Auf einer Party von Politikern kommt das Gespräch auf die nicht anwesende Kanzlerin. Einer der Gäste, der Abgeordnete X, erzählt:
Angenommen, Sie finden es bemerkenswert, daß just diesem Politiker diese Gunst von der Kanzlerin gewährt wurde, und Sie erkundigen sich - da Sie Journalist sind - im Kanzleramt nach den näheren Umständen. Dort teilt man Ihnen dies mit:
Ich habe die Geschichte ein wenig verfremdet. Tatsächlich ist der Erzähler Heribert Prantl, und berichtet hat er nicht aus der Küche der Kanzlerin, sondern aus derjenigen von Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Das tat er auch nicht auf einer Party, sondern am 10. Juli in der "Süddeutschen Zeitung", in deren Chefredaktion er sitzt.
Ansonsten stimmt alles. Die Richtigstelltung stammt von Judith Blohm, Sprecherin des Verfassungsgerichts. Die vollständige Textpassage können Sie in der "Frankfurter Rundschau" sowie in einem Artikel von Markus Ehrenberg im "Tagesspiegel" vom vergangenen Samstag nachlesen.
Ehrenberg war über einen Satz in der FAZ vom Donnerstag gestolpert, in dem der Autor Manfred Müller von "vermeintlichen Zeugen" der Kochkunst Voßkuhles und von "andichten" gesprochen hatte; und er hatte ermittelt, daß sich das auf den Artikel Prantls vom 10. Juli bezog.
Der Artikel Ehrenbergs brachte den Stein ins Rollen. Inzwischen ist die Sache durch die Presse gegangen. Auch in der SZ selbst schlugen die Wellen offenbar hoch. Die "Frankfurter Rundschau" weiß Details:
In diesem Bericht wie auch in fast allen anderen der vergangenen Tage wird auf den "Fall" René Pfister hingewiesen. Diesem war am 5. Mai 2011 der "Egon-Erwin-Kisch-Preis" (identisch mit dem Henri-Nannen-Preis für Reportage) zuerkannt worden. Bereits am 8. Mai war er ihn wieder los; denn dieselbe Jury sah Pfister jetzt als unwürdig an, nachdem bekanntgeworden war, daß er die Spielzeug-Eisenbahn im Keller von Horst Seehofer, die er in der preisgekrönten Reportage beschrieb, nicht mit eigenen Augen gesehen hatte.
Ich habe mich damals mit diesem Fall und seinen Hintergründen ausführlich befaßt und ihn als eine Posse bezeichnet, die vor allem eines zeigt: Wie man im heutigen Deutschland mittels Moralisierens seine Ziele erreichen kann. Gegen Pfister hatte es nämlich in der Jury Widerstand gegeben. Die "Verfehlung" war die Gelegenheit für die unterlegene Fraktion gewesen, sich doch noch durchzusetzen (Anerkannt, aberkannt. Wie ein "Spiegel"-Redakteur den Henri-Nannen-Preis bekam und verlor. Eine Journalistenposse aus der Moralrepublik Deutschland; ZR vom 15. 5. 2011).
Hier, bei Prantl, liegen die Dinge anders. Zum einen hatte Pfister keineswegs den Eindruck erweckt, er sei selbst in Seehofers Keller gewesen. Man konnte das so deuten, brauchte es aber nicht. Prantls Text mußte hingegen jeder Leser so verstehen, daß er aus eigener Erfahrung als Gast berichtete. Wer sonst beginnt eine derartige Schilderung mit "Man muß das erleben ..."?
Und vor allem ist Pfister kein Prantl.
Nämlich kein Journalist, der vom ständigen Erheben des moralischen Zeigefingers eigentlich unter Krämpfen im rechten Arm leiden müßte. Einer, der nicht müde wird, andere abzukanzeln, die nicht den von ihm vertretenen hohen ethischen Ansprüchen genügen. Beispielsweise während der Affäre Wulff:
Man muß sie am Küchentisch erleben. Man muss erleben, wie sie ein großes Essen vorbereitet. Bei Merkel setzt man sich nicht an die gedeckte Tafel und wartet, was aufgetragen wird. Eine Einladung (...) beginnt in der Küche: Der eine Gast putzt die Pilze, der andere die Bohnen, der dritte wäscht den Salat. Zu diesem Arbeitsessen gibt es ein Arbeitsweinchen. Natürlich hat die Gastgeberin alles sorgfältig vorbereitet, natürlich steht die Menüfolge fest; aber es entsteht alles gemeinsam. Jeder hat seinen Part, jeder hat was zu schnippeln, zu sieden und zu kochen, jeder etwas zu reden: Es geht um die Nudel, die Küchenrolle und um die Welt. Die Kanzlerin selbst rührt das Dressing. Man ahnt, wie sie im Kabinett agiert.Was würden Sie von dem denken, der das erzählt? Vermutlich erstens, daß er ein wenig mit seiner Nähe zur Kanzlerin protzen möchte. Und zweitens selbstredend, daß die Kanzlerin ihn einmal zu einem solchen Essen eingeladen hat.
