18. März 2010

Zitat des Tages: Erdogan, die EU und das Verbrechen der Assimilation

Wären EU-Beitrittsgegner aus der Union dabei gewesen, die hätten eine Menge Stoff für ihre Argumente bekommen.

Der türkischstämmige Grünen-Politiker Ali Ertan Toprak, der laut "Welt-Online" als Vertreter der Aleviten in Deutschland "einer der wichtigsten Ansprechpartner für die deutsche Regierung" im Dialog mit dem Islam ist, über einen Besuch beim türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Das Zitat steht in einem Bericht von Anna Reimann und Katrin Elger in "Spiegel-Online" über dieses Treffen in Istanbul, an dem auf Einladung der türkischen Regierung rund 1500 türkischstämmige Politiker aus ganz Europa teilnahmen.


Kommentar: Liest man das, was die Autorinnen schreiben, dann wird man Topraks Reaktion nicht nur verstehen, sondern man wird sie als außerordentlich gemäßigt bezeichnen müssen.

Erdogan hat nämlich auf diesem Treffen offenbar eine Sicht der türkischen Einwanderung nach Europa entwickelt, die keine Zweifel an seinen Absichten läßt: Für ihn sind die Einwanderer Mitglieder eine Fünfte Kolonne der Türkei, die sich an deren Interessen orientieren sollen. Er sieht sie nicht als Menschen, die eine neue nationale Identität angenommen haben, sondern als Türken, die im Ausland siedeln.

Einige Details:
  • In der Einladung zu dem Treffen wurde von Erdogan als "unserem Premierminister" gesprochen.

  • Auf der Veranstaltung riet Erdogan den Einwanderern (also den Auswanderern aus türkischer Perspektive, oder wohl eher den Auslandstürken), sie "sollten die Staatsbürgerschaft ihrer neuen Heimat annehmen, aber nicht in erster Linie um sich dort zu integrieren, sondern um politisch aktiv zu werden".

  • Eine Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft durch die aufnehmenden Ländern verstößt nach Erdogan gegen die Grundrechte.

  • Nach Aussagen von Teilnehmern wiederholte Erdogan den Satz, den er schon bei seinem Besuch in Köln 2008 gesprochen hatte: "Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Die Übersetzung ist allerdings umstritten; offenbar kann man auch übersetzen "Assimilation ist eine Schande für die Menschheit"; siehe Denglisch aus Dummheit; ZR vom 14. 2. 2008.

  • Nach Aussage von Toprak wurde auf der Veranstaltung offen gesagt, daß "Deutsch-Türken die Interessen des türkischen Staates vertreten sollten".

  • Der Artikel von "Spiegel-Online" zitiert türkischstämmige deutsche Politiker, die diese Haltung der türkischen Regierung kritisieren. Sehr schön; die anderen, die sich als Teil einer Fünften Kolonne der Türkei sehen, werden das freilich auch nicht herausposaunen.

    Das politische Entscheidende an der Haltung der türkischen Regierung ist aber weniger, wie gut oder wie schlecht sie bei diesen Abgeordneten ankommt. Wesentlich ist, daß diese Position so existiert. Und das nun allerdings ist, wie Toprak richtig erkannt hat, von größter Relevanz für die Beurteilung des Beitrittswunsches der Türkei.

    Nachdem Erdogan seine Rede in Köln gehalten hatte, kommentierte das der damalige bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein sehr treffend (siehe Beckstein über Erdogan; ZR vom 12. 2. 2008). Die "Nürnberger Zeitung" (NZ) berichtete das damals:
    "Diese Rede war höchst unerfreulich", urteilt Beckstein beim Besuch in der NZ. Mit dem Appell an seine hier lebenden Landsleute, sich nicht zu assimilieren, stelle Erdogan die türkische Sprache und Kultur eindeutig über die deutsche. (...) "Erdogan unterstützt somit von Ankara aus die Ghettoisierungstendenzen einer Minderheit". (...)

    "Erdogan ist alles andere als ein einfacher Partner", sagt Beckstein, der sich im gleichen Atemzug einen Freund der Türken nennt. In der EU will er - wie seine Partei - das Land auf keinen Fall sehen. Man dürfe sich keine Illusionen machen, warnt er. "Sind sie erst aufgenommen, streben sie sicher eine Führungsrolle an", warnt Beckstein.
    Und bei diesem Streben sollen der Türkei, wird sie denn in die EU aufgenommen werden, die "Auslandstürken" offenbar gute Dienste leisten.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.