12. August 2012

Zettels Meckerecke: "Zielvereinbarungen" und der Unfug der Medaillenspiegel

Da hat es also Zielvereinbarungen gegeben zwischen dem Innenministerium und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB); penibel gelistet für jede Sportart. Im Badminton sollte es eine Medaille geben, Farbe unbestimmt. Im Fechten waren zwei Goldmedaillen vereinbart worden, und insgesamt vier; ebenso beim Judo. In der Leichtathletik sollten es gleich acht Medaillen sein, darunter zwei goldene. Und so fort.

So, als brauchte man nur zu vereinbaren, und die Sportler setzen das dann um. Produktionsziel n Medaillen, darunter k goldene. Übererfüllung des Plans ist erlaubt; bei Nicht­erfüllung droht Kritik, vielleicht der Entzug von Fördergeldern.

Welch ein Unfug. Jeder weiß, daß Erfolg und Mißerfolg beim Sport von zahllosen Faktoren abhängen - von der Tagesform, von der Form der Konkurrenten, von der eingeschlagenen Taktik, oft auch von den Wettkampfverhältnissen. Manchmal (in London wohl besonders oft) auch von der Fähigkeit oder Unfähigkeit der Kampfrichter.

Da hebt ein Pferd beim Springreiten die Hinterhand nicht ganz so hoch wie erforderlich, und aus ist es mit der Goldmedaille. Da ist ein Turner nervös, weil die Last überzogener Erwartungen ihn drückt, und er greift einmal am Reck daneben. Anders als der Mars-Roboter Curiosity läßt sich der Mensch nicht perfekt programmieren; und dem Curiosity sitzt auch weder Zeitdruck noch eine Konkurrenz im Nacken.

Natürlich ist es sinnvoll, daß der DOSB sich überlegt, wo man denn Chancen auf welche Medaillen hat. Man bespricht das vernünftigerweise mit den Sportlern. Man sagt ihnen, was man jeweils für erreichbar, für wünschenswert hält. Man sollte auch denjenigen, die nicht um die Medaillen mitkämpfen, sagen, wie man ihr Potential einschätzt.

Aber Zielvorgaben? Sie funktionieren in keiner Planwirtschaft. Sie können im Sport nicht funktionieren.



Dies einmal beiseite gelassen, ist es nachgerade widersinnig, den Erfolg eines Sportbunds oder des gesamten Teams am Rangplatz im Medaillenspiegel zu messen. Denn dieser Spiegel ist allenfalls ein Vexierspiegel.

Erstens liefert er eine Rangliste absteigend nach Gold-, dann nach Silber-, dann nach Bronzemedaillen. Wenn ein Land 3 Goldmedaillen und keine weitere Medaille hat, dann rangiert es also vor einem Land mit 2 Gold-, 32 Silber- und 48 Bronzemedaillen.

Solche Extreme mögen unwahrscheinlich sein. Aber zu dem Zeitpunkt, zu dem ich dies schreibe, liegt im Medaillenspiegel Deutschland mit seinen 44 Medaillen einen Platz hinter Südkorea mit 27 Medaillen, weil dieses zwei Goldmedaillen mehr errungen hat.

Zweitens fallen alle Leistungen ab Platz 4 ganz unter den Tisch. Es wird also gar nicht die Leistungsdichte eines Teams berücksichtigt, sondern nur die Stärke seiner Spitzen. Das ist ungefähr so, als würde der Rang in der Tabelle der Fußball-Bundesliga von der Zahl der Tore bestimmt, die der jeweils stärkste Torschütze eines Teams geschossen hat.

Drittens heißt Medaillen zählen: Äpfel wie Birnen und Birnen wie Trockenpflaumen behandeln.

Es gibt Sportarten, in denen nur wenige Medaillen vergeben werden und wo die Chancen, eine davon zu gewinnen, entsprechend gering sind; Dressurreiten zum Beispiel. In anderen Sportarten kann man massenweise Medaillen abräumen; etwa beim Schwimmen mit seinen unterschiedlichen Stilen und Bahnlängen, dazu noch den Mannschaftswettbewerben. In London gab es im Schwimmen je 34 Gold-, Silber- und Bronzemedaillen zu gewinnen.

Ist eine Nation in einer solchen medaillenreichen Sportart stark, dann hat sie beste Chancen, im Medaillenspiegel oben zu stehen. Ein Land, das sich auf wenige derartige Sportarten spezialisiert, kann es nach ganz oben schaffen. Südkorea beispielsweise gewann 11 seiner 13 Goldmedaillen beim Fechten, Schießen (einschließlich Bogenschießen) und in den asiatischen Kampfsportarten Taewondo und Judo.

Anderswo - in den Mannschaftssportarten zum Beispiel - wird nur eine einzige Gold-, Silber und Bronzemedaille für Männer und für Frauen vergeben. Wer im Hockey oder im Beach-Volleyball Weltspitze ist, der hat also das Nachsehen, was den Medaillenspiegel angeht. Hockey findet nicht über verschiedene Distanzen statt, nicht für unterschiedliche Gewichtsklassen, für Mannschaften und Einzel; auch nicht auf der Brust, dem Rücken und in der Art der Delphine.



Das ist nun einmal so und sollte ja auch gar nicht geändert werden. Nur: Weil es so ist, hat der Medaillenspiegel keine besondere Bedeutung, was den Stand der sportlichen Leistungen eines Landes angeht.

Man sollte sich über errungene Medaillen freuen. Der Sportler darf sie küssen, anbeißen oder wie immer er seine Liebe zu ihr ausdrücken möchte. Sein Heimatdorf soll ihm einen Umzug widmen, wenn er mit Gold um den Hals zurückkehrt. Aber für die Sportpolitik kann so etwas doch kein Maßstab sein.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.