14. Januar 2013

"Wagenknecht macht Bogen um Stalinismusopfer". Wagenknecht, Ulbricht und Rosa Luxemburg


Hier sehen Sie Sahra Wagenknecht, gestylt als die zweite Rosa Luxemburg. Sie ist bekennende Kommunistin; ihre Mitgliedschaft in der "Kommunistischen Plattform", zu deren Führungsriege sie seit 1991 zählt, ruht lediglich, seit sie im Februar 2010 ihre Kandidatur für den stellvertretenden Vorsitz der Partei "Die Linke" anmeldete.

Gestern fand die alljährliche Liebknecht-Luxemburg-Demonstration statt, zu der Sie nähere Informationen hier finden. Dazu gehört der Besuch der "Gedenkstätte der Sozialisten" auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin-Lichtenberg, wo rote Nelken und Kränze niedergelegt werden. Wie stets nahm in vorderster Reihe die Prominenz der Partei "Die Linke" teil.

Nun existiert seit 2006 neben dieser Gedenkstätte auch ein kleiner "Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus", wo die Parteiführung inzwischen ebenfalls zu einem kurzen Gedenken verweilt. Dazu gestern die "Welt" unter der Überschrift: "Linkspartei - Wagenknecht macht Bogen um Stalinismus­opfer":
Würde Sahra Wagenknecht, Vizefraktionschefin der Linken mit höheren Ambitionen und Ex-Frontfrau der Kommunistischen Plattform, auch am Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus haltmachen?

Um ihn wird in der Linken bis heute gestritten. Als er 2006 aufgestellt wurde, hatte Wagenknecht ihn als "Provokation für viele Sozialisten und Kommunisten" bezeichnet.

In diesem Punkt blieb sich die 43-Jährige denn auch treu. Nachdem sie an der Gedenkstätte der Sozialisten gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Oskar Lafontaine einen Kranz niedergelegt hatte, machte sie um den Gedenkstein für die Stalinismusopfer einen großen Bogen – im Gegensatz zu den beiden Linke-Chefs Bernd Riexinger und Katja Kipping sowie Fraktionschef Gregor Gysi.



Sarah Wagenknecht wurde 1992 deutschlandweit bekannt mit einem Aufsatz in den Weißenseer Blättern, in dem sie nicht nur Stalin preist, sondern auch die Zeit des Stalinismus in der DDR. Der Text ist weitschweifig. Kernsätze zur Stalinzeit habe ich hier zitiert:
Die deutschen Kommunisten preisen das kommunistische Cuba. Was daran bemerkenswert ist, und was nicht; ZR vom 22. 8. 2011
Vielleicht noch aufschlußreicher ist, wie Wagenknecht die Geschichte der DDR sieht: Unter Ulbricht, den sie nachgerade enthusiastisch lobt, sei die DDR "auf dem besten Weg" gewesen, daß sich dort ein "blühender und über seine Grenzen hinaus anziehender Sozialismus" entwickelte. Dann aber kam die Entspannungspolitik, kam in der DDR Honecker: "Mit der Entspannungspolitik wurde die Krise des Sozialismus eingeleitet, sein Untergang vorbereitet".

Warum ist der real existierende Sozialismus dann schließlich ganz gescheitert? Wagenknecht:
Nicht der "Stalinismus" - der Opportunismus erweist sich als tödlich für die gewesene sozialistische Gesellschaftsordnung; nicht die marxistisch-leninistische Traditionslinie scheiterte, sondern wiederum und zum unzähligen Male die des alten Trade-Unionismus, die Bernsteins und Kautskys, die der reformistischen Sozialdemokratie
Folglich plädierte Wagenknecht gegen eine "Sozialdemo­krati­sierung" der PDS:
Andererseits ist klar, daß, wenn gegenwärtig ein Richtungsentscheid im allgemeinen als verfrüht anzusehen ist, ein Richtungsentscheid zugunsten einer endgültigen Sozialdemokratisierung der PDS im besonderen verheerende Folgen nach sich zöge. (...)

