19. Januar 2013

Warum schlug die Regierung Algeriens mit einer solchen Härte zu? Hintergründe der heute beendeten Geiselnahme


Schauen Sie sich bitte einmal diese Karte Algeriens an (für eine vergrößerte Version bitte zweimal auf die Abbildung klicken). Sie sehen im Südwesten und Südosten wie mit dem Lineal gezogenen Grenzen, wie sie typisch für eine künstliche Grenzziehung am Reißbrett sind.

Die Sahara ist geographisch und ethnisch nicht in einen algerischen, einen malischen und einen Anteil von Niger geteilt. Die Bevölkerung - vor allem Tuareg - wohnt diesseits und jenseits der Grenzen und bewegt sich oft frei über diese hinweg. Dasselbe können Dschihadisten, wenn sie auch mit ihren Pickups mehr auf Pisten angewiesen sind.

Ganz im Osten, dort wo groß das Wort LIBYA steht, finden Sie Ain Aménas. Das ist der Ort der Erdgasanlage, in der die jetzt beendete Geiselnahme stattfand. Er liegt unmittelbar an der Grenze zum unruhigen Libyen, das seit dem Sturz Gaddafis auf dem Weg zum failed state ist (siehe Zitate des Tages: "Feiern bis spät in die Nacht". Die Wahlen in Libyen und die wirklichen Machtverhältnisse. Nebst einer Erinnerung an den Irakkrieg; ZR vom 8. 7. 2012).

Für Algerien bedeutet die instabile Lage in Libyen und in Mali also nicht nur eine Gegebenheit in Nachbarländern; sondern es ist selbst davon unmittelbar tangiert.

Daß die heute beendete Geiselnahme in Ain Aménas von den Dschihadisten als "Rache für Algeriens Unterstützung der französischen Intervention in Mali" deklariert wurde, zeigt, wie eng die Verflechtung ist. Die Wahl der Anlage unmittelbar an der libyschen Grenze läßt vermuten, daß die Dschihadisten sich einen Rückzug nach Libyen offenhalten wollten. Laut dem algerischen Informationsportal Algérie360 ist der Kommandant der Geiselnehmer Abdul Rahman al Nigeri; ein - wie der Name sagt - Terrorist nigerischer Herkunft, der bereits in Niger, Mali und Mauretanien aktiv war.

Alles das macht deutlich, wie sehr die Vorgänge in Algerien, Libyen, Niger und Mali miteinander in Beziehung stehen. Die Situation in Mali ist für Algerien gewissermaßen zu einem innenpolitischen Problem geworden.



Strafor hat in den vergangenen Tagen die Lage Algeriens in einer Reihe - nicht allgemein zugänglicher - Artikel analysiert, auf die ich mich im Folgenden hauptsächlich stütze; vor allem aber auf eine Analyse vom 12. Dezember 2012, in der Stratfor die jetzige Entwicklung vorhergesagt und ihre Hintergründe analysiert hat.

Die meisten Führer der "Kaida im Islamischen Maghreb" - im Folgenden nenne ich sie einfach die Kaida - stammen aus Algerien. Es sind Salafisten; hervorgegangen aus der FIS (Front Islamique de Salut; Islamische Heilsfront), die in den neunziger Jahren der algerischen Regierung einen erbitterten und blutigen Kampf lieferte. Er endete um die Jahrtausendwende damit, daß schrittweise die einzelnen Gruppen aufgaben und Kompromisse mit der Regierung schlossen; besiegelt durch eine Amnestie 2005.

Das stillschweigende Übereinkommen beinhaltete, daß die Nachfolgeorganisationen der FIS - vor allem die Kaida - auf größere Aktionen in Algerien verzichteten und dafür in ihren Schlupflöchern im Kabyl-Gebirge in Ruhe gelassen wurden.

Nach den Informationen von Stratfor erlaubten es die algerischen Behörden, daß Dschihadisten sich von dort nach Nordmali begaben; vielleicht in der Hoffnung, sie auf diese Weise loszuwerden. Die Gefahr aus algerischer Sicht war, daß diese Dschihadisten als Folge einer westlichen Intervention aus Nordmali nach Südalgerien zurückgetrieben werden könnten.

Das ist eine Entwicklung, die jetzt wahrscheinlich geworden ist. Wenn malische, westafrikanische und französische Truppen ihre Offensive in den Norden Malis beginnen, dann ist es gut möglich, daß die Dschihadisten den offenen Kampf vermeiden und sich in Richtung Hoggar-Gebirge zurückziehen (siehe Mali: Bisherige Blauhelme im Antiterror-Kampf? 30 Panzer nach Diabaly. Die Dschihadisten bereiten sich auf den Guerrillakrieg vor; ZR vom 17. 1. 2013).

Das könnte zu einer Destablisierung Algeriens führen; vor allem dann, wenn - das erwartete Stratfor schon im Dezember - die Dschihadisten sich für die ausländische Intervention in Mali mit Anschlägen auf algerische Einrichtungen rächen würden, in denen Ausländer arbeiten.

Diese Situation erklärt das harte Durchgreifen Algeriens bei der Geiselnahme.

Die Gruppe hatte vermutlich mit langen Verhandlungen gerechnet, die ihr propagandistische Vorteile und am Ende ein opulentes Lösegeld einbringen würden. So war es gewesen, als dieselbe Gruppe 2003 in derselben Grenzregion zu Libyen 32 Europäer in ihre Gewalt gebracht hatte. Diese kamen nach Monaten des Verhandelns über das Lösegeld frei.

Der Führer der Gruppe, aus der die jetzigen Geiselnehmer stammen, Mokhtar Belmokhtar, war auch damals der Drahtzieher. Er hat jetzt bereits Anschläge auf weitere Energieeinrichtungen angekündigt.

Algerien, das einen mühsam errungenen Frieden mit der FIS und ähnlichen militanten Gruppen verteidigen will, konnte eine solche Entwicklung nicht zulassen. Die extreme Härte, mit der die Geiselnahme beendet wurde, unter Inkaufnahme von Opfern unter den Geiseln, war ein eindeutiges Signal an die Dschihadisten, daß sie von weiteren derartigen Aktionen nichts zu erwarten haben würden.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Karte als Werk der US-Regierung gemeinfrei.