3. Januar 2013

Zettels Meckerecke: Augstein Antisemit? Wen intereressiert's? Aber die Ressentiments, die in dieser Diskussion hochkommen, sind schon bemerkenswert

Das fängt ja gut an, das Jahr 2013. Erst macht ein inzwischen schon fast unbekannter Berliner, auch Würdenträger im Bundestag, Schlagzeilen, weil er die Schwaben nicht mag. Dann bricht eine Diskussion über einen miserablen Journalisten los; einen belanglosen Schreiber, der seinen Einfluß allein dem Erbe des Manns verdankt, dessen Namen er trägt. Politik von unten, sozusagen.

Ob Jakob Augstein ein Antisemit ist, das interessiert mich ungefähr so sehr wie die sexuelle Orientierung meines Bäckers oder die politische Meinung der netten Frau, die bei uns die Pakete von Amazon bringt. Soll er doch denken, was er will. Einen Bodensatz gibt es immer.

Aber nun ist sie also losgebrochen, diese Diskussion. In "Zeit-Online" ist der im Augenblick meistkommentierte Artikel (gegenwärtig 455 Kommentare) "Israel - Wer hasst da wen? Das Simon-Wiesenthal-Zentrum diffamiert einen Israel-Kritiker"; geschrieben von einem gewissen Frank Drieschner, der mir erstmals vor drei Jahren aufgefallen ist, als er die kommunistischen Methoden Chinas als Vorbild für die Klimapolitik empfohlen hat (Deutschland im Öko-Würgegriff (20): "Hilft nur die Öko-Diktatur?" Über einen Aufsatz in der einst liberalen "Zeit"; ZR vom 6. 12. 2009).

Einen Fall Jakob Augstein gibt es nicht; ihn sollte es jedenfalls nicht geben, angesichts des bescheidenen Rangs dieses Mannes, von dem ich noch keinen gescheiten Satz gelesen habe. Aber was in Deutschland, anläßlich von Augstein, sich da in einigen linken Medien ausbreitet, das kann man nun nicht einfach übergehen.

Dieser Frank Drieschner also schreibt, und der zuständige Ressortchef von "Zeit-Online" läßt das durchgehen, Sätze wie diese:
Die Frage ist, ob sie womöglich gemeinsam durchdrehen: Israel, das Land, das sich anschickt, eine Zwei-Staaten-Lösung durch neue Siedlungen endgültig zu verhindern, während zwei Drittel seiner jüdischen Bewohner nach einer aktuellen Umfrage den Palästinensern in einem gemeinsamen Staat die Bürgerrechte verweigern wollen. Und seine Lobby, die soeben in Gestalt des renommierten Simon-Wiesenthal-Zentrums den deutschen Journalisten Jakob Augstein zu einem der schlimmsten Antisemiten der Welt erklärt hat.
Die "jüdischen Bewohner" Israels; das sollte man sehr genau lesen.

Eine Zwei-Staaten-Lösung wäre bekanntlich einer großen Mehrheit der Israelis liebend gern recht, wenn der zweite Staat ein friedlicher Nachbarstaat wäre und nicht ein Staat, der von der Hamas beherrscht werden würde; die nun allerdings den Staat Israel zu vernichten trachten wird, sobald sie in diesem zweiten Staat die Macht hat.

Die "jüdischen Bewohner" Israels haben, unterstützt von ihrer "Lobby", eine gewisse Neigung, am Leben bleiben zu wollen. Was ihnen offenbar aus der Sicht Drieschners nicht zu verzeihen ist, der auch schreibt:
Wie kann man ernsthaft bestreiten, dass Israel in Gaza seine eigenen Gegner heranzüchtet, wie Augstein beobachtet?
Israel hat bekanntlich seine Gegner nicht herangezüchtet, sondern es hat den Palästinensern in einem unilateralen Rückzug, unter Räumung aller israelischer Siedlungen, den Gazastreifen 2005 freiwillig überlassen. Daß sie die damit ausgestreckte Hand des Friedens ergriffen haben, die Palästinenser, wird man nicht unbedingt sagen können.

Die Vorstellung, die Hamas sei eigentlich friedlich und werde nur durch die Sanktionen Israels so gereizt, daß sie sich in ihrer Verzweiflung leider mit dem Abschießen von Raketen auf Zivilisten wehren muß, ist ungefähr so nah an der Wirklichkeit wie die Idee, daß unsere deutschen Neonazis nur deshalb zur Gewalt neigen, weil sie von den Medien so unfair behandelt werden.

Aber gut, Drieschner. Er ist ja noch négligeable gegen das, was sich in der "Frankfurter Rundschau" sein Kollege Christian Bommarius geleistet hat; Überschrift "Broder diffamiert Augstein":
Beleidigen kann jeder, diffamieren, lügen und rufmorden auch, aber in einem Satz eine Person gleichzeitig beleidigen, diffamieren, über sie Lügen verbreiten und einen Rufmord begehen, das kann in der deutschen Publizistik nur einer. Und es ist nicht das erste Mal.

Es spricht für den deutschen Rechtsstaat, dass Henryk M. Broder bis heute frei herumläuft, aber es spricht gegen das Simon-Wiesenthal-Center, dass es den Lügen und Verleumdungen dieser trostlosen Witzfigur aufgesessen ist. Wer Broder Glauben schenkt, der vertraut auch einem Bankräuber sein Bargeld an und einem Kannibalen die Ehefrau.
Einem Kannibalen die Ehefrau.

Wenn sich solche Phantasien Bahn brechen, wenn sie Eingang in eine Zeitung finden, die einmal geachtet gewesen war, dann ist das schon ein Thema.

Da blitzt ein Ressentiment auf, ja ein Haß, von dem es mir egal ist, ob er antisemitisch oder sonstwie motiviert ist. Es ist jedenfalls der blanke Haß. Krank.
Zettel



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