27. März 2010

Zitate des Tages: Erdoğans Gedankenfehler? - Ein Gedankenfehler des Ministers Laschet! Warum will Recep Erdoğan türkische Gymnasien in Deutschland?

Das unsinnigste an Erdoğans Vorschlag ist der Vergleich mit deutschen Schulen in Istanbul. Dorthin schickt eine türkische Oberschicht ihre Kinder, die will, dass sie zusätzlich Deutsch lernen. Und es gehen deutsche Kinder in der Türkei auf diese Schulen. Wir aber haben das soziale Problem, dass unsere Zuwandererkinder nicht den Aufstieg in die deutsche Gesellschaft schaffen. (...) Wir reden von Kindern, die schlecht Deutsch sprechen. Und die sollen in türkischen Schulen Türkisch unterrichtet werden? Das ist ein Gedankenfehler.

Der nordrhein-westfälische Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration Armin Laschet gestern in einem Interview mit "Zeit-Online" zu dem Vorschlag des türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan, in Deutschland türkisch-sprachige Gymnasium einzurichten.

Die türkische Regierung will ein neues Gremium gründen, das sich um die Belange der mehr als fünf Millionen Auslandstürken kümmern soll. (...) Unter "Auslandstürken" verstehen die AKP-Gesetzgeber nicht nur Inhaber des türkischen Passes, sondern auch türkischstämmige Bürger anderer Länder, die auf eigene Initiative die türkische Staatsangehörigkeit abgelegt haben.

Aus einer Meldung der "Süddeutschen Zeitung" vom 18. 3. 2010.


Kommentar: Der Integrationsminister des Landes NRW macht einen Gedankenfehler, wenn er Recep Tayyip Erdoğan einen Gedankenfehler unterstellt. Laschet setzt nämlich voraus, daß es Erdoğans Ziel ist, den Nachfahren türkischer Einwanderer das Annehmen einer deutschen Identität zu erleichtern. Dann allerdings wäre es ein Gedankenfehler, sie in türkischsprachigen Gymnasien zu erziehen.

Das ist aber nicht das Ziel des Ministerpräsidenten Erdoğan, der bei seinem Besuch in Köln vor zwei Jahren die Assimilation als Verbrechen bezeichnete und der diese Bewertung kürzlich bekräftigt hat (siehe Erdogan, die EU und das Verbrechen der Assimilation; ZR vom 18. 3. 2010).

Er sieht die Nachkommen der Einwanderer nicht als Deutsche türkischer Herkunft, sondern als Auslandstürken. Er rät ihnen zwar, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen; aber nur zusätzlich zu ihrer türkischen Staatsangehörigkeit. "Eine doppelte Staatsbürgerschaft zu haben, entfernt dich nicht von deiner eigentlichen Identität"; so hat er es im Februar dieses Jahres unmißverständlich formuliert.

Erdoğan macht also keineswegs einen Gedankenfehler, wenn er die Errichtung türkischer Gymansien in Deutschland fordert. Sie ist aus seiner Sicht im Gegenteil vollkommen logisch; nämlich als Instrument zur Erhaltung und Festigung der türkischen Identität der Nachkommen von Einwanderern. Als eine Waffe gegen die Assimilation, dieses Verbrechen.

In dem Interview sagt Laschet: "Erdoğan ist nicht zuständig für Kinder, die hier geboren wurden und die türkische Wurzeln haben. Dafür sind die Kultusminister in den Bundesländern da". So sieht Laschet das; so sehen es (hoffentlich) die meisten Deutschen. Aber so sieht es Erdoğan eben nicht. Für Türken ist aus seiner Sicht selbstverständlich er selbst zuständig, ist seine Regierung, ist der türkische Staat zuständig. Und Türken, die sich im Ausland ansiedeln, bleiben für ihn Türken.



Wir werden in Deutschland nicht umhinkommen, diese Frage mit der Türkei auszudiskutieren, und zwar bis zum notfalls bitteren Ende.

Deutsche, deren Eltern oder Großeltern aus der Türkei einwanderten, sind, sofern sie durch Geburt oder durch Einbürgerung ihrer Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft erworben haben, so wenig Türken, wie die Nachfahren deutscher Einwanderer in die USA oder nach Australien noch Deutsche sind. Punktum.

Wir können, wenn wir dies denn wollen, die Türkei dazu einladen, diesen Deutschen beispielsweise bei der Pflege der Kultur der Heimat ihrer Vorfahren behilflich zu sein, oder in religiösen Dingen. Wir können das auch sein lassen. Deutsche Staatsbürger haben einen fremden Staat, sofern wir das nicht selbst wollen, nichts anzugehen.

Seit der Änderung des Staatsangehörigkeits-Gesetzes (StAG) durch die rotgrüne Regierung, die im Jahr 2000 in Kraft trat, gilt - nach Paragraph 29 - für die in Deutschland geborenen Nachfahren von Einwanderern, die selbst keine Deutschen sind, unter bestimmten Voraussetzungen das sogenannte Optionsmodell: Sie erhalten mit ihrer Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit zusätzlich zu derjenigen des Herkunftslands ihrer Eltern, müssen sich aber zwischen dem 21. und dem 23. Lebensjahr für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden.

Bis es für die ersten von dieser Regelung Betroffenen so weit ist, werden noch mehr als 10 Jahren vergehen. Schon jetzt sind gegen § 29 StAG erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken vorgetragen worden. Seine verfassungsrechtliche Prüfung steht noch aus, weil eben die ersten Fälle, in denen er zur Anwendung kommen wird, noch in der Zukunft liegen.

Dieses Optionsmodell war von vornherein ein fauler Kompromiß. Es ist nicht einzusehen, warum sich nicht Deutschland, wie andere Länder auch, für eine eindeutige Regelung entscheiden können sollte: Entweder haben in Deutschland Geborene die Staatsanhörigkeit ihrer Eltern, wie es vor der Änderung von 2000 galt (ius sanguinis); oder man entscheidet sich, wie Frankreich, für das ius soli, und jedes Kind, das in Deutschland geboren wird, hat damit automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Und nur diese.

Vielleicht erzwingt es ja die wachsende brutale Offenheit, mit der Ankara die Nachfahren türkischer Einwanderer für sich reklamiert, daß wir uns entscheiden, bevor der § 29 StAG möglicherweise vom BVerfG gekippt wird.

Und bevor wir dann eine ganze Generation von Deutschen im Land haben, von denen viele völlig legal zugleich türkische Untertanen sind - und den damit verbundenen Zugriffsmöglichkeiten des türkischen Staats unterworfen.



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