27. Januar 2013

Zitat des Tages: Wehklagen über "Sexismus". Cora Stephan zur Brüderle-"Affäre"

Wenn schon ein wenig gelungener Auftritt eines offenbar nicht mehr ganz nüchternen Politikers in einer Bar zur späten Stunde alle weibliche Welt über "Sexismus" wehklagen lässt, dann frag ich mich, wie wir künftig Verhalten nennen wollen, das wirklich sexistisch ist. Weil es handgreiflich und gewalttätig Frauen ihrer Freiheit und ihrer körperlichen Unversehrtheit beraubt.
Cora Stephan heute in der "Welt" unter der Überschrift "Frauen können sich wehren, wenn sie denn wollen".

Kommentar: Endlich eine Stimme der Vernunft in dieser schrillen, überzogenen und von Anfang an unehrlichen Diskussion über Brüderle und Sexismus. Cora Stephan schreibt das, was zu diesem Thema zu sagen ist. Unbedingt lesenswert.

Es ist eine trübe, freilich eine für das Deutschland dieser Tage sehr bezeichnende sogenannte Affäre, die da durch einen Bericht im "Stern" - oder vielmehr durch einen Vorbericht dazu in "Stern-Online" am vergangenen Mittwoch - ausgelöst wurde (siehe Zettels Meckerecke: "Brüderle und die anderen schamlosen Böcke in Nadelstreifen". Die linke Diffa­mie­rungs­kampagne gegen die FDP ist angelaufen; ZR vom 24. 1. 2013).

Die Journalistin Laura Himmelreich hatte die Idee, einen Artikel über Rainer Brüderle dadurch aufzumotzen, daß sie ihn gewissermaßen einrahmte in eigenes Erleben; ihn dadurch farbiger machend, wie man das auf der Journalistenschule so lernt. Also beginnt sie mit der Erinnerung an jene Nacht an der Hotelbar, von der inzwischen ganz Deutschland weiß, und sie beendet ihren Artikel mit dieser Erinnerung ("Der Herrenwitz"; "Der Stern" 5/2013 vom 24. 1. 2013, S. 46-50).

Was dazwischen zu lesen ist, das ist ein mieses Porträt von Rainer Brüderle. Ein mieses Porträt im doppelten Sinn:

Himmelreich verwendet die miese Masche, einen Politiker nicht mit Kritik an seiner Leistung zu bewerten, sondern indem man ihn als Menschen fertigzumachen trachtet. Was immer der Rheinpfälzer einmal locker witzelnd dahingesagt hat, sei es bei der Besichtigung des Betriebs eines Milchbauern, sei es bei Harald Schmidt, darf gegen ihn verwendet werden. Eine Methode, mit der man jeden Politiker, der nicht ständig vom Teleprompter liest und der auch nicht die eiserne Disziplin Angela Merkels hat, niedermachen kann.

Mies zweitens, weil Brüderle als ein Miesling vorgeführt werden soll; als ein zotenreißender, unbedarfter, dem Alkohol zugetaner alter Mann, der "als Wahlkämpfer nicht für einen neuen Aufbruch" tauge. Großzügig räumt die Autorin ein, daß er sich immerhin "nicht immer wie ein Sexist" verhalte. Na toll.

Ansonsten ist dies aber kein Artikel wider den Sexismus. Daß die Autorin sich durch das nunmehr deutschlandweit bekannte Verhalten Brüderles sonderlich belästigt gefühlt hätte, geht aus dem Artikel nicht hervor. Sie schildert das, nicht um sich zu beklagen, sondern um Brüderle als einen unappetitlichen Zeitgenossen zu denunzieren.

Den Dreh in Richtung Sexismus hat das erst durch den Vorbericht bekommen, geschrieben von zwei anderen "Stern"-Journalisten. Was ich am Mittwoch zu diesem Thema ironisch angemerkt habe, trifft also diese beiden - Franziska Reich und Andreas Hoidn-Borchers - und nicht die Autorin Himmelreich. Eine Traumatisierung läßt sie in ihrem Artikel gewiß nicht erkennen.

Seit diesem Vorbericht läuft die absurde Diskussion, die Cora Stephan so trefflich analysiert.

