18. April 2011

Daniel Pipes: Türkische Ambitionen

Eine interessante Zusammenstellung zur (außen-)politischen Entwicklung der Türkei stammt von Daniel Pipes (12.4.2011; Übersetzung von H. Eiteneier). Da die Übernahme unter Nennung von Verfasser, Titel und URL erlaubt ist, sei der Artikel hier eingestellt.


Der türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu erklärte vor ein paar Tagen großspurig: "Wenn die Welt in Flammen steht, ist die Türkei die Feuerwehr. Die Türkei übernimmt die Führungsrolle für die Stabilität im Nahen Osten."

Ein solcher Ehrgeiz ist für Ankara neu. In den 1990-er Jahren erfüllte es zufrieden seine NATO-Verpflichtungen und folgte der Führung Washingtons. Ab 1996 blühten die Beziehungen zu Israel auf. Alles in allem bot die Politik der Türkei eine attraktive Abwechslung von der tyrannischen, islamistischen und verschwörerischen Mentalität, die bei den muslimischen Völkern gewöhnlich vorherrscht. Dass die politischen Führer des Landes korrupt waren und Fehlleistungen begingen, schien wenig Bedeutung zu haben.

Diese Fehler erwiesen sich jedoch als extrem stark mit Auswirkungen belastet; sie führten zur Zurückweisung lange etablierter politischer Parteien und dem Sieg einer islamistischen Partei, der Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP), bei den Wahlen vom November 2002. Bis März 2003 signalisierte die Regierung angesichts des anstehenden Kriegs im Irak, dass ein neues Zeitalter begonnen hatte: Sie verweigerte dem amerikanischen Militär die Erlaubnis zur Durchquerung türkischen Territoriums.

Im Verlauf der nächsten acht Jahre wurde die türkische Außenpolitik dem Westen gegenüber im Allgemeinen, den Vereinigten Staaten, Frankreich und Israel gegenüber im Besonderen zunehmend feindselig; gleichzeitig erwärmte sie sich gegenüber Syrien, dem Iran und Libyen. Diese Verschiebung wurde im Mai 2010 besonders offensichtlich, als Ankara zum einen Teheran half Sanktionen wegen dessen Atomprogramm zu vermeiden, zum anderen Israels Ruf über die von der Mavi Marmara angeführten Flottille Schaden zufügte.

Doch das volle Ausmaß der Ambitionen Ankaras im Nachen Osten stellte sich erst Anfang 2011 heraus, gleichzeitig mit den weit reichenden Unruhen der Region. Plötzlich war die Türkei allgegenwärtig. Zu ihren jüngsten Aktivitäten gehören:

Ein Vorbild bieten: Der türkische Präsident Abdullah Gül meint, dass die Türkei einen "großen und unglaublich positiven Einfluss" auf den Nahen Osten haben kann – und er hat einige, die ihm das abnehmen. Zum Beispiel Rached Ghannouchi, den Führer der gerade legalisierten Ennahda-Bewegung, der erklärte: "Wir lernen aus der Erfahrung der Türkei, besonders dem Frieden, der in diesem Land zwischen Islam und Moderne erzielt wurde."

Dem Iran eine wirtschaftliche Rettungsleine bieten: Gül stattete Teheran im Februar einen Besuch ab; er wurde von einer großen Gruppe Geschäftsleute begleitet, die eine Entwicklung krönten, über die nach Angaben der Jamestown Foundation die "Türkei eine wesentliche [wirtschaftliche] Rettungsleine für den Iran wird". Zusätzlich lobte Gül das politische System des Iran.

Die Anstrengungen des Auslands in Libyen behindern: Ab dem 2. März erhob die türkische Regierung Einspruch gegen jede militärische Intervention gegen Mu'ammar al-Gaddafis Regime. "Interventionen aus dem Ausland, besonders militärische Interventionen, verstärken das Problem nur", formulierte es Davutoğlu am 14. März, vielleicht in Sorge über eine militärische Intervention zum Schutz der Kurden in der östlichen Türkei. Als die militärischen Operationen am 19. März begannen, beteiligten sich türkische Streitkräfte daran nicht. Der Widerstand der Türkei verzögerte den Waffengang der NATO in Libyen bis zum 31. März und befrachtete ihn dann mit Auflagen.

Unterstützung für Gaddafi: Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan half Gaddafi mit der Verkündung demagogischer Bekanntmachungen ("Die Türkei wird niemals zu denen gehören, die eine Waffe auf das libysche Volk richten"). Nach Angaben der Zeitung Hürriyet bot Ankara außerdem an, "sich an der Verteilung humanitärer Hilfe in Libyen zu beteiligen, das Management des Flughafens von Benghazi zu übernehmen und Marinekräfte zu stationieren, die den Bereich zwischen Benghazi und der griechischen Insel Kreta kontrollieren". Gaddafi antwortete dankbar: "Wir sind alle Ottomanen." Im Gegensatz dazu schäumten die libyschen Rebellen und marschierten protestierend gegen die türkische Regierung.

Hilfe für Damaskus: Im Januar stimmte Ankara zu syrische Truppen auszubilden; im März riet Erdoğan öffentlich dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, wie er an der Macht bleiben könnte; vielleicht hat Erdoğan Angst, dass Syriens 1,4 Millionen Kurden mehr Autonomie gewinnen und Unruhe unter den ungefähr 15 Millionen Kurden der Türkei stiften könnten.

Antizionismus: Im Januar ist Ankara als Führer der Delegitimisierung Israels in Erscheinung getreten. Davutoğlu versucht Israels Feinde zu einen, während er gleichzeitig Israels Verschwinden vorhersagt; eine der Regierung nahestehende Organisation plant eine neue "Freiheits"-Flottille zum Gazastreifen, an der mindestens 15 Schiffe teilnehmen; und der stellvertretende Verteidigungsminister fordert eine Bombardierung Israels in der Art des Eingreifens in Libyen.

Ankaras Ambitionen müssen gebremst werden. Es ist weniger provokativ und es ist intelligenter als das Regime im Iran, doch es strebt die Umformung der muslimischen Staaten nach ihrem islamistischen Bild an. Die Eröffnungssalven dafür sind gut verlaufen, waren effektiv und blieben weitgehend unbemerkt.

Zu den Möglichkeiten, den Einfluss der AKP zu blockieren, gehört: den Unmut über Ankaras "neo-ottomanische" Politik zum Ausdruck zu bringen; öffentlich in Frage zu stellen, ob das Handeln der Türkei mit der Mitgliedschaft in der NATO vereinbar ist; im Stillen die Oppositionsparteien für die Wahlen des Landes im Juni 2011 zu stärken; und in diesem Moment der Feindseligkeit der AKP und kurdischer Aufstände im Osten der Türkei über die sensible Frage der Bürgerrechte der Kurden nachzudenken.
Daniel Pipes via Gansguoter



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