4. August 2012

Hexenjagd. Noch einmal der "Fall" Nadja Drygalla. Wo bleibt die liberale Öffentlichkeit?


Dies ist ein Foto von Joe McCarthy, der in den Jahren 1953 und 1954 als Senator Vorsitzender des Permanent Subcommittee on Investigations (PSI) des amerikanischen Senats war; eines Unterausschusses, zuständig für Fragen der Inneren Sicherheit.

McCarthys Tätigkeit ist als "Hexenjagd" in die Geschichte eingegangen. Er witterte - manchmal zu Recht, meist zu Unrecht - überall kommunistische Spione; bei der "Stimme Amerikas", bei den Streitkräften, in zahlreichen Regierungsbehörden. Auch Autoren wurden zur Anhörung vorgeladen, sofern ihre Bücher in den Bibliotheken von Amerikahäusern und ähnlichen Einrichtungen geführt wurden.

Insgesamt mußten in 15 Monaten 653 Menschen vor dem Ausschuß aussagen. Die Sitzungen waren öffentlich und wurden vom Fernsehen live übertragen.

Gegen diese Vorgehensweise McCarthys und seiner Helfer erhob sich alsbald heftiger Widerstand in der liberalen Öffentlichkeit. Einer der Wortführer war der beliebte TV-Journalist Edward R. Murrow.

Auch liberale Senatoren seiner eigenen, der republikanischen Partei hatten sich bereits entschieden gegen McCarthys Gesinnungsschnüffelei gewandt, bevor er überhaupt Vorsitzender des Untersuchungsausschusses geworden war. Nach 15 Monaten war der Spuk vorbei. Das Verhalten McCarthys wurde seinerseits Gegenstand einer Untersuchung des Senats, die damit endete, daß er in zwei Punkten gerügt (condemned) wurde.

Wer vor diesen Ausschuß vorgeladen worden war, der hatte - auch wenn ihm nichts nachgewiesen werden konnte - mit beruflichen Nachteilen zu rechnen.

Der Betreffende selbst. Daß jemandem Nachteile daraus erwachsen wären, daß er oder sie mit einem der als Kommunisten Verdächtigten in einer persönlichen Partner­schaft befreundet war, ist nicht bekannt.



Über den "Fall" Drygalla konnten Sie gestern in ZR einen Artikel lesen, in dem ich die Rolle einer Wortführerin thematisiert habe, der einstigen FDJ-Funktionärin und Absolventin der Parteihochschule der SED Petra Pau. Inzwischen geht der Fall durch die Medien; und nicht wenige Kommentatoren schließen sich der Meinung Frau Paus an, daß Frau Drygalla nicht hätte in London antreten dürfen, weil sie mit einem NPD-Politiker befreundet ist.

Mit ihm befreundet. Es gibt keine Hinweise darauf, daß sie selbst für die NPD tätig war, daß sie rechtsextreme Äußerungen getan hätte oder in irgend einem Punkt eine rechtsradikale oder rechtsextreme Gesinnung offenbart hätte.

Nichts, absolut nichts. Vielleicht ist sie Sympathisantin der Piraten oder der CDU oder - wer weiß - der Partei Petra Paus. Privates und Politik kann man bekanntlich trennen.

Was es zur Zeit McCarthys nicht gab, das wird heute in Deutschland versucht: Die Ausgrenzung, die Abwertung eines Menschen nicht wegen seiner eigenen Gesinnung, sondern wegen derjenigen des Menschen, in den er sich verliebt hat.

Wo ist die liberale Öffentlichkeit, die das anprangert? Wo sind die Liberalen, die öffentlich sagen, daß sie das nicht mitmachen und es beschämend finden? Wo ist die Empörung über derartige Tendenzen, so wie sie in den USA der fünfziger Jahre Joe McCarthy entgegenschlug?



Nach der rechtsextremen Sozialistischen Reichspartei (SRP), die bereits 1952 als verfassungswidrig verboten worden war, verbot das Bundesverfassungsgericht am 17. August 1956 auch die linksextreme Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) aufgrund ihrer Verfassungswidrigkeit. Sie ist bis heute verboten. Ihre Nachfolgepartei DKP wurde allerdings geduldet, ohne daß die Frage ihrer Verfassungswidrigkeit erneut geprüft worden wäre.

