1. April 2011

Biografien. Ein deutscher Dialog. Andrea an Zettel (1)

Lieber Zettel,

so weit weg sind mir Ihre Erinnerungen nicht. Meine Eltern haben beide den Krieg bewusst erlebt, aber unterschiedlich darüber reflektiert.

Die Mutter, ein Kind noch, erfuhr Verlust der väterlichen Nähe und Geborgenheit und materieller Dinge, wie den ihrer Skier, die sie zu Kriegszwecken abgeben musste. Später dann waren die Besatzung mit den Ängsten vor den "Besatzern" (erst Amis, dann Russen) und die "Hungerzeit" (sie gingen "hamstern" zu den Bauern) prägend für sie. In ländlicher sächsischer Gegend gab es wohl kaum Bombenangriffe, "nur" die Verwandtschaft in einer größeren Stadt war "ausgebombt" und wurdezeitweise von meinen Großeltern aufgenommen.

Der Großvater war gesund, aber verändert aus Russland (Stalingrad) zurückgekehrt, die Vertrautheit zwischen Vater und Tochter stellte sich nie wieder ein. Noch heute hat meine Mama oftmals einen nach Zuwendung bettelnden Blick, ohne zu bemerken, das es Menschen um sie gibt, die ihr ebendiese geben wollen.

Mein Vater, Jahrgang 20, war als Kradmelder auch in Russland. Er hat oft vom Krieg erzählt, aber nie über schreckliche Erlebnisse. Auch als wir erwachsen waren, klang die Schilderung seiner Kriegserfahrungen eher wie ein Spaß. Ich weiß von seinem Motorrad und dem Schäferhund, die er beide liebte. Ich lernte als Kind Morsezeichen und russische Volkslieder(auch die Nationalhymne der UdSSR) und kenne Fotos von lachendenSoldaten mit Einheimischen vereint, im Hintergrund allerdings zerbombte Häuser.

Nach der Gefangenschaft ("Ich habe Tabak gegen Brot getauscht") trat mein Vater aus der Kirche aus und in "die Partei" ein und ist erst kurz vor der Wende aus dem sozialistischen Traum aufgewacht ...
Andrea



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