Am vergangenen Sonntag wurde gemeldet, daß 57 Prozent der Deutschen den "Vorfall" an der Stuttgarter Hotelbar, den inzwischen ganz Deutschland kennt, für "skandalös" halten. Gestern wurde gemeldet, daß die Nominierungskommission für den Grimme-Preis, Sparte Unterhaltung, die als "Dschungelcamp" bekannte Sendung von RTL für den Grimme-Preis nominiert hat.
Zwei Schlaglichter auf das Deutschland des Jahres 2013; ein Land, das sich auf eine seltsame Weise zwischen Trash und Tugend bewegt. Oder, da Bewegung eigentlich nicht wahrzunehmen ist, vielmehr zwischen Tugend und Trash hängt, nach Art der Bradypodidae.
Dieses gegenwärtige Deutschland delektiert sich am Ekelhaften, an der inszenierten Erniedrigung von Menschen; am voyeuristischen Blick auf ihre Körper, an persönlichen Gesprächen zwischen ihnen, belauscht von allgegenwärtigen Mikrophonen in einem "Dschungelcamp", das in Wahrheit als künstlicher Drehort auf einer australischen Farm angelegt wurde.
Sie haben dem allen ja ausdrücklich zugestimmt, diese "Kandidaten"; und sie werden gut dafür bezahlt, sich das anzutun. Das findet die Nominierungskommission für einen, wie man so sagt, "renommierten" Kulturpreis wert, prämiert zu werden (siehe "Dschungelcamp" für den Grimme-Preis nominiert. Nein, kein Karnevalsscherz; ZR vom 29. 1. 2013).
Nun ja, könnte man interpretieren, dies ist eben eine permissive Gesellschaft; eine Gesellschaft, welche die Schranken der Privatheit, des Respekts vor der Menschenwürde hinter sich gelassen hat; die es toleriert, ja genießt und nun gar prämieren will, wenn gezeigt wird, wie Menschen vor Angst und Ekel zittern.
Aber diese selbe deutsche Gesellschaft des Jahres 2013 empört sich kollektiv, wenn herauskommt, daß jemand nachts an der Bar einer Frau auf den Busen geschaut und dazu eine plump-anzügliche Bemerkung gemacht hat. Offenbar dieselben Menschen, die sich daran erfreuen, wie junge Frauen in diesem "Dschungelcamp" auf massivste Weise ihrer Würde beraubt werden, entrüsten sich nun über den unzüchtigen Blick und einen unbeholfenen Flirtversuch in der nächtlichen Bar.
Als ich die erste und einzige Sendung der jetzt beendeten Staffel von "Ich bin ein Star, holt mich hier raus", die ich gesehen habe, ausschaltete, weil ich es nicht mehr ertragen konnte, sollte gerade eine junge Frau, die man in ein zuvor mit stinkendem Fisch parfümiertes "Hochzeitskleid" gesteckt hatte und auf deren Kopf Würmer herumkrochen, einen jungen Mann küssen, wobei zwischen beider Lippen ein Ungeziefer eingeklemmt gehalten werden mußte; wenn ich mich recht erinnere, eine Kakerlake.
Der junge Mann hat den Kuss allerdings mit Verweis darauf abgelehnt, daß er in einer festen Beziehung sei. Ob ihm das einen Punktabzug eingebracht hat, weiß ich nicht. An dieser Stelle habe ich abgeschaltet.
Dergleichen ist für die Deutschen unsrer Zeit gut, ist lustig, ist preiswürdig. Der Blick auf den Busen einer jungen Frau ist obszön, für 57 Prozent der Deutschen "skandalös".
Was ist los mit dieser Nation? Tickt sie noch richtig, unsere Gesellschaft? Wie hält sie diesen Spagat zwischen dem Verlust jeder Scham und einer nachgerade viktorianischen Tugendhaftigkeit aus, die - Cora Stephan hat es glänzend formuliert - eine "von dummen Sprüchen und sexistischer Anmache porentief gereinigte und triebbefreite Welt" anstrebt?
Triebbefreit die reale Welt, und die TV-Welt bietet umso hemmungsloser die Befriedigung analer, sadistischer, voyeuristische Komponenten der polymorph-perversen Triebhaftigkeit, die nach Ansicht Freuds in uns allen zu finden ist? Aber wie will eine Gesellschaft eine solche Kluft zwischen öffentlichen Phantasien und der realen Öffentlichkeit durchhalten?
Oder stehen hier zwei Teile unserer Gesellschaft im Kampf miteinander, die Tugend und das Laster; Libertinage und eine Rückkehr viktorianischer Strenge? Sind wir wieder auf dem Weg in die Doppelmoral; nur daß der lasterhafte Teil diesmal von Allen lustvoll öffentlich ausgelebt werden darf, sofern es nur die mediale Öffentlichkeit ist? Heut' gehn wir ins Maxim, aber nicht mehr im Schutz der Nacht, sondern unter dem Scheinwerferlicht der TV-Aufnahmen?
Oder sind Schamlosigkeit und Tugendhaftigkeit vielleicht zwei Seiten derselben psychischen Befindlichkeit? Einer seelischen Verfaßtheit, der die moralischen Leitlinien abhanden gekommen sind und die darauf zugleich mit einem tapferen everything goes und einer verkrampften Suche nach einem neuen moralischen Kompaß reagiert; sozusagen dürstend nach Moralin?