Auch perspektivisch bedarf es einer revolutionären Partei, weil nur sie in der Lage ist, die sozialistische Überwindung des Imperialismus zu propagieren, vorzubereiten und schließlich zu erkämpfen.
Im Jahr 2009 hat sich Sahra Wagenknecht in einem Vortrag von ihren damaligen Äußerungen zu Stalin distanziert. Zu ihrer positiven Beurteilung der Ulbricht-Jahre aber hat sie sich ausdrücklich weiter bekannt:
Dabei ging es in dem Artikel im wesentlichen um die ökonomischen Reformversuche in der DDR der 60er Jahre, das Neue Ökonomische System, dessen Abwürgen 1971 meines Erachtens wesentlich für das Siechtum der DDR-Wirtschaft in den Honeckerjahren verantwortlich war. Dieser Ansicht bin ich bis heute.
Daß es in dem Aufsatz von 1992 zentral aber weder um Stalin noch um Ulbricht ging, sondern um die Richtungs­entscheidung, ob die PDS einen reformistischen oder einen revolutionären Weg geht, das sagte Wagenknecht in diesem Vortrag nicht. Von dem, was sie dazu damals schrieb, hat sie sich nicht distanziert.



Rosa Luxemburg wird heutzutage unermüdlich mit dem Wort von der "Freiheit der Andersdenkenden" zitiert; so, als ob sie eine Demokratin gewesen sei. Sie war aber eine Kämpferin gegen das, wovon Wagenknecht 1992 schrieb - die Position "Bernsteins und Kautskys, die der reformistischen Sozialdemokratie". Also das Akzeptieren der parlamenta­rischen Demokratie.

Was es mit dieser Formulierung von der "Freiheit der Andersdenkenden" auf sich hat (sie ist keineswegs ein Bekenntnis zur politischen Freiheit auch für Nicht­kommunisten) und was Rosa Luxemburg von der parlamentarischen Demokratie hielt (sie hat sie verhöhnt), das können Sie hier nachlesen:
Gesine Lötzsch und die Wege zum Kommunismus (2): Rosa Luxemburg, die Diktatur des Proletariats und die Freiheit des Andersdenkenden; ZR vom 7. 1. 2011
Weitere, ausführliche Zitate aus den "Breslauer Gefängnis­manuskripten", in denen das Wort von der "Freiheit der Anders­denkenden" steht, finden Sie in Zettels kleinem Zimmer. Ich zitiere dort beispielsweise diese Passage von Rosa Luxemburg über die Sozialdemokraten:
Als eingefleischte Zöglinge des parlamentarischen Kretinismus übertragen sie auf die Revolution einfach die hausbackene Weisheit der parlamentarischen Kinderstube: um etwas durchzusetzen, müsse man erst die Mehrheit haben. Also auch in der Revolution: zuerst werden wir eine "Mehrheit". Die wirkliche Dialektik der Revolutionen stellt aber diese parlamentarische Maulwurfsweisheit auf den Kopf: nicht durch Mehrheit zur revolutionären Taktik, sondern durch revolutionäre Taktik zur Mehrheit geht der Weg.
Nach Rosa Luxemburg ist die der Partei "Die Linke" nahestehende Parteistiftung benannt. Wie dort derartige Fragen behandelt werden, habe ich hier zusammengestellt:
Marginalie: 2011 erhält die Rosa-Luxemburg-Stiftung 40 Prozent mehr Bundesmittel als 2010. Wofür eigentlich?; ZR vom 8. 12. 2010



Sahra Wagenknecht hat sich von ihren Äußerungen zu Stalin distanziert; aber nicht von ihrer positiven Beurteilung der Ulbricht-Zeit, nicht von ihrer Ablehnung des "Revisionismus", also eines Verzichts auf die Revolution. Sie steht in der Tradition Rosa Luxemburgs; nicht nur in Auftreten und Habitus.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelbild: Sarah Wagenknecht im NRW-Wahlkampf 2012. Vom Autor Dirk Vorderstraße unter Creative Commons Attribution 2.0 Generic-Lizenz frreigegeben.