Galileo Galilei gilt nicht erst seit Brechts Stück als das Paradebeispiel des Wissenschaftlers, der ungeachtet äußerer Umstände der Wahrheit zum Sieg verhelfen will und nichts als empirische Beobachtungen und seine Schlüsse daraus gelten lässt. E pur si muove soll er gemurmelt haben, als er den von der Inquisition geforderten Widerruf seiner Lehren unterschrieb: "Und sie bewegt sich doch!", nämlich die Erde um die Sonne.
Nun stellt sich aber heraus, dass Galilei vielleicht doch nicht ganz so rein wissenschaftlich arbeitete. In einem Artikel in Physics in Perspective berichtet der Physiker und Astronom Christopher M. Graney von Galileis Beobachtungen des Doppelsterns Mizar im Großen Wagen (tatsächlich ist Mizar sogar ein Vierfachstern; das wurde aber erst Ende des 19. Jahrhunderts festgestellt). Galilei hoffte, anhand Mizars sein kopernikanisches Weltbild belegen zu können.
Die beiden Komponenten Mizar A und Mizar B sind von deutlich unterschiedlicher Helligkeit. Da nun Galileo annahm, dass beide Sterne gleich groß und gleich hell seien wie die Sonne, konnte dieser Helligkeitsunterschied nur daher kommen, dass Mizar B weiter weg von uns steht als Mizar A. Aufgrund der Helligkeiten schätzte Galilei, dass Mizar A etwa 300, Mizar B etwa 450 Astronomische Einheiten von uns entfernt ist - eine Astronomische Einheit ist die mittlere Entfernung zwischen der Erde und der Sonne. Tatsächlich beträgt der Abstand etwa 5 Millionen Astronomische Einheiten; Galilei wusste noch nicht von den Auswirkungen der Diffraktion in Teleskopen.
Was erwartete Galileo also zu sehen, wenn er Mizar im Abstand von sechs Monaten beobachtete? Stellen wir uns auf ein Feld, so dass in 10 und 15 Metern Entfernung je ein Baum steht, von uns aus gesehen fast hintereinander. Wenn wir die dritte Dimension ausblenden, dann sieht das von uns aus so aus, als stünden die Bäume knapp nebeneinander. Nun machen wir einen Schritt zur Seite. Dann werden die beiden Bäume scheinbar ihren Abstand voneinander ändern. Das ist die sogenannte Parallaxe der Bäume, und den gleichen Effekt erwartete Galilei bei Mizar A und B, wenn die Erde sich im Lauf des Jahres um die Sonne drehte. Der scheinbare Abstand zwischen den beiden Sternen sollte sich über mehrere Monate hinweg deutlich sichtbar ändern.
Nun fand Galilei aber leider eben diese Parallaxe nicht. Kein Wunder: in Wirklichkeit sind Mizar A und B eben nicht weit voneinander entfernt, sondern stehen sehr eng beieinander und sind obendrein noch viel weiter von uns entfernt als Galilei annahm. Selbst Galilei mit seiner sehr guten Beobachtungsgabe hätte die resultierende winzige Parallaxe nicht beobachten können. Aber diese Erklärung hatte Galilei nicht. Statt dessen sah es so aus, als wäre eine zentrale Vorhersage der heliozentrischen Theorie nicht eingetroffen.
Wie sollte man als Wissenschaftler mit so einem Ergebnis umgehen? Man sollte es veröffentlichen und die Kollegen darauf aufmerksam machen, dass hier ein Problem einer Lösung harrt. Keinesfalls sollte man solch eine Beobachtung unter den Teppich kehren.
Aber genau das tat Galilei.
Galilei untersuchte die Parallaxe von Mizar im Jahre 1617. Im Jahre 1632 veröffentlichte er seinen fundamentalen Dialog über die zwei Weltsysteme, in dem er die heliozentrische und die geozentrische Theorie gegenüberstellte und sich für die die heliozentrische Theorie aussprach. Mit keinem Wort erwähnte er darin seine fruchtlosen Versuche, die Heliozentrik anhand der Mizar-Parallaxe zu belegen - statt dessen beschrieb er die Messung der Parallaxe entfernter Sterne als eine theoretische Möglichkeit, seine Thesen zu stützen: als ob er genau diese Methode nicht schon angewandt hätte, mit Ergebnissen, die seiner Theorie widersprachen.
Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Graney weist in seinem Artikel mehrfach darauf hin, dass Galileis Überzeugung von der Richtigkeit des kopernikanischen Weltbilds hauptsächlich auf dessen mathematischer Eleganz beruhte. Auch die tatsächlichen Tiden passten nicht zu den Vorhersagen aufgrund Galileis Modells. Aber weder die Mizar-Parallaxe noch die Tiden stimmten Galilei um: was mathematisch elegant war, musste einfach wahr sein, und empirische Belege würden sich schon noch finden.
