Nicht nur in Syrien sind die Dinge in diesen Tagen in Bewegung. Inzwischen gärt es auch in Jordanien, wo die Moslembrüder an Zulauf gewinnen und wo das haschemitische Königshaus alte Verbindungen zur Hamas wiederbelebt. Erst recht ist die Zukunft Ägyptens ungewiß. Niemand kann derzeit sagen, wie erfolgreich Morsis Versuch sein wird, das Militär zu entmachten und eine Herrschaft der Moslem-Bruderschaft zu errichten.
Was diese Lage für Israel bedeutet, hat George Friedman gestern bei Stratfor analysiert. Im folgenden stütze ich mich teilweise auf seinen Artikel.
Nach dem Abkommen von Camp David im Jahr 1978 war Israel von keinem seiner arabischen Nachbarn mehr bedroht. Bereits zuvor mit Jordanien und nun auch mit Ägypten (1979) hatte man Frieden geschlossen. Mit dem von Hafiz al-Assad beherrschten Syrien gab es so etwas wie ein Stillhalteabkommen.
Bedrohungen kamen nicht von benachbarten arabischen Staaten, sondern von den militanten Organisationen Hamas und Hisbollah, gegen die Israel im Südlibanon und im Gaza-Streifen militärisch vorging. Eine zukünftige, aber vorerst nicht akute Bedrohung ging lediglich vom entfernten Iran aus - von seiner Atomrüstung; auch davon, daß Teheran die beiden militanten Organisationen unterstützte (und unterstützt).
Durch die aktuellen Entwicklungen in Ägypten und in Syrien hat sich nun aber die strategische Lage Israels grundlegend gewandelt; in einem Prozeß, der schon Anfang 2011 als Folge des "Arabischen Frühlings" einsetzte (siehe Israels Dilemma. Dreißig Jahre nach dem Friedensvertrag mit Ägypten ist das Land wieder bedroht; ZR vom 26. 3. 2011).
Von Syrien gehen nun zwei mögliche Gefahren aus. Die erste scheint jetzt im Abflauen zu sein; die zweite wird virulenter.
Als Assad unter immer stärkeren innenpolitischen Druck geriet, suchte er sein Heil in einer engeren Allianz mit dem Iran; dieser half mit Geld, mit Waffen, möglicherweise auch mit Beratern. Zuvor bereits hatte die Türkei in ihrem Bestreben, eine Vormachtstellung im Nahen Osten zu erringen, die Annäherung an den Iran und an Syrien gesucht. Von der einstigen engen Allianz mit Israel blieb kaum etwas übrig (siehe Jerusalems Kotau vor Ankara. Über die neue Außenpolitik des Tayyep Recip Erdogan; ZR vom 14. 1. 2010).
Damals stand Israel vor der Gefahr eines übermächtigen Iran, dessen Macht durch seine Dominanz im Irak und die Allianz mit Syrien in einem breiten Streifen bis unmittelbar an die Grenze Israels reichen würde (siehe die Karte des Nahen Ostens in Im Machtspiel des Nahen Ostens beginnt mit der Wahl Morsis eine weitere Runde. Eine neue strategische Option für Erdogan; ZR vom 27. 6. 2012).
Angesichts der zunehmenden Wahrscheinlichkeit, daß Assad stürzt, verliert diese Gefahr gegenwärtig an Virulenz; zumal die Türkei eine Kehrtwende gemacht hat und jetzt die Opposition unterstützt. Aber das bedeutet aus der Sicht Israels keine Verbesserung seiner Lage; denn zugleich wächst die Gefahr einer "Libanisierung" Syriens nach einem Sturz Assads - eine Situation, in der, ähnlich wie über Jahrzehnte im Libanon, Milizen, Terroristengruppen und politisch-religiöse Organisationen um die Macht kämpfen.
Der Aufstand gegen Assad wird nicht nur von der in sich zerstrittenen "Freien Syrischen Armee" getragen; auch die Kaida, verschiedene andere dschihadistische Organisationen und die Hamas sind in diesem Bürgerkrieg aktiv. Und auf der politischen Ebene spielt vor allem die Moslem-Bruderschaft mit ihren engen Verbindungen zur Hamas eine dominierende Rolle.
