25. August 2012

Demonstrationskultur

Die Praxis des "Herankarrens" - so lautet der Fachausdruck - von Demonstranten ist ein alter Hut und hat ebensolange einen schlechten Ruf, so einen Beigeschmack von Populismus und autoritärem Regime.

Ein deutlich modernerer Ansatz ist die Vermittlung von Miet-Demonstranten, wie sie seit April die Seite www.demonstrantenmieten.de anbietet. Der "Welt" zufolge, die diesen neuen Dienst jetzt dankenswerterweise bekanntgemacht hat, handelt es sich dabei zugleich um Satire und um ein reales, buchbares Angebot. (Bezahlte Demonstranten – Miete Deinen Wutbürger) ­

Eine halbernste Angelegenheit also. Ob mehr daraus wird, bleibt abzuwarten. Ganz chancenlos dürfte die Idee nicht sein, da es längst ein offen bezahltes Berufsdemonstrantentum gibt, wie der Welt-Artikel am Beispiel einer Jutta Sundermann ausführt, die von 900€ monatlich aus Mitteln der "Bewegungsstiftung" lebt. Ebenfalls von dieser Stiftung wird die Kletteraktivistin Cécile Lecomte bezahlt, die so etwas wie eine Berufsdemonstrationskleinkriminelle ist, ohne dass dies ihrem Ruhm schaden würde. Der Mietdemonstrant neuen Typs unterscheidet sich von solchen Profis eigentlich nur darin, dass er sich wie ein Handwerker für den einzelnen Demoeinsatz bezahlen lässt, und nicht wie ein Angestellter für seine Arbeitsbereitschaft.

Man muss das alles nicht unbedingt gut finden, doch sprechen mindestens folgende drei Argumente zugunsten dieser Bezahldemonstranten:

Bezahlung heißt erstens nicht, dass die Leute gegen ihre Überzeugung demonstrieren. Auf der Webseite kann man sehen, dass die Anbieter nicht nur Qualifikation und Preis nennen, sondern auch die Anliegen, für die sie auf die Straße gehen würden. Die Bezahlung würde lediglich helfen, die Kosten des bürgerlichen Engagements zu tragen. Schon Aristoteles forderte eine Aufwandsentschädigung für Bürger, die bei Teilnahme an der Volksversammlung einen Verdienstausfall erlitten. Auch unsere Volksvertreter und Regierungsleute werden zurecht von den Steuerzahlern freigestellt. Eine ungehörige Beeinflussung findet dabei erfahrungsgemäß nicht statt - die Alimentierung Schäubles durch den Steuerzahler hat ja keineswegs zur Folge, dass seine Politik den Steuerzahlern auch zugutekommt.

Zweitens sollte die Öffentlichkeit zweifellos darüber informiert werden, wer eine Demonstration finanziert. Lug und Trug sind nicht akzeptabel, aber auch wenn die Sponsoren verschleiert werden, ist der Schaden nicht sehr groß: es leidet nämlich schlimmstenfalls die Glaubwürdigkeit von primitiver Kommunikation. Nur wenn es um simple Parolen, die Anklickhäufigkeit von Gefälltmirtasten oder Beifall im Theater u. dgl. geht, also wenn der Inhalt der Botschaften besonders schlicht ist, sind Manipulationen einfach zu bewerkstelligen. Gut durchdachte, anspruchsvoll formulierte Äußerungen können nicht massenhaft bestellt werden. Wer in aller Öffentlichkeit seine Authentizität bewahren will, muss sich eben die Mühe der Seriosität oder wenigstens der Originalität machen.

Drittens leben wir in einer theatralischen Kultur; Inszenierungen sind an sich nichts Schlechtes. Das Unechte hat den Vorteil, dass es meist gebildeter und zivilisierter als das Authentische ist. Wir haben die Religion zur Kunst trivialisiert, den Krieg zum Sport, die Politik zur Show, und auf diese Weise Haß, Intoleranz und Gewalttätigkeit wesentlich verringert. Es ist ja kein Wunder, dass Krawalle und Ausschreitungen meist von Demonstrationen ausgehen - die sind noch viel zu sehr echtes Leben. Das Erscheinen bezahlter Demonstranten auf dem Markt ist in dieser Lage ein wichtiger Schritt, in die Sache etwas mehr vom nötigen Unernst einzubringen.

Dabei sollte man allerdings nicht stehenbleiben. Ein folgerichtiger weiterer Schritt wären etwa neuartige Demonstratorenspiele: Sportstadien eignen sich bestens für den Auftritt von Demozügen und den Wettkampf mit Gegendemonstrationen. Das Fernsehen überträgt, so dass alle Anliegen weite Aufmerksamkeit erhalten. In den Rängen sitzt die Claque, und wer den meisten Beifall von dort erhält, hat gewonnen und bekommt als Siegerpreis einen fachgerechten Internet-Shitstorm gegen einen frei wählbaren Feind. Ein solcher Demonstrationssport ließe sich problemlos professionalisieren.

So könnte eine zivilisierte Demonstrationskultur aussehen, die nicht zuletzt in den demogeplagten Innenstädten den freien Bürgern wieder zu mehr freier Fahrt verhülfe.
Kallias

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