22. Januar 2013

Das Ziel der französischen Intervention ist "die vollständige Rückeroberung Malis". Was das bedeutet, und was nicht

Falls Sie eine gute halbe Stunde Zeit haben und Französisch verstehen, dann empfehle ich Ihnen, sich die gestrige Hauptnachrichtensendung des malischen Fernsehens anzusehen. Sie bekommen dann einen Eindruck von der Stimmung, die derzeit in Mali herrscht: Eine Welle des Patriotismus, gerichtet auf die reconquête Nordmalis; seine Rückeroberung von den Terroristen (das ist die in dieser Sendung häufigste Bezeichnung für die Dschihadisten). Die französische Intervention hat offenbar eine massive psychologische Wirkung; die Malier glauben jetzt an den Sieg.

Am Sonntag hat der franzlösische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian dieselbe Parole ausgegeben: Das Ziel der Intervention sei die "vollständige Rückeroberung" Malis.

Das klingt vollmundig. Liest man genauer, was der Minister angekündigt hat, und berücksichtigt man die Gegebenheiten in Nordmali, dann relativiert sich das aber.

Le Drian hat vier Aufträge für die französischen Truppen genannt:

▶ Erstens soll der Vormarsch von Gruppen von Terroristen gestoppt werden; von französischer Seite durch Luftschläge und die Unterstützung malischer Truppen.

Damit komme man "ordentlich voran", sagte Le Drian. Ein entscheidender Erfolg war heute die Rückeroberung von Diabaly; es liegt westlich von Mopti und nördlich von Ségou ungefähr auf halber Strecke zur mauretanischen Grenze:


▶ Der zweite Auftrag ist der Luftkrieg gegen die Basen der Dschihadisten im Norden.

Er findet bereits seit Beginn der Intervention statt und hat, wie Stratfor meldete, dazu geführt, daß die Dschihadisten bereits die meisten Städte im Norden verlassen und sich in ihre Unterschlüpfe zurückgezogen haben. Durch Luftschläge soll jetzt, so Le Drian, eine Rückkehr der Terroristen und ihre Neugruppierung verhindert werden; vor allem in die Städte Timbuktu und Gao.

Im Nouvel Observateur hat gestern der Militärexperte und frühere Generalinspekteur der französischen Streitkräfte Alain Coldefy die militärischen Gegebenheiten in Nordmali analysiert. Sie sind durch drei Faktoren gekennzeichnet:
1. Offene Grenzen. Die Grenzen nach Mauretanien, Algerien und Niger sind nicht kontrollierbar (siehe Warum schlug die Regierung Algeriens mit einer solchen Härte zu? Hintergründe der heute beendeten Geiselnahme; ZR vom 19. 1. 2013).

2. Die schiere Größe des Gebiets. Allein Nordmali ist größer als ganz Frankreich.

3. Offenes Gelände, in dem sich bewegende Kolonnen leicht entdeckt werden können.
Ein Terrain mit diesen Gegebenheiten ist durch Bodentruppen nicht vollständig zu kontrollieren. Die Terroristen sind aber äußerst verwundbar durch Luftschläge, sobald sie sich im Gelände bewegen. Also, so Coldefy, sollte das Ziel sein, die Dschihadisten in ihren Verstecken festzunageln. Sobald sie sich bewegen, setzen sie sich Luftangriffen aus.

▶ Als dritten Auftrag nannte Le Drian, die Sicherheit der Bevölkerung in den nicht von den Terroristen kontrollierten Gebieten und der in Mali lebenden Franzosen zu gewährleisten; vor allem in der Hauptstadt Bamako.

▶ Der vierte Auftrag betrifft die Wiedereroberung von Nordmali. Da nun ist die Formulierung Le Drians interessant:
Enfin, la dernière est d'"aider les forces maliennes à se structurer et s'organiser et que la Misma (la force d'intervention ouest-africaine) puisse s'organiser pour aboutir à la reconquête totale du Mali".

Der letzte [Auftrag] schließlich ist, "den malischen Streitkräften dabei zu helfen, sich zu strukturieren und zu organisieren und daß die Misma (die west­afri­ka­nische Interventionstruppe) sich organisieren kann, um schließlich Mali vollständig rückzuerobern".
Von einer Rückeroberung durch französische Truppen spricht Le Drian nicht.



Es zeichnet sich damit der Plan der französischen Intervention ab: Der Schwerpunkt liegt bei der Sicherung des Südens und der Brechung des Widerstands von Terroristen dort, wo sie sich im Süden des Landes festzusetzen versucht hatten; das Beispiel ist Diabaly.

Der Norden soll zwar rückerobert werden, aber nicht von den Franzosen, sondern von malischen und westafrikanischen Truppen. Die französischen Truppen werden ihnen Luftunterstützung geben, logistische Hilfe, werden ihnen Aufklärung zur Verfügung stellen und vielleicht auch Spezialeinheiten einsetzen. Das Modell hierfür ist die westliche Intervention in Libyen.

Eine "Rückeroberung" ist das Ziel in dem Sinn, daß die Dschihadisten die Städte aufgeben und sich in ihren Verstecken verschanzen müssen. Von dort wird man sie kaum wegbekommen; erst recht kann man nicht ein Ausweichen über die Grenze nach Niger, eventuell Mauretanien, vor allem aber Algerien verhindern. Der Anschlag in Ain Aménas wurde, wie die algerische Regierung gestern mitteilte von Mali aus geplant und ausgeführt.



Weitere Artikel zur Intervention in Mali:
Mali: Befinden sich bereits deutsche Soldaten einer Spezialeinheit im Land?; ZR vom 12. 1. 2013

Die drei Phasen der französischen Intervention in Mali; ZR vom 14. 1. 2013

Kurioses, kurz kommentiert: "Spiegel-Online" erfindet eine Geisterarmee; ZR vom 16. 1. 2013

Mali: Bisherige Blauhelme im Antiterror-Kampf? 30 Panzer nach Diabaly. Die Dschihadisten bereiten sich auf den Guerrillakrieg vor; ZR vom 17. 1. 2013

Wie denken die Bewohner Malis über die Scharia? Eine Gallup-Umfrage>; ZR vom 19. 1. 2013
Zettel



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