26. August 2012

Kampagnenkritik

Am Freitag hat R. A. hier einen Beitrag zur aktuellen Europa-Kampagne geschrieben. Ich habe in meinem Blog spontan geantwortet und Zettel hat mich gebeten, den Beitrag für ZR zu überarbeiten.

Ich habe mir die bisher vorgestellten Motive der Europa-Kampagne angesehen. Auch wenn darunter einige vernünftige Aussagen zu finden sind, bleibt ein schaler Beigeschmack. Insgesamt erinnert mich diese Kampagne sehr an die Zeit in der DDR: Das einfache Volk soll möglichst wenig wissen, sondern nur in die richtige Richtung marschieren. Dazu später mehr.

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Ich bin für ein »Europa der freien Vaterländer«: Ohne Grenzkontrollen, aber mit einem Kernbereich nationalstaatlicher Souveränität. Ohne Zollschranken, aber mit einem gemeinsamen Ordnungsrahmen für die Wirtschaft. Ohne jede militärische Rivalität, stattdessen mit einer koordinierten Außen- und Sicherheitspolitik. Ohne gemeinsame Schulden, aber gern mit gemeinsamen Haushaltsposten für Hochkultur und Spitzenforschung.

Mir ist ganz wichtig: Nationalismus und Nationalchauvinismus sollen für ewig gebannt sein. Frankreich und Deutschland, Deutschland und Polen sollen nie wieder Erbfeinde, sondern immer Erbfreunde sein. Doch ohne Nationalbewusstsein und nationale Identität wird sich kein Europa aufbauen lassen: Nicht mit den Polen, nicht mit den Franzosen, nicht mit den Deutschen.

Aus Selbstbewusstsein erwächst Verant­wortungs­bewusstsein: Das Europa der Vaterländer, von dem Charles de Gaulle sprach, soll also ein Europa aus selbstbewussten und ver­antwortungs­bewussten Mitgliedsstaaten sein.

Die Annäherung der Lebensverhältnisse in Europa ist ein sehr schönes, aber auch ein sehr langfristiges Ziel: Jedes Land muss sein eigenes Tempo finden. Es bringt niemandem einen Nutzen, wenn im Süden Europas milliardenteure Investitionsruinen in Form von Brücken und Straßen ins Nichts stehen.

Ich gebe gern einen Teil meines Steuergeldes für die Rettung der Akropolis oder für die Hilfe in Fall einer Natur­katastrophe. Das ist selbstverständliche europäische Solidarität.

Aber der Solidaritätsgedanke wird in den Schmutz gezogen, wenn man von uns die bedingungslose weitere Unterstützung eines Staates verlangt, der die anderen EU-Staaten jahrelang betrogen hat, in dem die Korruption uferlos ist, und in dem es bis heute kein funktionierendes Steuersystem gibt. Es kann und darf keine Fiskalunion mit einem Staat geben, der noch gar keinen richtigen Fiskus hat.

Eine gemeinsame europäische Währung ist kein Muss, sondern ein Kann. Nur zur Erinnerung: Es gibt Staaten in der EU, die sehr gut ohne den Euro leben und die sich jetzt keine so großen Sorgen um die schwarzen Löcher im Haushalt Griechenlands machen müssen.

Noch vor einigen Jahren wollten weitere EU-Länder unbedingt Mitglieder der Euro-Zone werden. Heute hört man nichts mehr von solchen Wünschen. Stattdessen machen sich viele Bürger Sorgen um ihre Ersparnisse, um die hohen Staatsschulden und um die Zukunft ihrer Arbeitgeber. Große Unternehmen beschäftigen ganze Teams von Juristen und Finanzexperten mit Vor­bereitungen für einen Ausstieg einzelner Länder aus der Euro-Zone.

Als ob wir also nicht genug Sorgen hätten, kommen uns nun einige Prominente mit dieser Kampagne: Alle Probleme sollen übertüncht werden; die Tünche soll nach Friede, Freude und Eierkuchen schmecken. Aber Freude lässt sich nicht herbeireden und der Friede ist durch Heuchelei mehr gefährdet als durch Ehrlichkeit.

Ich hätte mir gewünscht, dass die Initiatoren für das viele Geld eine fundierte Aufklärung über die Ursachen der Krise unserer Staatsfinanzen und unserer Währung anbieten. Vermutlich machen viele Leute auf der Straße reflexartig Spekulanten und Banken dafür verantwortlich.

Auch die Prinzipien einer funktionierenden Gemeinschaft sind vielen unbekannt. Viele Bürger wissen überhaupt nicht mehr, was sich hinter dem Subsidiaritätsprinzip verbirgt. Man kann es erklären. Man muss es erklären. Und dann muss man öffentlich darüber beratschlagen, wie man ihm wieder Geltung verschaffen kann.

Diese Kampagne wird uns dabei definitiv nicht weiterhelfen. Sehen Sie sich bitte das Motiv mit Florian Silbereisen an. Kann man ein Plakat ernst nehmen, auf dem sogar der christliche Glauben mit in die Propaganda hineingezogen wird? Ist den Initiatoren denn überhaupt nichts heilig?

Wenn ich so eine billige Propaganda sehe, muss ich an die DDR-Zeit denken. In der DDR gab es die landesweite Aktion »Mein Arbeitsplatz — mein Kampfplatz für den Frieden!«. Es war Neusprech in Reinkultur: Die Aufrüstung des Warschauer Pakts war gleichzeitig in vollem Gange.

Seitdem werde ich zutiefst misstrauisch, wenn Eliten oder Prominente eine Propaganda-Aktion für das einfache Volk inszenieren, mag sie auch vordergründig gut gemeint sein. Ich fürchte, dass wir bald wieder auf dem Niveau der SED-Propaganda ankommen: Die Slogans der aktuellen Kampagne sind in der Tat nicht aussagekräftiger als die Parolen der »Nationalen Front« der DDR.

Sarkastisch gesagt: Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, dass in allen öffentlichen Einrichtungen die Aktionen »Mein Arbeitsplatz — mein Kampfplatz für Europa!« und »Wählt die Kandidaten der Europäischen Front!« gestartet werden.

Soweit darf es nicht kommen. Bundespräsident Gauck hat heute in einem anderen Zusammenhang gesagt: »Es ist die Gegenwart, die unsere Wachsamkeit, unsere Entschlossenheit, unseren Mut und unsere Solidarität braucht.« Das ist für mich die Gegenwart in unserem Land und auf dem Boden unseres Grundgesetzes.

Erling Plaethe hat unter dem ursprünglichen Artikel in meinem Blog vermerkt:

Nationalstolz ist außerhalb Deutschlands so selbstverständlich, dass wer sich dagegen ausspricht nur Misstrauen erntet. Mir wurde klargemacht das glaubwürdiges Ver­antwortungs­gefühl für die Geschichte meines Landes damit beginnt, mich nicht von meinem Land abzuwenden. Das wäre ein Zeichen für die Ablehnung von Ver­antwortung auch für die Gegenwart und die Zukunft.

»My country, right or wrong; if right, to be kept right; and if wrong, to be set right.« (Carl Schurz, deutscher 1848er und erster deutschstämmiger General der United States Army).

Ich wünsche mir, dass möglichst viele Bürger Europas so denken und handeln: In einem »Europa der freien und selbstbewussten Vaterländer«.


Stefanolix

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