2. März 2010

Kurioses, kurz kommentiert: "Lediglich Buchhändler genießen noch weniger Achtung". Wie demoskopische Daten (nachgerade notorisch) mißverstanden werden

Laut Allensbach-Institut sind übrigens Journalisten nur bei elf Prozent der Deutschen hoch angesehen, lediglich Offiziere, Gewerkschaftsführer, Politiker und Buchhändler genießen noch weniger Achtung.

Tilman Steffen gestern in "Zeit-Online" in einem Artikel über die Moral von Journalisten ("Wer 'Lalleluja' titelt, darf nicht über die Moral anderer urteilen").


Kommentar: Daß der Berufsstand des Politikers in Deutschland - und nicht nur hier - nicht eben besondere Achtung genießt, ist keine Neuigkeit. Daran, daß der Stand des Journalisten sich eines kaum höheren Ansehens erfreut, arbeiten viele Journalisten emsig. Was in aller Welt haben aber die Buchhändler getan, daß sie in der Rangreihe des Ansehens noch hinter den Journalisten und den Politikern rangieren?

Gar nichts. Und deshalb rangieren sie eben ganz hinten.

Demoskopische Daten werden immer gern zitiert. Selten verstehen diejenigen, die mit ihnen hantieren, aber die Demoskopie. Das führt immer wieder zu kuriosen Mißverständnissen und Irrtümern.

Geradezu pandemisch ist es, daß kleine Veränderungen in Umfragedaten - beispielsweise bei der Parteipräferenz - mit großem Tamtam berichtet und kommentiert werden, obwohl sie im Zufallsbereich liegen. (Kleine Veränderungen können allerdings dann bedeutsam sein, wenn sie auf einem umfangreichen Korpus aggregierter Daten verschiedener Institute basieren; siehe Präsidentschaftswahlen in Frankreich: Triumph des Messens; ZR vom 23. 4. 2007).

Ein weiterer Fehler ist es, nicht darauf zu achten, was eigentlich gefragt wurde und was die Antworten also bedeuten. Minimale Änderungen in der Fragestellung können zu drastischen Unterschieden in den Resultaten führen; für ein Beispiel siehe Kann man demoskopische Daten manipulieren?; ZR vom 21. 8. 2007.

Hierher gehört die Sache mit den Buchhändlern.



Wie kann man das Ansehen von Berufen messen? Man könnte beispielsweise den Befragten eine Liste mit Berufen vorlegen und sie bitten, auf einer Kategorienskala für jeden davon das Ansehen zu beurteilen. Man würde vielleicht eine Sieben-Punkte-Skala verwenden. Der Wert 7 würde dann "sehr hohes Ansehen" bedeuten, der neutrale Wert 4 "mittleres" und der Wert 1 "sehr geringes Ansehen".

Den niedrigsten Wert bei oder nahe 1 würden dann vermutlich, sagen wir, Zuhälter und Prostituierte erreichen. Gewiß nicht die Buchhändler. Diese würden - ich unterstelle das jetzt einmal - nahe bei dem neutralen Wert 4 liegen. Man attestiert ihnen kein hohes, aber auch kein geringes Ansehen. Sie sind eben nicht herausgehoben, weder in positiver noch in negativer Hinsicht.

So hat aber das Institut für Demoskopie Allensbach nicht gefragt. Die Methode war ganz anders. Sie ist zusammen mit den aktuellen Daten von 2008 in dieser Mitteilung beschrieben.

Die Umfrage wird seit 1966 im Abstand von jeweils mehreren Jahren auf immer dieselbe Weise durchgeführt. Die Befragten skalieren nicht die Beliebtheit der einzelnen Berufe wie in dem obigen Beispiel; sondern sie erhalten eine Liste mit insgesamt 17 Berufen vorgelegt mit der Aufforderung: "Hier sind einige Berufe aufgeschrieben. Könnten Sie bitte die fünf davon heraussuchen, die Sie am meisten schätzen, vor denen Sie am meisten Achtung haben?"

Die Rangreihe ergibt sich aus dem Prozentsatz der Befragten, die den jeweiligen Beruf in ihre Fünferliste aufnahmen. An der Spitze lagen 2008 die Ärzte mit 78 Prozent, gefolgt von den Pfarrern (Geistlichen) mit 39 Prozent und den Hochschulprofessoren mit 34 Prozent. An siebzehnter und letzter Stelle lagen 2008 mit 5 Prozent die Buchhändler. Auch in der vorausgehenden Umfrage von 2003 waren sie schon das Schlußlicht gewesen, hatten aber noch 7 Prozent erhalten.

Bedeutet das, so wie es Tilman Steffen in "Zeit-Online" formuliert, daß die Buchhändler besonders "wenig Achtung" genießen? In keiner Weise. Sie werden selten in der Liste der fünf Berufe mit besonders hohem Prestige genannt; das ist alles.

Würde man in einer Befragung eine Liste von Urlaubszielen vorlegen und nach den fünf beliebtesten fragen, dann würden vermutlich Ziele wie Mallorca, Gran Canaria und die Dominikanische Republik vorn liegen. Juist oder Hiddensee würden, wenn es hoch kommt, dort sein, wo sich die Buchhändler befinden; am Ende der Rangreihe.

Heißt das, daß Hiddensee und Juist als Urlaubsziel "besonders wenig gemocht werden"? Offensichtlich nicht. Einige Prozent der Bürger schätzen diese Inseln sehr, und den anderen sind sie egal.

So ist das auch mit den Buchhändlern. Sie genießen nicht besonders "wenig Achtung"; sondern sie befinden sich lediglich selten in der Spitzengruppe derer, denen besonders hohe Achtung entgegengebracht wird.

Man sollte meinen, daß dies ein Unterschied ist, der auf der Hand liegt. Kurios, daß das offenbar nicht so ist.



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