Galilei war ein scharfer Beobachter des Firmaments, und die Zeit gab ihm und seinen Theorien recht. Als beispielhafter Wissenschaftler taugt er hingegen nicht.
Aber Parallelen zum Umgang von Klimawissenschaftlern mit Daten bieten sich an.
Nun stellt sich aber heraus, dass Galilei vielleicht doch nicht ganz so rein wissenschaftlich arbeitete. In einem Artikel in Physics in Perspective berichtet der Physiker und Astronom Christopher M. Graney von Galileis Beobachtungen des Doppelsterns Mizar im Großen Wagen (tatsächlich ist Mizar sogar ein Vierfachstern; das wurde aber erst Ende des 19. Jahrhunderts festgestellt). Galilei hoffte, anhand Mizars sein kopernikanisches Weltbild belegen zu können.
Die beiden Komponenten Mizar A und Mizar B sind von deutlich unterschiedlicher Helligkeit. Da nun Galileo annahm, dass beide Sterne gleich groß und gleich hell seien wie die Sonne, konnte dieser Helligkeitsunterschied nur daher kommen, dass Mizar B weiter weg von uns steht als Mizar A. Aufgrund der Helligkeiten schätzte Galilei, dass Mizar A etwa 300, Mizar B etwa 450 Astronomische Einheiten von uns entfernt ist - eine Astronomische Einheit ist die mittlere Entfernung zwischen der Erde und der Sonne. Tatsächlich beträgt der Abstand etwa 5 Millionen Astronomische Einheiten; Galilei wusste noch nicht von den Auswirkungen der Diffraktion in Teleskopen.
Was erwartete Galileo also zu sehen, wenn er Mizar im Abstand von sechs Monaten beobachtete? Stellen wir uns auf ein Feld, so dass in 10 und 15 Metern Entfernung je ein Baum steht, von uns aus gesehen fast hintereinander. Wenn wir die dritte Dimension ausblenden, dann sieht das von uns aus so aus, als stünden die Bäume knapp nebeneinander. Nun machen wir einen Schritt zur Seite. Dann werden die beiden Bäume scheinbar ihren Abstand voneinander ändern. Das ist die sogenannte Parallaxe der Bäume, und den gleichen Effekt erwartete Galilei bei Mizar A und B, wenn die Erde sich im Lauf des Jahres um die Sonne drehte. Der scheinbare Abstand zwischen den beiden Sternen sollte sich über mehrere Monate hinweg deutlich sichtbar ändern.
Nun fand Galilei aber leider eben diese Parallaxe nicht. Kein Wunder: in Wirklichkeit sind Mizar A und B eben nicht weit voneinander entfernt, sondern stehen sehr eng beieinander und sind obendrein noch viel weiter von uns entfernt als Galilei annahm. Selbst Galilei mit seiner sehr guten Beobachtungsgabe hätte die resultierende winzige Parallaxe nicht beobachten können. Aber diese Erklärung hatte Galilei nicht. Statt dessen sah es so aus, als wäre eine zentrale Vorhersage der heliozentrischen Theorie nicht eingetroffen.
Wie sollte man als Wissenschaftler mit so einem Ergebnis umgehen? Man sollte es veröffentlichen und die Kollegen darauf aufmerksam machen, dass hier ein Problem einer Lösung harrt. Keinesfalls sollte man solch eine Beobachtung unter den Teppich kehren.
Aber genau das tat Galilei.
Galilei untersuchte die Parallaxe von Mizar im Jahre 1617. Im Jahre 1632 veröffentlichte er seinen fundamentalen Dialog über die zwei Weltsysteme, in dem er die heliozentrische und die geozentrische Theorie gegenüberstellte und sich für die die heliozentrische Theorie aussprach. Mit keinem Wort erwähnte er darin seine fruchtlosen Versuche, die Heliozentrik anhand der Mizar-Parallaxe zu belegen - statt dessen beschrieb er die Messung der Parallaxe entfernter Sterne als eine theoretische Möglichkeit, seine Thesen zu stützen: als ob er genau diese Methode nicht schon angewandt hätte, mit Ergebnissen, die seiner Theorie widersprachen.
Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Graney weist in seinem Artikel mehrfach darauf hin, dass Galileis Überzeugung von der Richtigkeit des kopernikanischen Weltbilds hauptsächlich auf dessen mathematischer Eleganz beruhte. Auch die tatsächlichen Tiden passten nicht zu den Vorhersagen aufgrund Galileis Modells. Aber weder die Mizar-Parallaxe noch die Tiden stimmten Galilei um: was mathematisch elegant war, musste einfach wahr sein, und empirische Belege würden sich schon noch finden.
Galilei war ein scharfer Beobachter des Firmaments, und die Zeit gab ihm und seinen Theorien recht. Als beispielhafter Wissenschaftler taugt er hingegen nicht.
Aber Parallelen zum Umgang von Klimawissenschaftlern mit Daten bieten sich an.
© Gorgasal. Quelle: NZZ. Für Kommentare bitte hier klicken.