Der Vorwurf, in einem Roman antisemitisch geschrieben zu haben, ist der härteste Vorwurf überhaupt. Das kann sich jemand, dem dieser Vorwurf noch nicht gemacht worden ist, überhaupt nicht vorstellen. Auch die, die einem diesen Vorwurf machen, haben keine, keine, keine Ahnung, wie dieser Vorwurf weh tut. Sonst würden sie diesen Vorwurf nicht machen. Also, das war dann der wirkliche Tief- und Schmerzpunkt meiner sogenannten Laufbahn. Ich konnte nur noch denken: Kennen denn die nicht, was ich geschrieben habe über Kafka, Proust, Rudolf Borchardt und andere, meine Aufsätze zum Thema Auschwitz, mein Stück "Der Schwarze Schwan"? Nein, sie kennen es nicht und beschuldigen drauflos, weil das der Zeitgeist gerade so will.
Martin Walser im aktuellen "Spiegel" (Heft 11/2010, S. 136 - 140; hier S. 138) in einem Gespräch mit Volker Hage und Katja Thimm über die seinerzeitigen Vorwürfe gegen seinen Roman "Tod eines Kritikers" (2002).
Kommentar: Am vergangenen Freitag habe ich anläßlich des Erscheinens des dritten Bands von Martin Walsers Tagebüchern an die Kontroverse zwischen Walser und Marcel Reich-Ranicki erinnert, die 1976 mit einer vernichtenden Kritik Reich-Ranickis zu Walsers "Jenseits der Liebe" begann und die mit Walsers Roman "Tod eines Kritikers" von 2002 vorläufig endete. In diesem Artikel ging es mir um das Verhältnis zwischen diesen beiden Männern; jeder auf seine Art einer der Großen der deutschen Literatur.
Das jetzige Gespräch mit dem "Spiegel" veranlaßt mich, noch einmal auf dieses Thema zurückzukommen; oder vielmehr auf einen thematisch anderen Aspekt desselben Geschehens: Den Vorwurf, ein antisemitisches Buch geschrieben zu haben, der auf einen Offenen Brief des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher im Jahr 2002 zurückging (auch wenn in diesem das Wort "Antisemitismus" nicht vorkam) und der zu einer heftigen Diskussion weit über die Feuilletons hinaus führte.
Ich habe das damals genauso gesehen, wie es Walser jetzt beschreibt, und habe meine Meinung seither nicht geändert. Die Kampagne gegen Walser war unanständig. Einige haben sich daran beteiligt, weil sie Walser und sein Werk nicht kannten. Andere haben sich - wie Schirrmacher, wie Karasek - beteiligt, obwohl sie ihn und seine Texte kannten.
In einem Interview aus der Zeit dieser Kampagne hat sich Walser gegenüber Roger Köppel von der "Weltwoche" dazu und zu der Vorgeschichte der Affäre geäußert:
Es gehört zu den Nachwehen der 68er Zeit in Deutschland, daß der Literaturbetrieb politisiert wurde. Inzwischen klingt das ab; aber geblieben ist eine Neigung, Kontroversen so zu führen, als sei der Widerpart ein abgebrühter Politiker, der es gelernt hat, Anwürfe stoisch zu ertragen und als Teil des Geschäfts zu betrachten.
Mit Martin Walser, der sich - anders als beispielsweise Günter Grass - nie politisch festgelegt hat, der also auch nicht den Schutz eines politischen Lagers genießt, ist man so umgegangen, als sei er ein solcher Politiker mit der Haut eines Elefanten. Einer, auf den man ruhig einmal eindreschen kann, wenn es doch um die gute Sache - die Bekämpfung des Antisemitismus - geht.
Ja, die Bekämpfung des Antisemitismus ist eine gute, ist eine eminent wichtige Sache. Nur sollte man ihn dort bekämpfen, wo er ist; nicht dort, wohin man ihn projiziert. Das richtige politische Ziel rechtfertigte nicht die Art, wie Martin Walser behandelt wurde, der eben nicht mit der Elefantenhaut eines Berufspolitikers gesegnet ist. Er hat recht, darauf aufmerksam zu machen; auch jetzt noch, nach Jahren.
Martin Walser im aktuellen "Spiegel" (Heft 11/2010, S. 136 - 140; hier S. 138) in einem Gespräch mit Volker Hage und Katja Thimm über die seinerzeitigen Vorwürfe gegen seinen Roman "Tod eines Kritikers" (2002).
