Angehörigen der deutschen Stämme?
Deutschland, das ganze Deutschland, war nur wenige Jahre lang ein Einheitsstaat; unter den Nazis. Dann noch das halbe Deutschland; unter den Kommunisten, die von Mecklenburg bis Sachsen die Länder in "Bezirke" zerschlugen.
Zum Totalitären gehört stets auch das Glattbügeln. Aber sonst waren die Deutschen immer Schwaben, Preußen und so weiter und so fort.
Als ich die Daten für meinen Wehrpaß ausfüllen sollte, mußte ich mich erstmals bekennen. In das Formular nämlich war einzutragen: "Landsmannschaft". Ich habe lange nachgedacht und mich dann für mein Geburtsland entschieden; Hessen. Das paßte noch am ehesten.
Inzwischen habe ich hier und dort gewohnt und gearbeitet; ziemlich querbeet. Der einzige Dialekt, den ich halbwegs kann, ist aber immer noch das Hessische. Irgendwie bin ich wohl Hesse geblieben. Ein Haspel oder Rippchen mit Kraut und Kartoffelbrei, dazu ein Äbbelwoi, das ist für mich immer noch schwer zu übertreffen.
Jedenfalls nicht von Spätzle mit Linsen und einer Wurst obendrauf. Oder von Labskaus. Oder gar einem Töttchen, dieser fürchterlichen Speise der Münsteraner.
Sie sehen, ich habe Vorurteile. Es sind im einzelnen diese; von Süden nach Norden:
Die Alemannen, vor allem die am Bodensee, sind ein melancholisches Völkchen; dabei kultiviert und hedonistisch. Ihr Nationaldichter ist Martin Walser. Sie verstehen sich aufs gute Essen und Trinken wie sonst niemand in Deutschland. Das haben sie ihren Nachbarn in der Schweiz und in Frankreich abgeguckt.
Die Schwaben, teils in Bayern und teils auch in ihrem Nationalstaat Baden-Württemberg wohnend, werden für mich noch immer von den Tübinger Zimmerwirtinnen verkörpert, die ich als Student erlebt habe. Das sagt alles.
Die Franken - sie sind fast so angenehm wie die Südbadener. Der einzige deutsche Stamm, der dem Wein ebenso zugetan ist wie dem Bier. Also tolerant. Roman Herzog ist so ein souveräner Franke, und Eckart Henscheid.
Wir Hessen? Ein Stamm am Limes. Also Grenzbevölkerung. Da muß man aufgeweckt sein, auch schlitzohrig. In Hessen ist man laut und schnell.
Die Pfälzer und die westlichen Thüringer rechne ich jetzt einfach zu den Hessen. Die Saarländer sind eh kein Stamm, sondern ein Zufall der Geschichte.
Die südlichen Rheinländer. Sie sind auch nach 1500 Jahren noch geprägt von der römischen Besatzung. Halbe Italiener also; erzkatholisch und damit fast schon Atheisten, auf eine verdächtige Art ständig lustig.
Rheinländer unter sich neutralisieren sich gegenseitig, so halbwegs. Ein Rheinländer allein, unter Angehörigen anderer deutscher Stämme, ist mit seinen ständigen Witzeleien für diese ein Qual.
Die Leute am Niederrhein. Sie haben mit den südlichen Rheinländern keine Gemeinsamkeiten, sondern sind ein düsteres Volk, irgendwie geprägt von den Auen und Marschen des träge dahinfließende Rheins, der bei ihnen seinem Ende entgegengeht.
Die Sachsen. Sie haben mich nicht enttäuscht, nach 1990. So vif, so intelligent und zielstrebig, daß sie als erste vergessen machen konnten, daß auch dort einmal DDR gewesen ist. Sie haben sich sozusagen geschüttelt, und weg war das Erbe der Diktatur. Bewundernswert.
Der Ruhrpott. Nirgends habe ich mich in Deutschland so wohlgefühlt wie dort. Eine urbane Kultur, aber ohne die Arroganz, die Städte wie Berlin und Paris prägt. Man ist zusammengewachsen; vom westfälischen Unna bis hin zum rheinischen Duisburg. "Zuwanderer" wurden schon "integriert", als es beide Wörter noch nicht gab. Polen erst, später die Gastarbeiter. Im Ruhrgebiet geht es ehrlich, tolerant und direkt zu.
Die Preußen. Es wird Zeit, daß man ihnen wieder ihren ehrlichen Namen gibt, den Berlinern und Brandenburgern. Vielleicht schaffen sie ja irgendwann doch noch die Wiedervereinigung zum Bundesland Preußen. Für mich ist das Fontaneland. Bismarckland auch, das Land des großen Friedrich, auch das Kants; wenn dieser auch ein wenig weiter östlich zu Hause war, aber auch dort war ja Preußen.
Hanseland und Waterkant. Von allen deutschen Stämmen sind sie mir am fremdesten, die Küstenbewohner von Friesland bis Vorpommern. Ich mag ihre Landschaft, ihre vom Backstein bestimmten Städte, Dörfer und Kirchen. Aber ich verstehe sie nicht. Im Wortsinn nicht, wenn sie ihr Plattdeutsch sprechen. Auch im übertragenen Sinn oft nicht. Ich verstehe ihren Humor zum Beispiel nicht. Nicht den von Kuddl Schnööf und nicht den von Fritz Reuter.
Ach ja, und die Bayern. Ich kenne sie nicht. Keine Ahnung. Vermutlich sind sie irgendwie alles - bodenständig und modern, liberal und traditionell, grob und kultiviert. Wohlgefühlt habe ich mich in München nie. Aber sie sind schon gut, die Bayern.
Wie sehen wir einander eigentlich, wir Angehörigen der deutschen Stämme?