Wenn Assad stürzt und eine Libanisierung verhindert wird, dann wahrscheinlich nur durch eine Machtübernahme der Moslem-Bruderschaft. Unter Umständen könnte das in Form einer geordneten Übergabe der Macht durch den Assad-Clan stattfinden, der dafür Zugeständnisse erhalten würde - eine Lösung, die vermutlich von den USA angestrebt wird (siehe Assads Chemiewaffen: Wann würde der Westen intervenieren? Die Lage ist anders als in Libyen; ZR vom 25. 7. 2012).
Für Israel sind alle drei möglichen Entwicklungen bedrohlich: Ein Fortbestehen der Herrschaft Assads, der dann abhängig von Teheran wäre; eine Libanisierung; die Machtübernahme der Moslem-Bruderschaft.
In diesem letzteren Fall würde sich zugleich eine Allianz Syrien-Ägypten bilden; zumal dann, wenn Morsi mit seinem Putsch erfolgreich ist und Ägypten vollends in die Hände der Moslembrüder fällt (siehe Morsi macht sich zum unumschränkten Machthaber. Der Machtkampf in Ägypten geht in seine entscheidende Phase; ZR vom 13. 8. 2012).
Vor allem die Lage auf der Sinai-Halbinsel gibt Anlaß zur Sorge in Israel. Im Friedensvertrag von 1979 war sie entmilitarisiert worden. Schon bald nach dem Sturz Mubaraks nutzten Dschidahisten dieses Machtvakuum, um dort aktiv zu werden (siehe "Die ägyptische Revolution hat Israel erreicht". Haaretz über die heutigen Anschläge und die Lage an Israels Südgrenze; ZR vom 18. 8. 2011).
Mit Erlaubnis Israels begann Ägypten, Truppen zu ihrer Bekämpfung auf den Sinai zu verlegen. Sie stehen Aufständischen gegenüber, die unter anderem deshalb gut bewaffnet sind, weil nach dem Sturz Gaddafis Waffen aus Libyen auf die Sinai-Halbinsel gelangten (siehe Waffen aus Libyen strömen in den Sinai; ZR vom 13. 10. 2011).
Auch hier ist so gut wie jede der denkbaren Entwicklungen ungünstig für Israel: Bleiben die Dschihadisten und die Hamas auf dem Sinai erfolgreich, dann herrscht an einer weiteren Grenze Israels eine explosive Lage. Gelingt es Morsi, sie militärisch im Zaum zu halten, dann stehen künftig Truppen eines Ägypten an Israels Südgrenze, dessen künftiger Kurs ungewiß ist. Morsi verlangt bereits die Revision des Abkommens von Camp David.
Israel hat gegenwärtig keine Möglichkeiten, auf diese Entwicklungen Einfluß zu nehmen. Damit ist auch eine Lösung der Palästinenserfrage vorerst ausgeschlossen.
Auf Seiten der Palästinenser besteht jetzt keine Bereitschaft mehr (wenn sie denn je bestanden hatte), Israel Zugeständnisse zu machen; denn die Entwicklungen in Syrien und in Ägypten könnten ihnen ganz neue politische Möglichkeiten eröffnen. Solange die Dinge derart im Fluß sind, solange vor allem die Hamas durch ihre Verbindungen zur Moslem-Bruderschaft und ihre Aktionen in Syrien und auf dem Sinai mit einem Machtzuwachs rechnen kann, gibt es für die Palästinenser kein Motiv, sich jetzt mit Israel zu verständigen.
Israel seinerseits kann angesichts dieser Lage nicht mehr darauf vertrauen, daß irgendwelche Vereinbarungen mit Palästinensern auch eingehalten werden würden. Ein selbständiger Staat Palästina, von einer mächtig gewordenen, mit Ägypten und möglicherweise einem sunnitischen Syrien verbündeten Hamas regiert, wäre für Israel, wie George Friedman schreibt, "ein Alptraum".
Was kann Israel tun? In Bezug auf diese Entwicklungen kaum etwas. Seine Stärke ist die konventionelle militärische Auseinandersetzung. Angesichts seiner Machtlosigkeit an den eigenen Grenzen könnte Israel sich - meint Friedman - entscheiden, mit einem Schlag gegen die Nuklearanlagen des Iran seine Stärke wenigstens auf diesem Feld zu demonstrieren.
