3. April 2011

Biografien. Ein deutscher Dialog. Zettel an Andrea (3): "Denk ich an Deutschland in der Nacht ..."

Liebe Andrea,

ich habe lange gebraucht, bis ich Heine schätzen gelernt habe. Mir gefiel diese ironische Überheblichkeit nicht. Er hat sich auch gegenüber Börne schäbig benommen.

Ich fange jetzt als alter Mann erst an, sein "Leiden an Deutschland" zu begreifen. Ich merke, daß er mit seinem Urteil über die Deutschen Recht hatte.



Ich habe ZR als einen tagespolitischen Blog beendet, weil ich keine Hoffnung mehr für dieses Land habe. Ich habe ja ziemlich gekämpft, am Ende schon bis ans Limit.

Nun ja. Die FDP zerfällt jetzt. Deutschland wird von der Volksfront regiert werden. Ich merke, wie mir das alles egal wird. Das Dávila-Syndrom.



Sie haben, liebe Andrea, einen bewegenden Text geschrieben, der mich auch deshalb berührt hat, weil es eine Verstimmung zwischen uns gegeben hatte (von der das Publikum freilich nichts gemerkt hatte).

Es geht also um dieses Deutschland.

Ihr Vater war, davon bin ich überzeugt, ein integrer Mann. Wie konnte er meinen, daß es gut ist, wenn Menschen in Unfreiheit gehalten werden?

Wie konnte er daran glauben, daß Menschen nicht in der Lage sind, ihr Schicksal selbst zu bestimmen, sondern daß es die Avantgarde geben muß, die sie - wie der gute Hirte die blöden Schafe - nimmt und leitet?

Das ist aus meiner Sicht das Zentrale am Kommunismus: Die Arroganz.

Ich bin überzeugt, daß viele Kommunisten sehr anständige Menschen gewesen sind. Wie Ihr Vater, liebe Andrea.

Aber wer "unsere Menschen" meinte erziehen zu dürfen, weil er die Schriften des halbgebildeten Scharlatans, dieses Aufschneiders Marx, für bare Münze genommen hat, der hat sich eben fürchterlich übernommen. Menschen haben kein Recht, andere Menschen zu erziehen.



Als Balzac schrieb, da schrieb in Deutschland immer noch Tieck. Die Moderne in Frankreich, Balzacs erbarmungsloser Realismus. In Deutschland Biedermeier und Spätromantik.

Heine hat diese historische Verspätung Deutschlands erkannt. Deutschland war aber nur nicht verspätet, sondern es ist niemals in der Demokratie angekommen.

Die DDR war natürlich nur die Fortsetzung des deutschen Obrigkeitsstaats, das liegt ja auf der Hand. Sie war das schlechtere Deutschland.

Für die Bundesrepublik hatte ich lange Zeit Hoffnung. Ich habe immer wieder, auch im Kleinen Zimmer, dieses Land, seinen demokratischen Rechtsstaat verteidigt.

Diese kollektive Besoffenheit über Fukushima, diese unglaubliche Dummheit, dieses Ausrasten eines ganzen Volks haben mich eines Besseren belehrt.

Heine, der Emigrant in seiner Matratzengruft, hat alles richtig gesehen.
Zettel



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