Das Thema taucht seit 2007 immer wieder in den Medien auf: Hat Volker Beck in den 80er Jahren eine zumindest teilweise Legalisierung von Pädosexualität gefordert? Aktuell ist es der Streit um Neonazis in der "Schlesischen Jugend", der die Debatte wieder hochkochen läßt.
Was sind die Fakten? Unstrittig ist, daß 1988 ein Buch mit dem Titel "Der Pädosexuelle Komplex" erschien, in dem unter dem Namen "Volker Beck" ein Aufsatz mit dem Titel "Das Strafrecht ändern? Plädoyer für eine realistische Neuorientierung der Sexualpolitik" erschien, in dem in der Tat für eine partielle "Entkriminalisierung der Pädosexualität" geworben wurde.
Beck hat nicht bestritten, daß er dem Herausgeber des Bandes einen Text geliefert hat. Beck behauptet allerdings, daß der Herausgeber den abgelieferten Text in irgendwelchen Hinsichten geändert hat. In seiner ausführlichsten Stellungnahme zu dem Fall aus dem Jahre 2007 liest sich das auf abgeordnetenwatch.de wie folgt:
Der von Ihnen angesprochene Textauszug stammt aus einem Artikel in einem Buch, das 1988 von einem Herausgeber unter Pseudonym publiziert wurde. Bereits der damalige Abdruck war nicht autorisiert und im Sinn durch eine freie Redigierung vom Herausgeber verfälscht. Dass Sie heute noch ein Exemplar des vor fast 20 Jahr [sic!] erschienen [!] Werkes im Buchhandel erstanden haben wollen, erstaunt mich allerdings.Gleich zu Beginn ein kapitaler "red herring", ein durchschaubares Ablenkungsmanöver, das von der eigentlichen Frage, ob Beck denn für den Text verantwortlich ist, ablenken soll: Daß der Herausgeber ein Pseudonym verwendet hat, ist für diese Frage schlicht irrelevant. Klar ist allerdings, was mit der Bemerkung bezweckt ist: "Wer ein Pseudonym verwendet, dem ist doch auch ansonsten nicht über den Weg zu trauen", soll sich der Leser denken. Am Ende des Abschnitts ein weiteres Ablenkungsmanöver: Der Hinweis auf das Alter des Buches soll den Eindruck erwecken, eine Beschäftigung mit dem Thema sei überflüssig ("olle Kamellen") und zugleich den Fragesteller, der behauptet hatte, das Buch gekauft zu haben, in ein schlechtes Licht rücken.
Eingerahmt von den beiden "red herrings" wird Becks Behauptung, der Text sei vom Herausgeber verfälscht worden, die er in zwei Bundestagsdebatten 2009 und 2010 wiederholt hat. Eine genaue Angabe, wie denn der Herausgeber in Becks Text eingegriffen hat, bleibt uns Beck aber schuldig; was exakt in seinem ursprünglichen Text gestanden hat, was der Herausgeber hinzugefügt oder gestrichen hat, verrät er uns nicht.
Wie plausibel ist Becks Geschichte? Letztlich ebenso unplausibel wie zu Guttenbergs erste Stellungnahmen zu seiner Dissertation: zu Guttenberg wollte damals noch als Autor eines Werkes gelten, das er zu großen Teilen nicht verfaßt hat; Beck möchte umgekehrt die Autorschaft einer Arbeit loswerden, die er in irgendeinem Sinne verfaßt hat. Beim ehemaligen Verteidigungsminister soll es die private und berufliche Überlastung gewesen sein, die zu einigen redaktionellen Pannen bei den Fußnoten führte; bei Beck war es ein Herausgeber, der seinen Text "verfälscht" haben sollen.
Eines ist so wenig glaubhaft wie das andere. Warum sollte ein Herausgeber überhaupt inhaltlich in einen Text eingreifen? Was für einen Zweck sollte dieser damit verfolgt haben? Wenn er es aber getan hat: Warum ist Beck nicht unmittelbar nach der Veröffentlichung dagegen vorgegangen? Hat er die Eingriffe in seinen Text nicht bemerkt? War es ihm damals egal?
Fragen über Fragen. Aber auch wenn man Becks Version wenig Glauben schenken mag: Da der Herausgeber schon vor geraumer Zeit verstorben ist, kann man Beck nicht nachweisen, daß er hier zu einer Schutzbehauptung greift.
Wenn Beck klug gewesen wäre, hätte er dem Herausgeber die komplette Schuld aufgeladen und es dabei belassen. Dummerweise tut er es nicht. In seiner Antwort fährt er fort:
Die Sicht auf die Pädophilie war in den 70er und 80er Jahren von einem systematischen Irrtum in weiten Teilen [sic!] Sexualwissenschaft und auch Teilen der Kriminologie verstellt: Selbst Kriminologen des Bundeskriminalamtes (BKA) schlugen damals vor, zwischen gewaltlosen, angeblich "harmlosen" Sexualkontakten und gewaltförmigen, schädlichen Sexualkontakten zwischen Erwachsenen und Kindern zu unterscheiden.Der Hinweis auf die damalige Sicht der Dinge würde an dieser Stelle nur dann Sinn ergeben, wenn sich Beck in seinem Artikel den Vorschlag der Kriminologen des BKA zueigen gemacht hätte und später zu der Erkenntnis gelangt wäre, daß dies eine Fehleinschätzung gewesen ist. Wieso weist er im Zusammenhang mit seinem Text überhaupt auf diesen "systematischen Irrtum" hin? Er gibt uns selbst die Antwort:
Ich habe mich seit Ende der 80er Jahre intensiv mit den Berichten von Vereinen wie Wildwasser oder Zartbitter über die Arbeit mit Opfern sexualisierter Gewalt bzw. sexuellen Missbrauchs auseinandergesetzt. Seitdem habe ich mit Liberalisierungsüberlegungen zum Sexualstrafrecht, die über die 1994 in Deutschland erfolgte Gleichstellung von Hetero- und Homosexualität (Streichung des § 175 StGB) hinausgehen, völlig gebrochen und bin Forderungen in diese Richtung immer entgegengetreten.Spätestens hier reibt man sich verwundert die Augen: Wenn Beck aufgrund der erwähnten Berichte in der Zeit um 1990 mit radikaleren "Liberalisierungsüberlegungen zum Sexualstrafrecht" gebrochen hat, dann muß er doch vorher ebendiese Liberalisierungsforderungen unterstützt oder zumindest für richtig gehalten haben, und in unserem Kontext kann dies ja eigentlich nur bedeuten, daß sein Text für den Sammelband genau in diese Richtung ging. Wieso wirft er aber dann dem Herausgeber vor, den Text verfälscht zu haben? Man kann nicht gleichzeitig eine Fehleinschätzung einräumen und bestreiten, daß man die Dinge so eingeschätzt hat.
Becks Entlastungsversuch erinnert stark an eine Strategie, auf die man als Angeklagter in einem Verfahren besser nicht zurückgreifen sollte: "I didn’t do it, but if I did I had a good reason". In seinem Bemühen, sich möglichst umfassend zu verteidigen, erzeugt Beck einen argumentativen Overkill, der ihn vollends unglaubwürdig macht.
DrNick
© DrNick. Für Kommentare bitte hier klicken.