8. April 2011

Schlechte Nachrichten aus Israel

Während sich das allgemeine Interesse derzeit vor allem auf Japan einerseits, den Jemen, Libyen und Syrien andererseits richtet, häufen sich die schlechten Nachrichten aus Israel. In bewährter Manier dominieren dabei in den deutschen Medien Überschriften wie "Zwei Tote in Gaza nach neuem Luftangriff" (Focus) oder - besonders perfide - "Zwei Tote im Gazastreifen: Israel fliegt Luftangriffe während Waffenruhe" (Financial Times Deutschland). Der Spiegel steht natürlich mit einem Bericht über "Israels Kriegs-Trainingslager" und über "Viele Tote bei israelischen Vergeltungsangriffen" auch nicht zurück. Wegen der unzureichenden Berichterstattung in den traditionellen Medien sei die besorgniserregende Entwicklung hier zusammengefasst.

Die schlechten Nachrichten aus Israel begonnen am 12. März, als in der Siedlung Itamar im Westjordanland eine Familie - die Eltern und drei Kinder zwischen 11 Jahren und einigen Monaten - auf bestialische Weise ermordet wurde (ausführlicher Bericht bei Israelnetz.com). Aus der Ankündigung der IDF, alles zu tun, um die beiden Täter zu fassen, wurde in der Meldung der dpa wahrheitswidrig: "Nach Angaben des israelischen Militärs wurde eine Militäraktion als Vergeltungsmaßnahme eingeleitet" - was ein Sprecher der IDF auf Deutsch als "totalen Schwachsinn" bezeichnete. In Israel wurden die Morde von Itamar als möglicher Beginn einer neuen Terrorserie eingeschätzt, eine Befürchtung, die leider nicht ganz falsch zu sein scheint.

Am 15. März brachte Shayetet 13, das Sondereinsatzkommando der israelischen Marine, auf der Grundlage von Geheimdiensterkenntnissen den deutschen Frachter "Victoria" auf dem Weg von Syrien nach Alexandria in Ägypten auf. An Bord wurden tonnenweise Waffen gefunden, die wohl aus dem Iran stammen und bei einem Zwischenstopp im türkischen Hafen Mersin an Bord gekommen sind und für den Gazastreifen bestimmt waren. Zur Ladung des natürlich nur "angeblichen Waffentransporters" (Berliner Umschau) gehörten u.a. vier Anti-Schiffs-Raketen mit einer Reichweite von 35 Kilometern (C-704) sowie ein dazugehöriges Radargerät.

Seit dem 18. März ist eine Zunahme des Raketen- und Granatenbeschusses von Israels Süden aus dem Gazastreifen festzustellen (für April siehe hier). Allein am 19. März wurden z. B. mehr als 50 Mörsergranaten aus dem Gazastreifen auf den Süden Israels abgefeuert; zwei Arbeiter in einem Kibbuz wurden dabei durch Schrapnellsplitter verletzt. Die Verantwortung für diesen Beschuss übernehmen wechselnd die "Izz al-Din al-Qassam"-Brigaden oder andere bewaffneter Terrorgruppen aus dem Hamas-Umfeld.

Seither reagiert Israel wieder verstärkt mit Luftangriffen auf die Raketenstellungen, auf Terror-Funktionäre sowie auf Schmuggeltunnel an der Grenze zu Ägypten; jeden dieser Versuche der IAF, die Raketen- und Mörserstellungen auszuschalten, benutzt die Hamas als Legitimation für den nächsten Beschuss.

Am 23. März gab es zum ersten Mal seit mehreren Jahren wieder einen Bombenanschlag in Jerusalem. Ein an einer Telefonzelle versteckter Sprengsatz riss eine Frau in den Tod und verletzte mehrere Dutzend Passanten und Insassen eines Busses. Im Interesse der Äquidistanz berichtet Reuters distanziert: "Police said it was a "terrorist attack" -- Israel's term for a Palestinian strike."

Am 5. April hat sich im Sudan ein Vorfall ereignet, zu dem es widersprüchliche Informationen gibt. Nach sudanesischen Angaben wurde auf der Straße von Port Sudan zum regionalen Flughafen ein PKW durch einen Luftangriff zerstört und die beiden Insassen getötet. Die sudanesische Regierung gibt an, ein israelisches Kampfflugzeug sei in den sudanesischen Luftraum eingetrungen und habe das Fahrzeug angegriffen; anderen Meldungen zufolge wurde das Fahrzeug vom Roten Meer oder aber von einer Drohne aus beschossen. Der Sender Al-Arabiya gab an, einer der beiden Toten sei Abdel-Latif Al-Ashqar, der als Hauptverantwortlicher für die Waffenbeschaffung der Hamas gilt. Dem widersprach die sudanesische Regierung mit der Angabe, ein sudanesischer Geschäftsmann und sein Fahrer seien getötet worden. AFP wiederum meldete unter Berufung auf israelische Geheimdienstkreise, nicht der PKW sei das Ziel des Angriffs gewesen, sondern ein mit Waffen beladener LKW, dem jener PKW nur gefolgt sei (so die SudanTribune, die in Frankreich ansässig ist).