Angenommen, Sie finden es bemerkenswert, daß just diesem Politiker diese Gunst von der Kanzlerin gewährt wurde, und Sie erkundigen sich - da Sie Journalist sind - im Kanzleramt nach den näheren Umständen. Dort teilt man Ihnen dies mit:
Ich kann Ihnen versichern, dass Herr X zu keinem Zeitpunkt von der Kanzlerin zu einem privaten Essen eingeladen wurde, geschweige denn aus persönlicher Anschauung mit den Kochgewohnheiten der Kanzlerin vertraut sein kann.Was würden Sie dann von dem Politiker X halten? Genau.
Ich habe die Geschichte ein wenig verfremdet. Tatsächlich ist der Erzähler Heribert Prantl, und berichtet hat er nicht aus der Küche der Kanzlerin, sondern aus derjenigen von Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Das tat er auch nicht auf einer Party, sondern am 10. Juli in der "Süddeutschen Zeitung", in deren Chefredaktion er sitzt.
Ansonsten stimmt alles. Die Richtigstelltung stammt von Judith Blohm, Sprecherin des Verfassungsgerichts. Die vollständige Textpassage können Sie in der "Frankfurter Rundschau" sowie in einem Artikel von Markus Ehrenberg im "Tagesspiegel" vom vergangenen Samstag nachlesen.
Ehrenberg war über einen Satz in der FAZ vom Donnerstag gestolpert, in dem der Autor Manfred Müller von "vermeintlichen Zeugen" der Kochkunst Voßkuhles und von "andichten" gesprochen hatte; und er hatte ermittelt, daß sich das auf den Artikel Prantls vom 10. Juli bezog.
Der Artikel Ehrenbergs brachte den Stein ins Rollen. Inzwischen ist die Sache durch die Presse gegangen. Auch in der SZ selbst schlugen die Wellen offenbar hoch. Die "Frankfurter Rundschau" weiß Details:
Ob Prantl hingegen künftig noch auf Seite 3 des Münchner Blatts gedruckt wird, wurde in der Konferenz am Montag vom Leiter des Reportage-Ressorts, Alexander Gorkow, ernsthaft in Zweifel gezogen.Der Chefredakteur bemüht sich um Schadensbegrenzung, wie man gestern in "Welt-Online" lesen konnte:
Auch für den stellvertretenden SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach ist der Fall erledigt. Er sprach von einem gravierenden Fehler. "Es war nicht in Ordnung, deswegen haben wir das heute klargestellt." Auch Prantl habe den Fehler bei der Redaktionssitzung am Montag eingeräumt und sein Versäumnis bedauert.Ja, aber gewiß doch. Man wird doch einen verdienten Mann nicht wegen einer solchen Lappalie schassen.
Gerade weil es sich um einen bekannten Autor handele, könne er die Aufregung der vergangenen Tage durchaus nachvollziehen, sagte Krach. Prantl werde aber selbstverständlich "weiterhin auf allen Seiten der ’Süddeutschen’ schreiben".
In diesem Bericht wie auch in fast allen anderen der vergangenen Tage wird auf den "Fall" René Pfister hingewiesen. Diesem war am 5. Mai 2011 der "Egon-Erwin-Kisch-Preis" (identisch mit dem Henri-Nannen-Preis für Reportage) zuerkannt worden. Bereits am 8. Mai war er ihn wieder los; denn dieselbe Jury sah Pfister jetzt als unwürdig an, nachdem bekanntgeworden war, daß er die Spielzeug-Eisenbahn im Keller von Horst Seehofer, die er in der preisgekrönten Reportage beschrieb, nicht mit eigenen Augen gesehen hatte.
Ich habe mich damals mit diesem Fall und seinen Hintergründen ausführlich befaßt und ihn als eine Posse bezeichnet, die vor allem eines zeigt: Wie man im heutigen Deutschland mittels Moralisierens seine Ziele erreichen kann. Gegen Pfister hatte es nämlich in der Jury Widerstand gegeben. Die "Verfehlung" war die Gelegenheit für die unterlegene Fraktion gewesen, sich doch noch durchzusetzen (Anerkannt, aberkannt. Wie ein "Spiegel"-Redakteur den Henri-Nannen-Preis bekam und verlor. Eine Journalistenposse aus der Moralrepublik Deutschland; ZR vom 15. 5. 2011).
Hier, bei Prantl, liegen die Dinge anders. Zum einen hatte Pfister keineswegs den Eindruck erweckt, er sei selbst in Seehofers Keller gewesen. Man konnte das so deuten, brauchte es aber nicht. Prantls Text mußte hingegen jeder Leser so verstehen, daß er aus eigener Erfahrung als Gast berichtete. Wer sonst beginnt eine derartige Schilderung mit "Man muß das erleben ..."?
Und vor allem ist Pfister kein Prantl.
Nämlich kein Journalist, der vom ständigen Erheben des moralischen Zeigefingers eigentlich unter Krämpfen im rechten Arm leiden müßte. Einer, der nicht müde wird, andere abzukanzeln, die nicht den von ihm vertretenen hohen ethischen Ansprüchen genügen. Beispielsweise während der Affäre Wulff:
Wer Christian Wulffs bisheriges Handeln in der Krise resümiert, der ist geneigt, einen Mangel an Professionalität ebenso wie den Mangel an Moralität als Charakterzug zu beschreiben.Wer Heribert Prantls Wirken verfolgt hat, der ist geneigt, ihm einen Überschuß an Moralin als Charakterzug zuzuschreiben. Oder sagen wir: Etwas Tartuffehaftes.
Zettel
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