Deutschland, das ganze Deutschland, war nur wenige Jahre lang ein Einheitsstaat; unter den Nazis. Dann noch das halbe Deutschland; unter den Kommunisten, die von Mecklenburg bis Sachsen die Länder in "Bezirke" zerschlugen.
Zum Totalitären gehört stets auch das Glattbügeln. Aber sonst waren die Deutschen immer Schwaben, Preußen und so weiter und so fort.
Als ich die Daten für meinen Wehrpaß ausfüllen sollte, mußte ich mich erstmals bekennen. In das Formular nämlich war einzutragen: "Landsmannschaft". Ich habe lange nachgedacht und mich dann für mein Geburtsland entschieden; Hessen. Das paßte noch am ehesten.
Inzwischen habe ich hier und dort gewohnt und gearbeitet; ziemlich querbeet. Der einzige Dialekt, den ich halbwegs kann, ist aber immer noch das Hessische. Irgendwie bin ich wohl Hesse geblieben. Ein Haspel oder Rippchen mit Kraut und Kartoffelbrei, dazu ein Äbbelwoi, das ist für mich immer noch schwer zu übertreffen.
Jedenfalls nicht von Spätzle mit Linsen und einer Wurst obendrauf. Oder von Labskaus. Oder gar einem Töttchen, dieser fürchterlichen Speise der Münsteraner.
Sie sehen, ich habe Vorurteile. Es sind im einzelnen diese; von Süden nach Norden:
Die Alemannen, vor allem die am Bodensee, sind ein melancholisches Völkchen; dabei kultiviert und hedonistisch. Ihr Nationaldichter ist Martin Walser. Sie verstehen sich aufs gute Essen und Trinken wie sonst niemand in Deutschland. Das haben sie ihren Nachbarn in der Schweiz und in Frankreich abgeguckt.
Die Schwaben, teils in Bayern und teils auch in ihrem Nationalstaat Baden-Württemberg wohnend, werden für mich noch immer von den Tübinger Zimmerwirtinnen verkörpert, die ich als Student erlebt habe. Das sagt alles.
Die Franken - sie sind fast so angenehm wie die Südbadener. Der einzige deutsche Stamm, der dem Wein ebenso zugetan ist wie dem Bier. Also tolerant. Roman Herzog ist so ein souveräner Franke, und Eckart Henscheid.
Wir Hessen? Ein Stamm am Limes. Also Grenzbevölkerung. Da muß man aufgeweckt sein, auch schlitzohrig. In Hessen ist man laut und schnell.
Die Pfälzer und die westlichen Thüringer rechne ich jetzt einfach zu den Hessen. Die Saarländer sind eh kein Stamm, sondern ein Zufall der Geschichte.
Die südlichen Rheinländer. Sie sind auch nach 1500 Jahren noch geprägt von der römischen Besatzung. Halbe Italiener also; erzkatholisch und damit fast schon Atheisten, auf eine verdächtige Art ständig lustig.
Rheinländer unter sich neutralisieren sich gegenseitig, so halbwegs. Ein Rheinländer allein, unter Angehörigen anderer deutscher Stämme, ist mit seinen ständigen Witzeleien für diese ein Qual.
Die Leute am Niederrhein. Sie haben mit den südlichen Rheinländern keine Gemeinsamkeiten, sondern sind ein düsteres Volk, irgendwie geprägt von den Auen und Marschen des träge dahinfließende Rheins, der bei ihnen seinem Ende entgegengeht.
Die Sachsen. Sie haben mich nicht enttäuscht, nach 1990. So vif, so intelligent und zielstrebig, daß sie als erste vergessen machen konnten, daß auch dort einmal DDR gewesen ist. Sie haben sich sozusagen geschüttelt, und weg war das Erbe der Diktatur. Bewundernswert.
Der Ruhrpott. Nirgends habe ich mich in Deutschland so wohlgefühlt wie dort. Eine urbane Kultur, aber ohne die Arroganz, die Städte wie Berlin und Paris prägt. Man ist zusammengewachsen; vom westfälischen Unna bis hin zum rheinischen Duisburg. "Zuwanderer" wurden schon "integriert", als es beide Wörter noch nicht gab. Polen erst, später die Gastarbeiter. Im Ruhrgebiet geht es ehrlich, tolerant und direkt zu.
Die Preußen. Es wird Zeit, daß man ihnen wieder ihren ehrlichen Namen gibt, den Berlinern und Brandenburgern. Vielleicht schaffen sie ja irgendwann doch noch die Wiedervereinigung zum Bundesland Preußen. Für mich ist das Fontaneland. Bismarckland auch, das Land des großen Friedrich, auch das Kants; wenn dieser auch ein wenig weiter östlich zu Hause war, aber auch dort war ja Preußen.
Hanseland und Waterkant. Von allen deutschen Stämmen sind sie mir am fremdesten, die Küstenbewohner von Friesland bis Vorpommern. Ich mag ihre Landschaft, ihre vom Backstein bestimmten Städte, Dörfer und Kirchen. Aber ich verstehe sie nicht. Im Wortsinn nicht, wenn sie ihr Plattdeutsch sprechen. Auch im übertragenen Sinn oft nicht. Ich verstehe ihren Humor zum Beispiel nicht. Nicht den von Kuddl Schnööf und nicht den von Fritz Reuter.
Ach ja, und die Bayern. Ich kenne sie nicht. Keine Ahnung. Vermutlich sind sie irgendwie alles - bodenständig und modern, liberal und traditionell, grob und kultiviert. Wohlgefühlt habe ich mich in München nie. Aber sie sind schon gut, die Bayern.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette vom Autor TUBS unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported-Lizenz freigegeben. Bearbeitet.