Zwei Tage später, am 7. April, wurde ein israelischer Schulbus in der Nähe des Gazastreifens von einer Rakete getroffen. Der (zum Glück einzige) Schüler wurde schwerst, der Fahrer leicht verletzt. In den wird dies wie der zufällige Treffer einer der ach so harmlosen Qassam-Raketen dargestellt ("Im Süden Israels traf am Donnerstag eine von vielen Raketen einen Schulbus", Spiegel), auf den Israel natürlich "prompt" mit "massiven" "Vergeltungsmaßnahmen" reagiert. In der "Welt" heißt es: "Extremisten der Hamas haben eine Rakete auf einen israelischen Schulbus gefeuert, es gab Verletzte. Israel antwortete mit einem tödlichen Gegenschlag." Die Gegenüberstellung von "Verletzten" und "tödlichem Gegenschlag" soll wohl den Eindruck von Unverhältnismäßigkeit der israelischen Reaktion erwecken.

Tatsächlich markiert dieser Angriff eine neue Dimension des Raketenterrors: Der israelische Schulbus wurde nicht etwa zufällig getroffen, sondern aus mehreren Kilometern Entfernung (die Angaben schwanken zwischen 2,5 und 4 km) mit einer lasergesteuerten Panzerabwehrrakete (9K135 Kornet) beschossen. Die israelischen Schulbusse sind eindeutig an ihrem gelben Anstrich zu erkennen; der Treffer war nach Ziel und verwendeter Waffentechnik also alles andere als "zufällig". Dies wird auch daran deutlich, dass die Rettungskräfte nach ihrem Eintreffen unter Mörserbeschuss genommen wurden. Wenige Minuten vor dem Treffer hatten - zum Glück - alle Schüler bis auf einen den Bus bereits verlassen, was der Raketenschütze im Gazastreifen aber nicht wissen konnte. Das Ziel war es ganz offensichtlich, unter israelischen Kindern ein Blutbad anzurichten.

Der bewaffnete Arm der Hamas übernahm die Verantwortung für den Angriff ("The brigades said that its fighters have targeted an Israeli bus at 15:05 PM.") und erklärte die beiden Opfer kaltschnäuzig zu "two Israeli settlers" - damit der Ideologie folgend, auch das israelische Kernland als "palästinensisch" zu behaupten und damit alle israelischen Städte und Siedlungen als Siedlungen zu bezeichnen.

Am gleichen Tag gelang es mit dem Raketenabwehrsystem "Kipat Barsel" ("Eisenkuppel", Teil des "Iron Dome") erstmals, eine Grad-Rakete im Anflug auf Ashkelon rechtzeitig abzuschießen. Die Tatsache, dass das Abwehrsystem auf die Rakete reagiert und sie abgeschossen hat, zeigt, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit in bewohntem Gebiet eingeschlagen wäre. Das System berechnet nämlich die Flugkurve und reagiert aus Gründen der Effizienz nur auf Raketen, die voraussichtlich Schaden anrichten würden. - Heute, am 9. April, wurde erneut eine Rakete im Anflug auf Ashkelon rechtzeitig abgeschossen.

Als in Reaktion die IAF Angriffe auf Waffenschmuggeltunnel, Raketenwerkstätten und gezielt gegen Terroristen flog, rief die Hamas umgehend einen "Waffenstillstand" aus, was der "Financial Times Deutschland" es erlaubt zu titeln: "Israel fliegt Luftangriffe während Waffenruhe" (so auch der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk in Deutschland, hier der WDR2). Die EU-Außenbeauftragte Ashton verurteilt immerhin die "Raketen- und Mörserangriffe aus dem Gazastreifen", verzichtet aber dann doch darauf, die Hamas oder gar den Angriff auf den Schulbus zu erwähnen - um dann aber Israel "zur Zurückhaltung" aufzufordern. - Inzwischen wurden bei gezielten israelischen Angriffen über 20 Terroristen getötet (Ashton: "Zivilisten"), so dass nun (Samstagnachmittag) die Hamas offenbar ernsthafter um einen Waffenstillstand nachsucht, während ihre Untergruppen weiterhin erklären, dazu nicht bereit zu sein.

Betrachtet man die Entwicklung der letzten Wochen, so ist Folgendes zu konstatieren:

Der Waffenschmuggel in den Gazastreifen scheint deutlich zugenommen zu haben ("Victoria"; Port Sudan?). Dabei ist besonders besorgniserregend, dass die Hamas offenbar zunehmend über moderne Raketen und andere Waffensysteme verfügt oder sich diese zu beschaffen versucht, mutmaßlich v.a. aus dem Iran.

Die Hisbollah im Südlibanon hat in den letzten Jahren bereits massiv aufgerüstet (ebenfalls mit iranischer Hilfe und via Syrien); Anfang April hat Israel eine Karte veröffentlicht, auf der u.a. über 100 Hisbollah-Waffenlager eingezeichnet sind, viele davon in der Nähe von Schulen und Krankenhäusern. Die Hisbollah verfügt seit einiger Zeit über Raketen, mit denen sie vom Libanon aus selbst den Süden Israels erreichen kann, und wenn nun auch die Hamas in nennenswerter Zahl über weitreichende Raketen und moderne Waffen verfügt, kann (fast) das ganze israelische Staatsgebiet von Norden und Süden mit Raketen getroffen werden.