Was diese Lage für Israel bedeutet, hat George Friedman gestern bei Stratfor analysiert. Im folgenden stütze ich mich teilweise auf seinen Artikel.
Nach dem Abkommen von Camp David im Jahr 1978 war Israel von keinem seiner arabischen Nachbarn mehr bedroht. Bereits zuvor mit Jordanien und nun auch mit Ägypten (1979) hatte man Frieden geschlossen. Mit dem von Hafiz al-Assad beherrschten Syrien gab es so etwas wie ein Stillhalteabkommen.
Bedrohungen kamen nicht von benachbarten arabischen Staaten, sondern von den militanten Organisationen Hamas und Hisbollah, gegen die Israel im Südlibanon und im Gaza-Streifen militärisch vorging. Eine zukünftige, aber vorerst nicht akute Bedrohung ging lediglich vom entfernten Iran aus - von seiner Atomrüstung; auch davon, daß Teheran die beiden militanten Organisationen unterstützte (und unterstützt).
Durch die aktuellen Entwicklungen in Ägypten und in Syrien hat sich nun aber die strategische Lage Israels grundlegend gewandelt; in einem Prozeß, der schon Anfang 2011 als Folge des "Arabischen Frühlings" einsetzte (siehe Israels Dilemma. Dreißig Jahre nach dem Friedensvertrag mit Ägypten ist das Land wieder bedroht; ZR vom 26. 3. 2011).
Von Syrien gehen nun zwei mögliche Gefahren aus. Die erste scheint jetzt im Abflauen zu sein; die zweite wird virulenter.
Als Assad unter immer stärkeren innenpolitischen Druck geriet, suchte er sein Heil in einer engeren Allianz mit dem Iran; dieser half mit Geld, mit Waffen, möglicherweise auch mit Beratern. Zuvor bereits hatte die Türkei in ihrem Bestreben, eine Vormachtstellung im Nahen Osten zu erringen, die Annäherung an den Iran und an Syrien gesucht. Von der einstigen engen Allianz mit Israel blieb kaum etwas übrig (siehe Jerusalems Kotau vor Ankara. Über die neue Außenpolitik des Tayyep Recip Erdogan; ZR vom 14. 1. 2010).
Damals stand Israel vor der Gefahr eines übermächtigen Iran, dessen Macht durch seine Dominanz im Irak und die Allianz mit Syrien in einem breiten Streifen bis unmittelbar an die Grenze Israels reichen würde (siehe die Karte des Nahen Ostens in Im Machtspiel des Nahen Ostens beginnt mit der Wahl Morsis eine weitere Runde. Eine neue strategische Option für Erdogan; ZR vom 27. 6. 2012).
Angesichts der zunehmenden Wahrscheinlichkeit, daß Assad stürzt, verliert diese Gefahr gegenwärtig an Virulenz; zumal die Türkei eine Kehrtwende gemacht hat und jetzt die Opposition unterstützt. Aber das bedeutet aus der Sicht Israels keine Verbesserung seiner Lage; denn zugleich wächst die Gefahr einer "Libanisierung" Syriens nach einem Sturz Assads - eine Situation, in der, ähnlich wie über Jahrzehnte im Libanon, Milizen, Terroristengruppen und politisch-religiöse Organisationen um die Macht kämpfen.
Der Aufstand gegen Assad wird nicht nur von der in sich zerstrittenen "Freien Syrischen Armee" getragen; auch die Kaida, verschiedene andere dschihadistische Organisationen und die Hamas sind in diesem Bürgerkrieg aktiv. Und auf der politischen Ebene spielt vor allem die Moslem-Bruderschaft mit ihren engen Verbindungen zur Hamas eine dominierende Rolle.
Wenn Assad stürzt und eine Libanisierung verhindert wird, dann wahrscheinlich nur durch eine Machtübernahme der Moslem-Bruderschaft. Unter Umständen könnte das in Form einer geordneten Übergabe der Macht durch den Assad-Clan stattfinden, der dafür Zugeständnisse erhalten würde - eine Lösung, die vermutlich von den USA angestrebt wird (siehe Assads Chemiewaffen: Wann würde der Westen intervenieren? Die Lage ist anders als in Libyen; ZR vom 25. 7. 2012).