Mit ihrem Verbot durch das BVerfG war die KPD ähnlich an den gesellschaftlichen Rand gedrängt wie heute die NPD. Ihre Mitglieder und Funktionäre erlitten berufliche Nachteile; wie die von McCarthy Verfolgten. Aber auch aus dieser Zeit ist kein Fall bekannt, daß sich dies auch auf Personen erstreckt hätte, die mit einem Kommunisten befreundet waren oder mit ihm in einer Partnerschaft lebten.

Niemand wäre damals, in der Adenauerzeit, auf die Idee gekommen, eine derartige Sippen- oder hier Partnerhaft zu fordern. Und hätte es jemand getan, dann hätte sich die liberale Öffentlichkeit zu Wort gemeldet.

Man stelle sich vor, was in der liberalen deutschen Öffentlichkeit los gewesen wäre, wenn bei den Olympischen Sommerspielen 1956 - einige Monate nach dem KPD-Verbot also - eine deutsche Sportlerin hätte aus Melbourne abreisen müssen, weil ihr vorgeworfen wurde, sie sei mit einem Funktionär der nunmehr verbotenen KPD befreundet!

Alle hätten sie diesen Rückfall in NS-Denken gegeißelt, die prominenten Liberalen. Thomas Dehler, der große liberale Politiker. Rudolf Augstein, der liberale Publizist. Schriftsteller aus der Gruppe 47.



Der Berliner "Tagesspiegel" gilt als ein liberales Blatt. Hat er sich gegen die Hexenjagd gewandt? Im Gegenteil. Dort schrieb gestern Frank Jansen:
Drygalla hat freiwillig an ein Milieu angedockt, das Deutschlands dunkelste Jahre als seine hellsten glorifiziert. Die Ruderin ist entweder unglaublich naiv oder dumm oder selbst vom braunen Ungeist infiziert. Keine Variante lässt es geboten erscheinen, Drygalla als Vorzeigesportlerin der Bundesrepublik auftreten zu lassen.
Totalitäre Töne. So sprachen die Nazis, die Kommunisten von denen, die wegen ihrer Gesinnung nicht würdig seien, das Deutsche Volk oder die Sozialistische Republik zu vertreten.

Und bei Frau Drygalla geht es ja nicht einmal um ihre Gesinnung; nur um die des Menschen, bei dem sie, wie Jansen das ausdrückt, "angedockt" hat.

Im als liberal geltenden "Zeit-Online" äußert sich dessen Chef vom Dienst Christian Bangel so:
Doch ist es unwahrscheinlich, dass Drygalla mit einem führenden Kader der norddeutschen Neonazis zusammen ist und dessen Ansichten über Rasse, Juden und generell die Ungleichwertigkeit von Menschen nicht zumindest toleriert?
Das ist die klassische Hexenjagd. A ist als Hexe überführt. B hatte Kontakt mit A. Also ist auch B. im Verdacht, eine Hexe zu sein.

Es sei denn, sie kann sich reinwaschen. Bangel:
Drygalla hätte ganz leicht jeden Verdacht wegwischen können, indem sie noch gestern Abend erklärt hätte, dass sie sich von Antisemitismus und Rassismus distanziert.
Sie hat an ihrer demokratischen Gesinnung in einem eineinhalbstündigen Gespräch mit Michael Vesper keinen Zweifel gelassen. Sie hätte aber vielleicht noch die Hexenprobe machen können.



Merken eigentlich diese Hexenjäger nicht, wie ähnlich sie denen sind, die sie jagen? Niemand, der rechtstaatlich, der liberal denkt, kann auf die Idee verfallen, eine Frau als Sportlerin zu benachteiligen, weil sie einen bestimmten Mann liebt. In totalitären Regimes hingegen war und ist so etwas gängig.

Manche sind ihren Feinden ähnlicher, als sie wahrhaben wollen
Zettel



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