18. August 2012

Marginalie: Sind Pussy Riot "moderne Heldinnen"?

Pussy Riot - also "Muschi-Krawall" - ist eine feministische Punk-Rock-Band in Moskau.

Am 21. Februar 2012 drangen vier Mitglieder dieser Gruppe in die Khram Khrista Spasitelya in Moskau ein, die Kathedrale Christi des Erlösers.

Der Bau dieser Kirche war nach dem Sieg über Napoleon Bonaparte aus Dankbarkeit für die Rettung Rußlands begonnen worden. Er zog sich über Jahrzehnte hin. Erst 1860 war das Bauwerk vollendet. Es sollte kein Jahrhundert bestehen. Die Kommunisten sprengten die Kathedrale am 5. Dezember 1931; zuvor waren 20 Tonnen Gold abmontiert und dem Staatsvermögen einverleibt worden. Der Marmor wurde zum Teil für den Bau der Moskauer U-Bahn verwendet.

Nach dem Sturz der kommunistischen Herrschaft begann 1990 der Wiederaufbau; überwiegend durch Spenden finanziert. Mehr als eine Million Einwohner Moskaus spendeten. Im August 2000 wurde die neu errichtete Kathedrale eingeweiht.

Es ist also kein Zufall, daß "Muschi-Krawall" sich diesen Ort für ihre Provokation ausgesucht hat. Die Kathedrale ist vielen Menschen in Moskau heilig; ein Bauwerk mit hoher religiöser ebenso wie nationaler Symbolik.

Die vier Mitglieder der Gruppe also begaben sich am 21. Februar maskiert in die Kathedrale, bekreuzigten sich, verbeugten sich vor dem Altar und stimmten einen blasphemischen Song an, in dem sie die Jungfrau Maria aufforderten, "Feministin zu werden". Es kommt auch die Zeile "Scheiße, Scheiße, Gottes Scheiße" (Im Englischen Shit, shit, the Lord's shit) vor.



Zu dieser einigermaßen widerwärtigen Aktion erschien gestern in "Zeit-Online" ein Artikel von Mariam Lau mit dem Titel "Pussy Riot - Moderne Heldinnen erheben sich gegen russischen Zynismus". Darin heißt es:
Etwas an den Dreien rührt die Welt an. Wir haben eigentlich keine Helden mehr; das Wort ist verbrannt nach zu vielen militärischen Grausamkeiten, für die Epauletten und Standbilder vergeben wurden. Aber diese drei sind welche: moderne Heldinnen.
Ich stelle mir vor, vier maskierte Frauen wären in die Al-Azhar-Moschee in Kairo eingedrungen, hätten "Scheiße, Scheiße, Allahs Scheiße" gesungen und wären vor Gericht gestellt worden.

Ob Mariam Lau diese Täterinnen auch als "moderne Heldinnen" bezeichnet hätte? Ob es in unseren Medien dann auch eine Welle der Empörtheit gegeben hätte, wenn die Täterinnen verurteilt worden wären? Vermutlich hätte man vielmehr Verständnis für die Bestrafung einer derart hemmungslosen Verletzung der Gefühle von Moslems gezeigt; allenfalls das Strafmaß von zwei Jahren zu harsch gefunden.



Natürlich hat Putin den Vorfall für einen Schauprozeß genutzt. Natürlich ist ein Strafmaß von zwei Jahren Straflager für einen blasphemischen Auftritt unverhältnismäßig. Natürlich ist Rußland auf dem Weg in eine dritte Variante des Despotismus, nach der zaristischen und der kommunistischen.

Der lupenreine Despot Putin nutzt, wie die Zaren und die Kommunisten, die Justiz, um die Opposition zu unterdrücken. Das Prinzip ist, wie in jeder Despotie, daß man Wenige zu ungerecht hohen Strafen verurteilt, um Vielen die gewünschte Angst einzujagen. Jeder soll sich vor der Willkür des Herrschers fürchten; das ist das Prinzip.

Jetzt hat es drei Frauen getroffen, die eine Bestrafung verdient haben; gewiß nicht eine so drastische. Keine Heldinnen, sondern ungezogene Menschen, die bewußt die Gefühle der Gläubigen verletzt haben.

Ich kann mit den Täterinnen keine Solidarität empfinden. Ihr Schicksal ist mir gleichgültig. Solidarität empfinde ich mit aufrechten Demokraten wie Michail Borissowitsch Chodorkowski, der von Putin nicht wegen Blasphemie verfolgt wird, sondern als jüdischer, demokratischer Intellektueller; noch dazu erfolgreicher Geschäftsmann. Seit 2003 sitzt er nun in Straflagern; voraussichtlich noch bis 2016.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.