Zwei Schlaglichter auf das Deutschland des Jahres 2013; ein Land, das sich auf eine seltsame Weise zwischen Trash und Tugend bewegt. Oder, da Bewegung eigentlich nicht wahrzunehmen ist, vielmehr zwischen Tugend und Trash hängt, nach Art der Bradypodidae.
Dieses gegenwärtige Deutschland delektiert sich am Ekelhaften, an der inszenierten Erniedrigung von Menschen; am voyeuristischen Blick auf ihre Körper, an persönlichen Gesprächen zwischen ihnen, belauscht von allgegenwärtigen Mikrophonen in einem "Dschungelcamp", das in Wahrheit als künstlicher Drehort auf einer australischen Farm angelegt wurde.
Sie haben dem allen ja ausdrücklich zugestimmt, diese "Kandidaten"; und sie werden gut dafür bezahlt, sich das anzutun. Das findet die Nominierungskommission für einen, wie man so sagt, "renommierten" Kulturpreis wert, prämiert zu werden (siehe "Dschungelcamp" für den Grimme-Preis nominiert. Nein, kein Karnevalsscherz; ZR vom 29. 1. 2013).
Nun ja, könnte man interpretieren, dies ist eben eine permissive Gesellschaft; eine Gesellschaft, welche die Schranken der Privatheit, des Respekts vor der Menschenwürde hinter sich gelassen hat; die es toleriert, ja genießt und nun gar prämieren will, wenn gezeigt wird, wie Menschen vor Angst und Ekel zittern.
Aber diese selbe deutsche Gesellschaft des Jahres 2013 empört sich kollektiv, wenn herauskommt, daß jemand nachts an der Bar einer Frau auf den Busen geschaut und dazu eine plump-anzügliche Bemerkung gemacht hat. Offenbar dieselben Menschen, die sich daran erfreuen, wie junge Frauen in diesem "Dschungelcamp" auf massivste Weise ihrer Würde beraubt werden, entrüsten sich nun über den unzüchtigen Blick und einen unbeholfenen Flirtversuch in der nächtlichen Bar.
Als ich die erste und einzige Sendung der jetzt beendeten Staffel von "Ich bin ein Star, holt mich hier raus", die ich gesehen habe, ausschaltete, weil ich es nicht mehr ertragen konnte, sollte gerade eine junge Frau, die man in ein zuvor mit stinkendem Fisch parfümiertes "Hochzeitskleid" gesteckt hatte und auf deren Kopf Würmer herumkrochen, einen jungen Mann küssen, wobei zwischen beider Lippen ein Ungeziefer eingeklemmt gehalten werden mußte; wenn ich mich recht erinnere, eine Kakerlake.
Der junge Mann hat den Kuss allerdings mit Verweis darauf abgelehnt, daß er in einer festen Beziehung sei. Ob ihm das einen Punktabzug eingebracht hat, weiß ich nicht. An dieser Stelle habe ich abgeschaltet.
Dergleichen ist für die Deutschen unsrer Zeit gut, ist lustig, ist preiswürdig. Der Blick auf den Busen einer jungen Frau ist obszön, für 57 Prozent der Deutschen "skandalös".
Was ist los mit dieser Nation? Tickt sie noch richtig, unsere Gesellschaft? Wie hält sie diesen Spagat zwischen dem Verlust jeder Scham und einer nachgerade viktorianischen Tugendhaftigkeit aus, die - Cora Stephan hat es glänzend formuliert - eine "von dummen Sprüchen und sexistischer Anmache porentief gereinigte und triebbefreite Welt" anstrebt?
Triebbefreit die reale Welt, und die TV-Welt bietet umso hemmungsloser die Befriedigung analer, sadistischer, voyeuristische Komponenten der polymorph-perversen Triebhaftigkeit, die nach Ansicht Freuds in uns allen zu finden ist? Aber wie will eine Gesellschaft eine solche Kluft zwischen öffentlichen Phantasien und der realen Öffentlichkeit durchhalten?
Oder stehen hier zwei Teile unserer Gesellschaft im Kampf miteinander, die Tugend und das Laster; Libertinage und eine Rückkehr viktorianischer Strenge? Sind wir wieder auf dem Weg in die Doppelmoral; nur daß der lasterhafte Teil diesmal von Allen lustvoll öffentlich ausgelebt werden darf, sofern es nur die mediale Öffentlichkeit ist? Heut' gehn wir ins Maxim, aber nicht mehr im Schutz der Nacht, sondern unter dem Scheinwerferlicht der TV-Aufnahmen?
Oder sind Schamlosigkeit und Tugendhaftigkeit vielleicht zwei Seiten derselben psychischen Befindlichkeit? Einer seelischen Verfaßtheit, der die moralischen Leitlinien abhanden gekommen sind und die darauf zugleich mit einem tapferen everything goes und einer verkrampften Suche nach einem neuen moralischen Kompaß reagiert; sozusagen dürstend nach Moralin?
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette vom Autor TUBS unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported-Lizenz freigegeben. Bearbeitet.