Nun macht es ganz den Eindruck, als ob die Hamas - oder Teile der Hamas - die Lage eskalieren lassen möchte (vgl. hier). Wer gezielt einen Schulbus mit einer Panzerabwehrrakete beschießt, der weiß, dass er damit eine rote Linie überschreitet und damit einen israelischen Militäreinsatz fast zwangsläufig herbeiführt. Warum?

Der Grund dürfte die Entwicklung in Ägypten sein: Es zeichnet sich ab, dass die Moslembruderschaft dort zur wichtigsten politischen Kraft wird oder bereits geworden ist. Dementsprechend nimmt auf ägyptischer Seite die Unterstützung für die Hamas im Gazastreifen zu, erkennbar auch daran, dass es in den letzten Tagen mehrfach antiisraelische Demonstrationen in Ägypten gegeben hat.

Die Kalkulation könnte sein, durch den Raketenbeschuss und Angriffe wie den auf den Schulbus Israel zu einem größeren Militäreinsatz im Gazastreifen zu bringen; dies wiederum könnte die Stimmung in Ägypten kippen lassen - sei es dahingehend, dass Ägypten offen oder verdeckt sich gegen Israel wendet, sei es, dass in der Folge die Moslembruderschaft in Ägypten für ihre antiisraelische Politik weitere Unterstützung gewinnt.

Die Aussichten für die Zukunft sind also gar nicht gut. Vorhersagen sind immer schwierig, aber folgende Entwicklungen zeichnen sich ab:
- Während die Hamas an Unterstützung gewinnt, gerät die Fatah für ihren gemäßigteren Kurs im Westjordanland unter Druck.
- Es ist unklar, wie lange Ägypten ein verlässlicher Friedensvertragspartner für Israel bleibt. Mehr denn je scheint es möglich, dass auch in Syrien und Jordanien radikale(re) Kräfte an Einfluss gewinnen können.
- Der Iran gewinnt an Einfluss und kommt aus seiner Isolation heraus.
- Israel kann von Hamas und Hisbollah mehr und mehr in die Zange genommen werden.
- Besonders kritisch könnte es im Mai und im September werden: Für den Mai ist eine neue "Gaza-Hilfsflotte" angekündigt (Netanyahu hat in Berlin gerade bei Merkel um Unterstützung geworben, dies zu verhindern). Für den 15. Mai wird im Westjordanland zu einer "Dritten Intifada" oder einem Marsch auf Israel aufgerufen, und für den September ist die einseitige Ausrufung eines palästinensischen Staates in den so nie existierenden "Grenzen von 1967" angekündigt. Spätestens dann könnte es zu einem neuen Krieg kommen, befürchten israelische Kommentatoren.

[Ergänzung um 20 Uhr mit Dank an "Juno":] Es kommt hinzu, dass der Rückhalt Israels bei seinen bisherigen Verbündeten und Partner dramatisch zurückgeht: Die Beziehungen zwischen Israel und der Türkei, die lange Zeit auch militärisch kooperiert haben, sind seit dem vorigen Jahr dramatisch schlechter geworden: Erdogan sieht im Iran einen Partner der Türkei, bezeichnet die Hamas nicht als Terror-, sondern als Widerstandsbewegung, und hat schon Überlegungen geäußert, eine neue "Gaza-Hilfsflotte" militärisch zu unterstützen. Auf die EU und auch die einzelnen europäischen Staaten kann sich Israel ebenfalls nicht mehr verlassen; man denke etwa daran, dass der deutsche Bundestag mit allen Fraktionen im vorigen Jahr eine Resolution beschlossen hat, die von Israel fordert, die "Blockade" des Gazastreifens aufzugeben, ohne dabei Israels Interesse auch nur ansatzweise zu berücksichtigen, dass die Aufrüstung der Hamas unterbunden werden muss. Man mag sich gar nicht ausdenken, wie die Lage jetzt wäre, würde Israel nicht versuchen, Waffenlieferungen aufzuhalten. Wie sehr Israel bei den deutschen Politikern den Rückhalt verloren hat, ist auch daran zu sehen, dass Deutschland sich im UN-Sicherheitsrat im Falle Libyen enthalten hat, wohl aber im Februar zusammen mit Großbritannien und Frankreich eine gegen Israel gerichtete Resolution wegen des Siedlungsbaus unterstützt hat. Diese Resolution haben die USA noch mit ihrem Veto verhindert; das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Vereinigten Staaten unter ihrem jetzigen Präsidenten alles andere als ein verlässlicher Bündnispartner Israels sind.

Es bleibt das Fazit: Die Aussichten für Israel sind leider sehr schlecht im Moment - sowohl mit Blick auf den Gazastreifen und die unmittelbaren Nachbarländer als auch mit Blick auf den Verlust der Solidarität und Unterstützung in Europa und Amerika.
Gansguoter



© Gansguoter. Für Kommentare bitte hier klicken.