Für Israel sind alle drei möglichen Entwicklungen bedrohlich: Ein Fortbestehen der Herrschaft Assads, der dann abhängig von Teheran wäre; eine Libanisierung; die Machtübernahme der Moslem-Bruderschaft.
In diesem letzteren Fall würde sich zugleich eine Allianz Syrien-Ägypten bilden; zumal dann, wenn Morsi mit seinem Putsch erfolgreich ist und Ägypten vollends in die Hände der Moslembrüder fällt (siehe Morsi macht sich zum unumschränkten Machthaber. Der Machtkampf in Ägypten geht in seine entscheidende Phase; ZR vom 13. 8. 2012).
Vor allem die Lage auf der Sinai-Halbinsel gibt Anlaß zur Sorge in Israel. Im Friedensvertrag von 1979 war sie entmilitarisiert worden. Schon bald nach dem Sturz Mubaraks nutzten Dschidahisten dieses Machtvakuum, um dort aktiv zu werden (siehe "Die ägyptische Revolution hat Israel erreicht". Haaretz über die heutigen Anschläge und die Lage an Israels Südgrenze; ZR vom 18. 8. 2011).
Mit Erlaubnis Israels begann Ägypten, Truppen zu ihrer Bekämpfung auf den Sinai zu verlegen. Sie stehen Aufständischen gegenüber, die unter anderem deshalb gut bewaffnet sind, weil nach dem Sturz Gaddafis Waffen aus Libyen auf die Sinai-Halbinsel gelangten (siehe Waffen aus Libyen strömen in den Sinai; ZR vom 13. 10. 2011).
Auch hier ist so gut wie jede der denkbaren Entwicklungen ungünstig für Israel: Bleiben die Dschihadisten und die Hamas auf dem Sinai erfolgreich, dann herrscht an einer weiteren Grenze Israels eine explosive Lage. Gelingt es Morsi, sie militärisch im Zaum zu halten, dann stehen künftig Truppen eines Ägypten an Israels Südgrenze, dessen künftiger Kurs ungewiß ist. Morsi verlangt bereits die Revision des Abkommens von Camp David.
Israel hat gegenwärtig keine Möglichkeiten, auf diese Entwicklungen Einfluß zu nehmen. Damit ist auch eine Lösung der Palästinenserfrage vorerst ausgeschlossen.
Auf Seiten der Palästinenser besteht jetzt keine Bereitschaft mehr (wenn sie denn je bestanden hatte), Israel Zugeständnisse zu machen; denn die Entwicklungen in Syrien und in Ägypten könnten ihnen ganz neue politische Möglichkeiten eröffnen. Solange die Dinge derart im Fluß sind, solange vor allem die Hamas durch ihre Verbindungen zur Moslem-Bruderschaft und ihre Aktionen in Syrien und auf dem Sinai mit einem Machtzuwachs rechnen kann, gibt es für die Palästinenser kein Motiv, sich jetzt mit Israel zu verständigen.
Israel seinerseits kann angesichts dieser Lage nicht mehr darauf vertrauen, daß irgendwelche Vereinbarungen mit Palästinensern auch eingehalten werden würden. Ein selbständiger Staat Palästina, von einer mächtig gewordenen, mit Ägypten und möglicherweise einem sunnitischen Syrien verbündeten Hamas regiert, wäre für Israel, wie George Friedman schreibt, "ein Alptraum".
Was kann Israel tun? In Bezug auf diese Entwicklungen kaum etwas. Seine Stärke ist die konventionelle militärische Auseinandersetzung. Angesichts seiner Machtlosigkeit an den eigenen Grenzen könnte Israel sich - meint Friedman - entscheiden, mit einem Schlag gegen die Nuklearanlagen des Iran seine Stärke wenigstens auf diesem Feld zu demonstrieren.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Großmoschee von Kairouan, Tunesien. Vom Autor Wotan unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0-Lizenz freigegeben. Bearbeitet. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier.