19. Januar 2013

Zitat des Tages: "Die Autonomie des Individuums mit seiner Einwilligung untergraben". Drei Methoden, erwünschtes Verhalten zu erreichen

In manchen Kulturen sind der Genuss von Alkohol oder der Verzehr bestimmter Fleischsorten untersagt. Hierzulande wird lieber gekenn­zeichnet, benannt, vorgesorgt, nachgesorgt, bewertet, informiert, offengelegt, enttarnt, mit einem Siegel versehen, mit einem Negativ-Preis geehrt und so weiter.

Die Autonomie des Individuums mit seiner Einwilligung zu untergraben, ist im Vergleich zur autoritären Erteilung von Befehlen oder Verboten die überlegene Führungsstrategie.
Tanja Dückers heute in "Zeit-Online" unter der Überschrift "Verbotskultur - Der Zwang, freiwillig vernünftig zu sein".

Kommentar: Mit dieser trefflichen kleinen Glosse reagiert Tanja Dückers auf einen kürzlichen Artikel ihrer Kollegin Lisa Caspari, in dem diese die Neigung der "Grünen" zum Verbieten verteidigt hatte (siehe Zitat des Tages: "Die Grünen", Partei der Verbieter; ZR vom 10. 1. 2013). Dückers argumentiert also, das Verbieten sei ja noch nicht das Schlimmste, jedenfalls nicht das Wirkungsvollste: "Denn mehr noch als eine Verbotskultur wirkt hierzulande eine Kultur der freiwilligen strengen Selbstkontrolle".

Sie hat Recht. Tugend per Verbot zu erzwingen, das ist der gröbste, sozusagen der unpsychologischste Weg. Man könnte auch sagen: Es ist der katholische Weg. Der protestantische Weg war es eh und je, nicht beim Verhalten anzusetzen, sondern beim Gewissen.

Menschen, die etwas nur tun oder lassen, weil sie sonst negative Folgen fürchten müssen, sind immer in der Lage, der Lenkung zu entgleiten. Sie sind in dieser Gefahr, aus Sicht der Lenkenden; sie haben diese Chance, aus eigener Sicht.

Sie können ihre Autonomie bewahren, indem sie das geforderte Verhalten zeigen, es aber nicht innerlich bejahen. Da bleibt also viel Freiheit. Oder sie können das Verhalten zeigen und es zugleich dementieren; wie bei dem Verfahren, einen Eid mit nach unten gestrecktem Finger der linken Hand "abzuleiten", ihn also heimlich ungültig zu machen.

Den Innengesteuerten ist alles das verwehrt. Das Gewissen ist unbarmherzig. Man kann es nicht agieren lassen und sich seinen Teil dazu denken, wie bei äußeren Verboten. Man kann es nicht betrügen, wie beim Ableiten des Eids oder bei den Maultaschen der Mönche des Klosters Maulbronn, die das Fleisch durch Umhüllung mit Nudelteig vor dem Herrgott versteckten, so daß sie es auch zur Fastenzeit genießen konnten.

Solche Tricks läßt es nicht zu, unser Gewissen. Wem es verbietet, einen leeren Joghurtbecher in den Restmüll zu befördern statt in den Gelben Sack, der wird das nicht tun, selbst wenn weit und breit kein Beobachter da ist, der das rügen könnte. Er hat ja den inneren Beobachter ständig dabei.



Die ultimative Stufe der Kontrolle freilich ist das noch nicht. Diese hat Burrhus Frederic Skinner in seinem wissenschaftlich fundierten Science-Fiction-Roman Walden Two (1948) beschrieben: Eine Gesellschaft, die von "Planern" und "Managern" derart gesteuert wird, daß jeder automatisch das tut, was das Beste für die Gesellschaft ist; nach Ansicht der Planer und Manager.

Warum verhält er sich so? Weil die contingencies, die Beziehungen zwischen Verhalten und Belohnung, von den Oberen entsprechend festgelegt und ständig optimiert werden. Nur erwünschtes Verhalten wird belohnt.

Damit die meisten Menschen ihre leeren PET-Flaschen brav zu Aldi zurückbringen, bedarf es keines gesetzlichen Gebots und noch nicht einmal eines Befehls des Gewissens. Das Flaschenpfand genügt.
Zettel



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