Vor einer Woche habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß die sexuellen Übergriffe an Internaten, die jetzt ans Licht kommen, keine Einzelfälle sind. Solche Institutionen ziehen nun einmal Pädophile an. Es gibt eine Grauzone zwischen der liebevollen Zuwendung zu einem Kind oder Jugendlichen in allein pädagogischer Absicht und kriminellen Übergriffen bis hin zur Vergewaltigung.
Und es gibt, was besonders schlimm ist, den Versuch, solche Übergriffe zu verharmlosen, ihren kriminellen Charakter zu leugnen, sie gar zu rechtfertigen; so, wie es schon vor neunzig Jahren der Reformpädagoge Gustav Wyneken getan hat, der wegen solcher Delikte ein Jahr im Gefängnis saß.
Beides wird durch zwei Texte illustriert, die am Wochenende erschienen sind. In der FAZ hat Amélie Fried über ihre Erfahrungen als Schülerin der Odenwaldschule geschrieben. "Spiegel-Online" bringt ein (schriftliches) Interview mit Hartmut von Hentig. Wie sein Lebensgefährte, der sexueller Übergriffe beschuldigte ehemalige Leiter der Odenwaldschule Gerold Becker, ist auch er ein Pädagoge, der eine Reformschule geleitet hat, die Bielefelder Laborschule.
Amélie Fried schreibt, wie sie sagt, "zwei Texte". Im ersten schildert sie ihre positiven Erinnerungen an die Odenwaldschule. Der zweite befaßt sich mit den sexuellen Übergriffen. Sie selbst war ihnen nur in vergleichsweise harmloser Form ausgesetzt (ein Lehrer, der die Mädchen beim Duschen beobachtet; die Nötigung zum "Strip-Poker"). Von dem ganzen Ausmaß des Mißbrauchs hat sie erst jetzt erfahren; und sie schreibt,
Weil, schreibt Fried, die Täter geachtete Lehrer waren:
Da habe wir sie, diese Verbrämung, diese Rechtfertigung der Vergehen an Schülern, wie sie schon Wyneken praktiziert hatte.
Hartmut von Hentig hat Markus Verbeet, Redakteur des gedruckten "Spiegel", ein schriftliches Interview gegeben, das am Samstag in "Spiegel-Online" erschien. Zitate daraus, ohne Kommentar:
Und es gibt, was besonders schlimm ist, den Versuch, solche Übergriffe zu verharmlosen, ihren kriminellen Charakter zu leugnen, sie gar zu rechtfertigen; so, wie es schon vor neunzig Jahren der Reformpädagoge Gustav Wyneken getan hat, der wegen solcher Delikte ein Jahr im Gefängnis saß.
Beides wird durch zwei Texte illustriert, die am Wochenende erschienen sind. In der FAZ hat Amélie Fried über ihre Erfahrungen als Schülerin der Odenwaldschule geschrieben. "Spiegel-Online" bringt ein (schriftliches) Interview mit Hartmut von Hentig. Wie sein Lebensgefährte, der sexueller Übergriffe beschuldigte ehemalige Leiter der Odenwaldschule Gerold Becker, ist auch er ein Pädagoge, der eine Reformschule geleitet hat, die Bielefelder Laborschule.
Amélie Fried schreibt, wie sie sagt, "zwei Texte". Im ersten schildert sie ihre positiven Erinnerungen an die Odenwaldschule. Der zweite befaßt sich mit den sexuellen Übergriffen. Sie selbst war ihnen nur in vergleichsweise harmloser Form ausgesetzt (ein Lehrer, der die Mädchen beim Duschen beobachtet; die Nötigung zum "Strip-Poker"). Von dem ganzen Ausmaß des Mißbrauchs hat sie erst jetzt erfahren; und sie schreibt,
... wie erschüttert ich über das Ausmaß des Missbrauches bin, der mir in der vergangenen Woche allmählich zu Bewusstsein kam. Durch Briefe von betroffenen Mitschülern, durch Gespräche, die ich führte. Es ist ein Skandal, der nun endlich - wohlgemerkt in einem zweiten, verzweifelten Anlauf - durch mutige Betroffene ans Licht gebracht wurde.Warum erst jetzt? Warum hat sich damals keines der Opfer sich jemandem anvertraut?
Weil, schreibt Fried, die Täter geachtete Lehrer waren:
Als Kind oder sehr junger Jugendlicher will man nicht glauben, dass ein Lehrer, der ja ein Vorbild ist und ansonsten auch ein netter Kerl, etwas Unrechtes tut. Lieber gibt man sich selbst die Schuld. So kam auch ich bald zur Überzeugung, gemeinsames Duschen und Strip-Poker seien normal und gehörten eben dazu, und dass ich es unangenehm fand, sei eben mein Problem, das Problem einer verklemmten schwäbischen Spießerin.Den Opfern der massiveren Übergriffe, vorwiegend Jungen, wurde suggeriert, daß die sexuelle Beziehung zu einem Lehrer eine "Auszeichnung" sei, auf die sie "stolz sein könnten". Und es wurde "gern das Ideal der griechischen Knabenliebe bemüht, womit dem kriminellen Treiben gewissermaßen die höheren Weihen verliehen wurden".
Da habe wir sie, diese Verbrämung, diese Rechtfertigung der Vergehen an Schülern, wie sie schon Wyneken praktiziert hatte.
Hartmut von Hentig hat Markus Verbeet, Redakteur des gedruckten "Spiegel", ein schriftliches Interview gegeben, das am Samstag in "Spiegel-Online" erschien. Zitate daraus, ohne Kommentar:
SPIEGEL: Der ehemalige Schulleiter Gerold Becker, der schwer beschuldigt wird, ist Ihr Lebensgefährte. Sie wollen in all den Jahrzehnten, in denen Sie zusammen sind, nie etwas von dessen Übergriffen gemerkt haben. Wie ist das möglich?
Hentig: Gerold Becker ist mein Freund und seit 1994 mein Nachbar im selben Haus. In der Zeit, in der er erst "Kronprinz", dann Leiter der Odenwaldschule war (1969 bis 1985), habe ich ihn vermutlich einmal jährlich besucht ... (...) Im Zusammenleben mit Schülerinnen und Schülern habe ich Gerold Becker eigentlich nur bei gemeinsamen Mahlzeiten im Speisesaal oder beim Überqueren des Schulgeländes erlebt, wenn sie auf ihn zusprangen und er freundlich abwehrte: Du siehst, ich habe einen Gast. Komm doch dann und dann wieder. (...)
SPIEGEL: Machen Sie sich Vorwürfe, dass Sie etwas hätten bemerken müssen?
Hentig: Nein. Die könnte ich mir doch nur machen, wenn es einen Anlass dazu gegeben hätte - eine Verdacht erregende Wahrnehmung, ein Misstrauen, ein mir zugetragenes Gerücht. Ich habe ja dauernd und genau hingesehen: voll Neid, wie gut diesem Mann gelang, auf Kinder einzugehen, ihnen etwas zu erklären, sie durch Ablenkung oder geduldiges Zureden von einem Unfug abzuhalten.
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