16. August 2012

Zitat des Tages: "... die notwendige Akzeptanz des Islam in Deutschland viel weiter denken". Ist das Hamburger Modell nur ein Einstieg?

Denn die muslimischen Verbände haben schon angekündigt, dass sie sich möglicherweise nicht damit zufrieden geben, sie halten das Hamburger Modell nicht für ausreichend. Sie wünschen sich einen bekennenden Unterricht und so könnte es geschehen, dass neben dem überkonfessionellen Unterricht ein eigener Islamunterricht eingerichtet werden muss. (...)

Und wird es den Muslimen auf die Dauer reichen, dass das Opferfest nur den Status vom Buß- und Bettag hat und nicht von Weihnachten? (...)

Am Ende wird man auch die notwendige Akzeptanz des Islam in Deutschland viel weiter denken müssen.
Parvin Sadigh gestern in "Zeit-Online" über das sogenannte Hamburger Modell.

Kommentar: Kompromisse können für diejenigen, die sie eingehen, sehr unterschiedliche Funktionen haben. Für die einen mögen sie ein Abschluß sein, eine auf Dauer tragende Einigung. Andere sehen einen solchen Kompromiß vielleicht als einen ersten Schritt; als den Einstieg in eine Entwicklung hin zu dem Ziel, das sie eigentlich anstreben.

Der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hat den Vertrag mit islamischen Gemeinschaften, der als das Hamburger Modell bezeichnet wird, eine "Selbstverständ­lich­keit" genannt.

Seine wesentliche Inhalte sind, daß künftig auch moslemische Lehrer den konfessionsübergreifenden Religionsunterricht erteilen dürfen; daß moslemische Kinder an drei islamischen Feiertagen - Opferfest, Ende des Ramadan und Aschura - schulfrei haben und daß Arbeitnehmer an diesen Festen der Arbeit fernbleiben dürfen; allerdings müssen sie diese Tage nacharbeiten oder als Urlaubstage nehmen. Außerdem regelt der Vertrag - er ist ausgehandelt, aber noch nicht Gesetz - eine Reihe weiterer Fragen; zum Beispiel die sarglose Bestattung von Moslems und den Bau von Gebetsstätten.

Ja, sind solche Regelungen denn nicht vernünftig; nicht eben eine "Selbstverständlichkeit"? Sie sind es teilweise, in der jetzigen Form. Sie könnten verheerende Folgen haben, wenn sie - so, wie Parvin Sadigh das beschreibt - von islamischen Verbänden als Einstieg in ein "Weiterdenken" der "notwendigen Akzeptanz des Islam in Deutschland" interpretiert werden.



Je nach geschichtlichen Traditionen sind in demokratischen Rechtsstaaten die Beziehungen zwischen Staat und Religion unterschiedlich gestaltet.

Frankreich hat seit der Revolution von 1789 eine strikt laizistische Regelung: Staat und Religion sind getrennt. Der Staat mischt sich nicht in religiöse Dinge ein, garantiert aber die Freiheit der Religionsausübung. Ähnlich ist es in den USA. Großbritannien kennt hingegen eine Staatskirche, die Anglikanische Kirche.

Die deutsche Tradition liegt dazwischen. Staat und Kirche sind weniger strikt getrennt als in Frankreich und den USA. Beispielsweise wird an staatlichen Schulen Religionsunterricht erteilt. Es gibt aber keine Staatskirche.

So hat es sich in der Tradition Deutschlands herausgebildet, eines christlichen Landes.

Nun spielt seit einigen Jahrzehnten - ungefähr seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts - die christliche Religion eine immer geringere Rolle in Deutschland. Das hat drei Ursachen: Die wachsende Zahl von Kirchenaustritten; die Zunahme des nichtchristlichen Teils der Bevölkerung durch die Wiedervereinigung; und drittens die Einwanderung von Nichtchristen, vor allem Moslems.

Man kann auf diese Entwicklung unterschiedlich reagieren.

Man kann argumentieren, daß Deutschland nach wie vor ein christliches Land ist. 62 Prozent der Deutschen sind Christen. Insofern besteht kein Bedarf, etwas am status quo zu ändern. Minderheiten waren und sind geschützt; beispielsweise ist die Teilnahme am Religionsunterricht freigestellt. Atheisten, Juden, Moslems konnten und können ihre Kinder vom christlichen Religionsunterricht abmelden. Niemand wird wegen seiner Religion benachteiligt; so, wie das beispielsweise in den meisten islamischen Staaten der Fall ist.