Kommentar: Am vergangenen Freitag habe ich anläßlich des Erscheinens des dritten Bands von Martin Walsers Tagebüchern an die Kontroverse zwischen Walser und Marcel Reich-Ranicki erinnert, die 1976 mit einer vernichtenden Kritik Reich-Ranickis zu Walsers "Jenseits der Liebe" begann und die mit Walsers Roman "Tod eines Kritikers" von 2002 vorläufig endete. In diesem Artikel ging es mir um das Verhältnis zwischen diesen beiden Männern; jeder auf seine Art einer der Großen der deutschen Literatur.
Das jetzige Gespräch mit dem "Spiegel" veranlaßt mich, noch einmal auf dieses Thema zurückzukommen; oder vielmehr auf einen thematisch anderen Aspekt desselben Geschehens: Den Vorwurf, ein antisemitisches Buch geschrieben zu haben, der auf einen Offenen Brief des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher im Jahr 2002 zurückging (auch wenn in diesem das Wort "Antisemitismus" nicht vorkam) und der zu einer heftigen Diskussion weit über die Feuilletons hinaus führte.
Ich habe das damals genauso gesehen, wie es Walser jetzt beschreibt, und habe meine Meinung seither nicht geändert. Die Kampagne gegen Walser war unanständig. Einige haben sich daran beteiligt, weil sie Walser und sein Werk nicht kannten. Andere haben sich - wie Schirrmacher, wie Karasek - beteiligt, obwohl sie ihn und seine Texte kannten.
In einem Interview aus der Zeit dieser Kampagne hat sich Walser gegenüber Roger Köppel von der "Weltwoche" dazu und zu der Vorgeschichte der Affäre geäußert:
Mir war natürlich klar, dass der Vorabdruck nicht konfliktfrei abgewickelt werden kann, angesichts der engen Verbindung zwischen der FAZ und Marcel Reich-Ranicki. Vier professionelle Gewährsleute haben das Manuskript vorab gelesen, keiner fühlte sich gedrängt, mir von einer Publikation abzuraten. Die erste Entwarnung kam von Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld. Der kennt den Kulturbetrieb, steht mittendrin. Er hat gesagt: kein Problem, keine Beleidigung weit und breit. (...)
Ich war dann sehr überrascht, als ich am Dienstag, den 27. Mai, abends um 18 Uhr 35, den Anruf vom Literaturchef Hubert Spiegel erhielt. Die ganzen Tage hatte ich mit ihm bereits in Kontakt gestanden, und es klang immer so, als ob es mit dem Vorabdruck klappen könnte. Nur das Plazet des Herausgebers Frank Schirrmacher fehle noch, der habe halt schrecklich viel zu tun, hiess es. Um 18 Uhr 35 kam dieser Anruf, sie könnten es nicht bringen. (...)
Frage von Roger Köppel: Mit Frank Schirrmacher verstanden Sie sich doch gut. Warum fiel ausgerechnet er Ihnen in den Rücken?
Das frage ich mich die ganze Zeit. In meinem neuen Buch gibt es einen Autor, der sich schlimm behandelt fühlt. Der sagt an einer Stelle sinngemäss: Wenn du jemanden wirklich treffen willst, dann musst du es so machen, dass er nie begreift, warum. Das sind die richtigen Schläge, wenn man ein ganzes Leben darüber nachdenken muss, warum, warum, warum, und doch nie darauf kommt. So hat mich nun Schirrmacher getroffen.
Es gehört zu den Nachwehen der 68er Zeit in Deutschland, daß der Literaturbetrieb politisiert wurde. Inzwischen klingt das ab; aber geblieben ist eine Neigung, Kontroversen so zu führen, als sei der Widerpart ein abgebrühter Politiker, der es gelernt hat, Anwürfe stoisch zu ertragen und als Teil des Geschäfts zu betrachten.
Mit Martin Walser, der sich - anders als beispielsweise Günter Grass - nie politisch festgelegt hat, der also auch nicht den Schutz eines politischen Lagers genießt, ist man so umgegangen, als sei er ein solcher Politiker mit der Haut eines Elefanten. Einer, auf den man ruhig einmal eindreschen kann, wenn es doch um die gute Sache - die Bekämpfung des Antisemitismus - geht.
Ja, die Bekämpfung des Antisemitismus ist eine gute, ist eine eminent wichtige Sache. Nur sollte man ihn dort bekämpfen, wo er ist; nicht dort, wohin man ihn projiziert. Das richtige politische Ziel rechtfertigte nicht die Art, wie Martin Walser behandelt wurde, der eben nicht mit der Elefantenhaut eines Berufspolitikers gesegnet ist. Er hat recht, darauf aufmerksam zu machen; auch jetzt noch, nach Jahren.
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