21. April 2011

Wer lesen kann, ist klar im Vorteil (mit einem Nachtrag zur Plagiatsquote)

Die deutsche Politik hat einen neuen Plagiatsfall. Werfen wir einmal einen kurzen Blick auf die Berichterstattung:
Laut der Online-Plattform „Vroniplag“ sind dabei gut ein Viertel von Koch-Mehrins Dissertation "sichere Plagiate". (Focus)

Rund ein Viertel ihrer Doktorarbeit soll die Politikerin abgeschrieben haben. (Financial Times Deutschland)

Insgesamt sei ein Viertel der Dissertation mit dem Titel "Historische Währungsunion zwischen Wirtschaft und Politik" abgeschrieben. (MDR)

Die schöne FDP-Europapolitikerin soll mehr als ein Viertel ihrer Dissertation abgeschrieben haben - deswegen kann auch sie ihren Doktortitel verlieren, meint ein Plagiatsforscher. (Handelsblatt)

Silvana Koch-Mehrin hat Nerven wie Drahtseile. Nach Stand der Dinge hat sie fast ein Drittel ihrer Doktorarbeit dreist abgekupfert. (Der Westen)
Wer sich auf der VroniPlag-Seite über den Stand der Dinge kundig macht, findet dort eine Grafik, in der die Seiten dargestellt werden, auf denen sich Plagiate befinden. Es sind 27,36 % der Seiten, was in der Tat ein gutes Viertel ist.

Für den an der Sache Interessierten, der sich eine selbständige Deutung der Grafik und der in ihr auftauchenden Wörter nicht zutraut, bietet VroniPlag auch noch einen kleinen Text als exegetische Unterstützung an:
Interpretationshilfe für die Prozentzahl: Sie drückt den Anteil der Seiten aus, die Plagiate enthalten, nicht den Plagiatsanteil am Fließtext.
Da sich umfangreiche Plagiate nur auf wenigen Seiten finden, dürfte der Anteil der Plagiate am gesamten (Fließ-)Text auf jeden Fall im einstelligen Prozentbereich liegen. Frau Koch-Mehrin hat also nicht ein Viertel oder gar ein Drittel ihrer Arbeit abgeschrieben, sondern vielleicht um die 5 %.

Das ist schlimm genug und müßte auch zu Konsequenzen führen. Daß aber gerade bei der Berichterstattung über unseriöses wissenschaftliches Arbeiten auch bei seriösen Zeitungen wie dem Handelsblatt anscheinend die elementarsten Regeln seriöser journalistischer Arbeit außer Kraft gesetzt sind, wirft kein gutes Licht auf die deutsche Medienlandschaft.



Nachtrag:

Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, die Plagiatsquote etwas genauer zu bestimmen. Dazu habe ich den aktuellen VroniPlag-Bericht genommen und sämtliche beanstandeten Stellen aus der Dissertation in ein Dokument kopiert. OpenOffice und Word zeigen übereinstimmend knapp 56.000 Zeichen an.

Der reine Text der Dissertation (ohne Inhalts- und Literaturverzeichnis) umfaßt ca. 200 Seiten. Wenn man sich das online verfügbare Inhaltsverzeichnis der Arbeit anschaut, erkennt man, daß das Buch recht eng gesetzt ist. Man kann dementsprechend als Maximum von ca. 2100 Zeichen pro Seite ausgehen, was einer Plagiatsquote von 13,33 % entspräche.

Geht man demgegenüber als Minimum von der Normseite der VG Wort (1500 Zeichen) aus, ergäbe sich eine Quote von 18,67 %.

Nun ist natürlich erstens nicht jede im Bericht aufgeführte Stelle vollständig abgeschrieben und zweitens wäre für eine faire Beurteilung auch noch genauer zwischen den verschiedenen Plagiatskategorien zu unterscheiden; es ist aber auf jeden Fall mehr, als ich ursprünglich vermutet hatte.

Vor diesem Hintergrund fällt es nicht schwer, eine Prognose für das Verfahren an der Universität Heidelberg abzugeben: Der Doktor dürfte weg sein!

DrNick

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