Thomas Osterkorn und Andreas Pätzold haben, sozusagen zur Feier ihres Wechsels auf die Stühle von Herausgebern des "Stern", noch einmal einen Coup gelandet. Einen doppelten gleich: Sie haben der verhaßten FDP mit der Demontage ihres noch nicht einmal offiziell gekürten Spitzenkandidaten einen kräftigen Schlag versetzt; und sie haben ihr Blatt endlich einmal wieder in die Schlagzeilen und in die TV-Nachrichten gehievt. In der "Stern"-Redaktion dürfte in den letzten Tagen mancher Sektkorken aus der Flasche geflogen sein.



Wie konnte diese lächerlich unbedeutende Hotelbar-Episode, die der Journalistin Laura Himmelreich damals offenbar nicht geschadet hat, die ihr jetzt aber zu einem effektiven Einstieg und Schlußgag für ihren Artikel verhalf, derart Wellen schlagen?

Nicht wegen der FDP; nicht wegen Brüderle. Sondern weil hier endlich einmal wieder ein Klischee bestätigt wurde, das zur Moral unserer ideologisierten Gesellschaft gehört wie die Klimareligion, der Pazifismus und der Gesundheitswahn.

Cora Stephan macht darauf aufmerksam, daß eine Frau an der Hotelbar ja schließlich nicht wehrlos ist und schlägt allerlei Gegenwehr vor, vom Lächerlichmachen bis zu einem gezielt eingesetzten Glas Wasser oder Wein ("Dieses Glas geht auf meine Rechnung"). Dann schreibt sie:
Aber das ist offenbar zu praktisch gedacht. Es ist womöglich gar zu männlich gedacht. Denn viele Frauen wollen Probleme keineswegs lösen. Sie wollen sie behalten, schon um der Welt zu zeigen, wie unendlich verbesserungswürdig sie ist. Mann soll sich ändern. Die Welt soll sich ändern. Nur sie selbst nicht. Sie sind ja Opfer.

Das ist das Hinterhältige am Opfer-Diskurs: er schließt aus, dass man etwas dagegen tun könnte, ein Opfer zu sein. Denn dann wäre man ja auch den Opfer-Bonus los – oder darf man das jetzt wieder nicht sagen, wegen "Opfer-Abo"? Ach was. Man muss es sagen.
So ist es. In früheren Gesellschaften zahlte es sich aus, stark zu sein und erfolgreich. In unserer Gesellschaft bringt kaum etwas mehr Ertrag, als benachteiligt zu sein, ein Opfer, schwach und hilfsbedürftig.

Laura Himmelreich macht - soweit man da aus ihrem Artikel schließen kann - nicht den Eindruck, daß sie sich Brüderles nicht hätte erwehren können, wenn sein Verhalten sie denn gestört hätte. Sie hat das damals aber nur registriert und offenbar einiges wörtlich notiert; das hat sie jetzt journalistisch verwursten können. Das ist alles.

Aber ihr Artikel, und vor allem der Vorbericht in "Stern-Online", paßte nur allzu gut in unser zunehmend duckmäuserisches, von Fingerheben à la Fromme Helene geprägtes gesellschaftliches Klima; paßt in die prüde, von Verbotsphantasien erfüllte Tugendrepublik, zu der unser Land sich zu entwickeln im Begriff ist (siehe Überlegungen zur Freiheit (13): Tugendrepublik Deutschland; ZR vom 30. 6. 2012).

Wie erfreulich, wie befreiend ist es da, zu lesen, was Cora Stephan über Frauen schreibt:
... manche von ihnen wünschen sich gar keine von dummen Sprüchen und sexistischer Anmache porentief gereinigte und triebbefreite Welt, auch wenn sie das eine oder andere männliche Gehabe übel, empörend oder störend finden. (...)

Als ob nicht die Möglichkeit eines Missverständnisses das Reizvolle am Flirt ist.

Den darf man demnächst begraben, wenn es keinen Raum mehr gibt für Zwischentöne, für alles, was zwiespältig, riskant, hart an der Grenze oder über sie hinaus, andeutend und anzüglich ist.

Schöne neue cleane angstbesetzte prüde Welt. Gegen diese Schreckensvision würde ich die nicht mehr ganz frischen Herrenwitz-Schwadroneure in Kauf nehmen.
Zettel



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