2. April 2011

Herr erklärt: Apokalyptik (1)


Im Zusammenhang der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe in Japan, insbesondere aber im Blick auf die Ereignisse im Kernkraftwerk Fukushima war und ist immer wieder von einer oder von der Apokalypse die Rede. In Zettels Kleinem Zimmer wurde auf einen Beitrag in Welt online hingewiesen, der u.a. davon spricht, dass Japaner offenbar über gar kein sprachliches Äquivalent für Apokalypse verfügen.

Noch interessanter war der Hinweis auf das Interview eines katholischen Theologen, der die Frage aufwarf, ob "wir" angesichts der Katastrophe in Japan "apokalypseblind" blieben?

Das, was mit dieser Frage gemeint sein dürfte, kann inzwischen getrost verneint werden. Die Apokalypse hat mannigfaltig Einzug in deutsche Vorstellungen vom Super-GAU gehalten. Die Konsequenzen, die daraus – auch und gerade politisch – gezogen wurden, darf man nachgerade überstürzt nennen.

Fragen kann man sich aber: Ist die Apokalypse überhaupt eine geeignete Kategorie, um gegenwärtige Katastrophen angemessen zu deuten?

Dazu müsste erst einmal geklärt werden, was unter Apokalypse bzw. Apokalyptik überhaupt zu verstehen ist.

Zu dieser Klärung möchte ich mit diesem zweiteiligen Artikel beitragen.



Unter Apokalyptik wurde lange Zeit in erster Linie eine literarische Gattung verstanden, deren bekanntester Vertreter die Johannes-Apokalypse im Neuen Testament ist.

Sie hat allerdings eine Vorgeschichte im Alten Testament und in der "zwischentestamentarischen" Zeit. Eine weitgehend apokalyptische Schrift im Alten Testament ist das Buch Daniel. Aber auch schon im Jesaja-Buch (Kap. 24–27) und anderen prophetischen Büchern (Hesekiel/Ezechiel, Sacharja, Joel) gibt es apokalyptische Abschnitte.

Für das Verständnis des Neuen Testaments sind frühjüdische apokalyptische Schriften wie das äthiopische und das slawische Henochbuch (so benannt, weil die ältesten zugänglichen Quellen in äthiopischer bzw. altslawischer Sprache vorliegen), das 4. Buch Esra, die Kriegsrolle von Qumran u.a. von Bedeutung.

Man sollte auch wissen, dass das Neue Testament weitere Abschnitte mit apokalyptischen Zügen und Elementen enthält (so die so genannte Kleine Apokalypse in Markus 13par, die offenbar auf Worte Jesu zurückgeht).



Im übrigen verdanken wir Albert Schweitzer die (Wieder-) Entdeckung der Tatsache, dass auch Jesu Botschaft im apokalyptischen Denken und Empfinden seiner Zeit beheimatet ist. Seine Vorstellungen vom anbrechenden Gottesreich wie auch seine Selbstbezeichnung als "Menschensohn" haben ihre Wurzeln in der frühjüdischen Apokalyptik.

Eine der ersten großen Umformungsleistungen des frühen Christentums im Übergang aus der jüdischen in die hellenistische Welt ist wohl die Zurückdrängung der apokalyptischen Weltdeutung zugunsten einer stärker individuell und präsentisch ausgerichteten Eschatologie. Innerhalb der Bibel ist dies bereits im Johannesevangelium (das mit der Apokalypse unter gleichem Namen übrigens nichts zu tun hat) mit Händen zu greifen.

Die Aufnahme der Johannes-Apokalypse in den biblischen Kanon dagegen war von Anfang an eine umstrittene Entscheidung. Sie hat im Hauptstrom christlichen Lebens und Denkens zumeist eine nur marginale Rolle gespielt – war aber für Rand- und Sondergruppen um so interessanter.



Als literarische Gattung könnte man die Apokalypse als allegorisches Endzeitdrama bezeichnen.

Wenn Sie sich selber ein Bild machen wollen oder Ihre Erinnerungen auffrischen, dann lesen Sie einfach ein bisschen in der biblischen Johannes-Apokalypse. Wenn Sie gerade keine Bibel zur Hand haben, können Sie auf bibleserver.com aus verschiedenen Übersetzungen auswählen.

Damit überlasse ich Sie zunächst Ihren eigenen Überlegungen, ob das, was Sie da lesen, wirklich auf gegenwärtige Katastrophenereignisse angewendet werden könnte oder sollte ...
Herr

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