11. Januar 2013

Der Fall Kinski. Der Darsteller eines Schauspielers. Kein Genie, aber ein Schuft. Anmerkungen zum Buch von Pola Kinski


Klaus Kinski hat also offenbar über viele Jahre seine Tochter Pola mißhandelt und vergewaltigt. Sie hatte nach der Scheidung ihrer Eltern zunächst bei ihrer Mutter gelebt. Nachdem diese einen neuen Mann kennenlernte, kam sie zu ihrem Vater; so berichtet es der "Stern" in seiner Internetausgabe:
Kinski holte Pola zu sich nach Berlin, Rom oder Madrid. Er brüllte sie an, warf sie gegen die Wand, vergewaltigte sie. Dann wieder überhäufte er sie mit Luxus. "Er leistete sich ein kleines Sexualobjekt, das er auf Seidenkissen bettete", erinnert sich Pola Kinksi heute.
Heute ist Pola Kinski 60 Jahre und hat jetzt über ihre Kindheit ein Buch geschrieben; "Kindermund". Der Insel-Verlag beschreibt es so:
Kindermund ist Pola Kinskis Autobiografie ihrer Kindheit und Jugend. Sie erzählt, wie es war, die Tochter des Enfant terrible des deutschen Films zu sein, und sie rechnet ab, so unsentimental wie schonungslos: mit einem, für den es als selbstverständlich galt, sich über alle Grenzen hinwegzusetzen und der es skrupellos in Kauf nahm, das Leben des eigenen Kindes zu zerstören.
Er war im Leben offenbar nicht anders als in den Rollen, die er typischerweise spielte. Wie war es möglich, daß ein solcher Mensch, wie Pola Kinski sagt, "vergöttert" wurde und es nach seinem Tod immer mehr wird?

Weil er ein großer Künstler war? Aber war er das denn überhaupt?

Nein, er war kein bedeutender Künstler mit der Fähigkeit, viele Rollen zu gestalten. Er war kein großer Darsteller als Künstler, aber der monomanische Darsteller eines großen Künstlers. Kein bedeutender Mann des Theaters, sondern einer, der ein Theater zu veranstalten wußte; ein Theater um sich selbst.

Er hat derart extrem, derart hartnäckig so getan, dieser Kinski, als sei er einer der ganz großen Schauspieler, bis ihm die meisten das glaubten. Dieser Bluff war das einzig Bemerkenswerte an ihm; sieht man von seinem ungewöhnlich schlechten Charakter ab, wie er jetzt zutage tritt.



Ich habe von Kinski zum ersten Mal gehört, als er Anfang der sechziger Jahre eine Tournee mit Rezitationen unter anderem von Villon-Gedichten veranstaltete, die damals als verrucht galten. Kommilitonen hatten einen seiner Auftritte erlebt und berichteten, wie er auf der Bühne herumtobte und das Publikum rüde anging. Wenn jemand husten mußte, wurde er beispielsweise von dem wütenden Künstler beschimpft.

Irgendwann habe ich dann eine seiner Platten gehört und fand dieses Pathos, diese Theatralik ("Ich bin so wiiiiild nach deinem Erdbeermund") schlicht lächerlich.

Wir Studenten waren uns damals einig, daß der Mann die Masche hatte, durch exzentrisches Verhalten auf sich aufmerksam zu machen. Es war ja noch die Zeit vor dem Regietheater. Auf den Bühnen ging es traditionell und künstlerisch anspruchsvoll zu. Kinski provozierte, indem er sich nicht an diese Rollenerwartung für einen Schauspieler oder Rezitator hielt. Das erregte erhebliches Aufsehen und füllte die Säle. Er hatte eben, so schien es uns, gemerkt, daß sich mit Exzentrik gutes Geld verdienen läßt.

Dann kamen die Edgar-Wallace-Filme, etwas später die Italo-Western. Was ich davon gesehen habe, bestätigte dieses Bild. Kinski mimte mit rollenden Augen und sardonischem Grinsen, als sei er in einem Stummfilm. Er spielte Kinski, und etwas anderes konnte er auch offenbar nicht spielen.

Aber er hatte damit seine Nische. Wenn ein verrückter, aufbrausender, unberechenbarer Typ gefragt war, dann war Kinski eben dieser Typ. Also bekam er viele Rollenangebote.

Das war über die sechziger und bis in die siebziger Jahre so. Kinski war ein Krimi- und Westernschauspieler aus der zweiten Reihe, aber mit einem festgelegten und stark nachgefragten Rollenfach; bei den Wallace-Krimis ungefähr so, wie Eddi Arent auf die Rolle des Butlers, Assistenten und dergleichen festgelegt war.



Anfang der siebziger Jahre kam die Zusammenarbeit mit Werner Herzog. In seinem Dokumentarfilm Mein liebster Feind teilt Herzog mit, daß er Kinski schon einmal im Alter von 13 Jahren begegnet war:
Kennengelernt haben sich Herzog und Kinski in München. Dort wohnte der 13-jährige Herzog zufällig auf derselben Etage wie der junge Theaterschauspieler. Mit einem schüchternen Lächeln auf dem Gesicht erzählt Herzog dem höchst distinguierten Besitzer der Wohnung, wie Kinski damals das Bad zertrümmerte, Türen eintrat und wilde Zuckungen bekam, wenn die Wirtin, die ihn umsonst dort wohnen ließ, seine Hemdkrägen nicht ordentlich genug gebügelt hatte. Herzog hätte sich nicht träumen lassen, dass er einmal mit "diesem Monstrum" zusammen fünf Filme drehen würde.
Es wurden fünf kommerziell unterschiedlich erfolgreiche, von Cineasten aber stark beachtete Filme; darunter Aguirre, der Zorn Gottes (1972) und Fitzcarraldo (1982).

Diese Filme des bemerkenswerten, des jedenfalls bemerkens­wert ernsthaften und originellen Regisseurs Werner Herzog begründeten die Meinung, Klaus Kinski sei ein guter, gar ein herausragender Schauspieler gewesen.

Er war es auch in diesem Filmen nicht. Er spielte nicht besser als in "Die toten Augen von London", "Scotland Yard jagt Dr. Mabuse" oder "Mit Django kam der Tod". Aber er hatte es dank Herzog, der eine seltsame Neigung zu ihm hatte, geschafft, als ein großer Darsteller zu gelten. Dabei war er nur ein Allerweltschauspieler und, wie jetzt herauskommt, ein Schuft.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelbild: Plakette am Geburtshaus Kinskis in Zoppot. Vom Autor Starscream unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported-Lizenz freigegeben. Übersetzung der Inschrift links: "In diesem Haus wurde am 18.10.1926 Klaus Günter Karl Nakszyński - ein Filmschauspieler von Weltrang, der unter dem Namen Klaus Kinski auftrat - geboren." Inschrift rechts: "Ohne Freiheit kann ich nicht leben. Klaus Kinski".