Was die gesetzlichen Feiertage angeht, haben sie in Deutschland schon lange keine religiöse Bedeutung mehr, sondern den Charakter sozialer Errungenschaften und gesellschaftlicher Ereignisse.

Was überhaupt an einem religiösen Feiertag gefeiert wird, wissen diejenigen meist gar nicht, die sich über den arbeitsfreien Tag freuen. Das gilt nicht nur für konfessionelle Feiertage wie Fronleichnam; sondern selbst die Bedeutung des Pfingstfestes ist fast drei Vierteln aller Deutschen unbekannt (siehe Was feiern wir eigentlich an Pfingsten?; ZR vom 11. 5. 2008).

Auch dort, wo die meisten wissen, was gefeiert wird, spielt dies für die gesellschaftliche Realität des betreffenden Fests kaum eine Rolle. Agnostiker feiern mit ihren Kindern ebenso Weihnachten wie Christen; es ist ein Fest der Familie, des Schenkens, der Besinnlichkeit. Zu Ostern kommt zu den Kindern der Osterhase und nicht der Gekreuzigte; der Hase kann seine bunten Eier ebenso den Kindern von Moslems bringen.

Es besteht also kein Bedarf, an allem dem - den Feiertagen, dem Religionsunterricht in den Schulen - etwas zu ändern; so kann man argumentieren. Moslems können ihre Kinder ebenso außerhalb der Schule religiös erziehen, wie das Hindus, Sikhs und Buddhisten in Deutschland tun. Die Feiertage kommen allen zugute, und ihr religiöser Inhalt spielt ohnehin für die Mehrheit keine Rolle mehr.

Alternativ könnte man argumentieren, daß mit dem Rückgang der Bedeutung des Christentums Staat und Kirche in Deutschland stärker getrennt werden sollten; wie in Frankreich und den USA. In den USA beispielsweise gibt es überhaupt keine gesetzlichen Feiertage; von den elf Federal Holidays (die nur für Bedienstete der Regierung verpflichtend gelten) ist ein einziger - Weihnachten - ein christliches Fest; allenfalls Thanksgiving, das Erntedankfest, könnte man noch dazu rechnen. In Frankreich ist nur der 1. Mai ein bindend arbeitsfreier Tag.



Kurz: Man kann es entweder bei den jetzigen Regelungen belassen. Sie sind gut; sie schaden niemandem. Oder man kann Regelungen wie in den USA und in Frankreich anstreben. Die islamischen Verbände, von denen in dem Zitat die Rede ist, wollen aber offenkundig etwas Drittes:

Sie wollen für den Islam dieselben Privilegien erreichen, wie sie bisher in Deutschland für die christliche Religion gelten. Sie wollen einen "bekennenden" Islam-Unterricht, also die religiöse Unterweisung, einführen - dies aber an staatlichen Schulen. Sie wollen das islamische Opferfest Weihnachten gleichstellen; es also zum für alle verbindlichen gesetzlichen Feiertag machen.

Das ist absurd. Was Deutschland den Moslems zubilligt, müßte es dann jeder Religion zubilligen; also - sagen wir - die jüdischen Feiertage Yom Kippur, Sukkot und Rosch ha-Schanah zu gesetzlichen Feiertagen machen. Wenn Moslems das Recht zuerkannt erhalten, daß ihre Kindern von Lehrern, die der Steuerzahler besoldet, im Islam unterrichtet werden - wie will der Staat dieses Recht den Angehörigen anderer Religionen, den Juden, Buddhisten, Hindus in Deutschland vorenthalten; den zahlreichen Japanern in Deutschland, deren Religion der Shintoismus ist ?

Deutschland ist traditionell ein christliches Land. Es gibt keinen Grund, an den gesetzlichen Regelungen, die sich daraus herleiten, etwas zu ändern. Will man das aber unbedingt, dann kann das Ziel nur eine striktere Trennung von Staat und Religion sein. Den Staat zum Garanten einer neuen privilegierten Religion in Gestalt des Islam zu machen, ist nicht begründbar. Daß Islamisten das wollen, ist verständlich. Ihnen nachzugeben wäre verantwortungslos.­
Zettel



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