21. März 2010

Pax Obama? Im Nahen Osten ist eine Friedensregelung derzeit unmöglich. Was also will der US-Präsident? Über den Mantel der Geschichte

Wer sich aus dem deutschen Fernsehen oder aus den großen deutschen Printmedien über den Nahost-Konflikt auf dem Laufenden hält, der kann leicht zu ungefähr dieser Einschätzung kommen: Unter dem Druck der USA wäre eine Friedensregelung in naher Zukunft möglich. Aber Israel sperrt sich halstarrig dagegen, indem es zum Beispiel weiter Siedlungen in Ostjerusalem baut.

Also müssen die Israelis durch noch mehr Druck seitens der USA zur Vernunft gebracht werden. Wie es der Hörfunk-Korrespondent der ARD in Tel Aviv, Sebastian Engelbrecht, formuliert:
Der US-Präsident und seine Regierung sind nicht gewillt, sich weiter in aller Öffentlichkeit von Israel vorführen zu lassen. (...) Netanjahu weiß, dass er seinen wichtigsten Verbündeten nicht weiter zum Narren halten kann. Und er weiß, dass der beharrliche Obama und das Nahost-Quartett ihm keine weiteren faulen Kompromisse mehr erlauben werden.
Eine solche Beurteilung, die Israel die Hauptschuld dafür zuschreibt, daß es mit einem Frieden im Nahen Osten nicht vorangeht, widerspricht den Fakten und übersieht die Komplexität einer Situation, an der allein in der Region sechs Parteien beteiligt sind (von dem Nahost-Quartett - EU, UNO, Rußland und USA - sowie China und der Türkei im Hintergrund ganz abgesehen):
  • Israel, dessen Interesse ein stabiler Friede mit anerkannten Grenzen ist und das bereit ist, dafür der Gründung eines Palästinenserstaats zuzustimmen.

  • Die gemäßigten Palästinenser um Präsident Mahmud Abbas, die im Prinzip dasselbe anstreben; aber mit radikal anderen Vorstellungen in Bezug auf Jerusalem, jüdische Siedlungen und andere Einzelheiten eines solchen Friedens.

  • Die arabischen Staaten des Nahen Ostens, die - wie Ägypten und Jordanien - bereits mit Israel faktisch Frieden geschlossen haben.

  • Die Hamas und die Hisbollah, die einen solchen Frieden nicht wollen, sondern deren Ziel die Beseitigung des Staats Israel ist.

  • Der Iran, der ausdrücklich dasselbe Ziel verfolgt, der diese beiden Gruppen alimentiert und trainiert und der auf dem Weg zur Atommacht ist.

  • Syrien, das eine klassische Schaukelpolitik betreibt und mal Friedensbereitschaft signalisiert, mal - wie gerade eben wieder, als man Ahmadinedschad nach Damaskus einlud - die iranische Karte spielt.
  • Wären nur die ersten drei dieser Kräfte im Spiel, dann wäre ein Frieden vielleicht möglich; als Ergebnis eines langen und schwierigen Prozesses, in Form einer Wiederaufnahme des Prozesses von Oslo. Solange es aber zwei politisch-militärische Organisationen gibt, die rund um Israel aktiv sind und die jeden Friedensschluß ablehnen, und solange diese Gruppen im Iran und in Syrien mächtige Unterstützer haben, wird es keinen Frieden geben können.

    George Friedman, der Gründer und Leiter des Informationsdienstes Stratfor, hat das im Mai 2009 auf die knappe Formel gebracht: "Der Friedensprozeß ist eine Chimäre". Ich habe damals seine Analyse referiert (George Friedmans Analyse zu Netanyahus Besuch in Washington; ZR vom 19. 5. 2009). Ihr Kern ist, daß
  • es gar keinen palästinensischen Verhandlungspartner gibt, sondern nur die beiden einander feindselig gegenüberstehenden Gebiete Westbank und Gaza,

  • die Hisbollah und die Hamas, mit dem Iran im Rücken, durch keinen Friedensvertrag zu bändigen wären;

  • weder die israelische Regierung noch Mahmud Abbas gegenwärtig stark genug sind, die mit einer Friedensregelung verbundenen Konzessionen innenpolitisch durchzusetzen.
  • Wenn das so ist - warum erweckt dann Präsident Obama den Eindruck, daß ein baldiger Frieden möglich sei? Dazu sind in den letzten Tagen zwei Kommentare erschienen; nämlich ein (nicht namentlich gezeichneter) Leitartikel in der "Welt" und die wöchentliche Kolumne von Charles Krauthammer in der Washington Post.



    Die "Welt" sieht Obamas schwankende, unproduktive Politik als schlicht "naiv" und "fahrlässig"; Obama sei erfolglos und wolle das nun Israel in die Schuhe schieben:
    Man möchte nur zu gerne Israel verantwortlich machen für die mangelnden Resultate der obamaschen Nahost-Politik. Dabei sind viele Misserfolge das Ergebnis einer gefährlich naiven Politik Washingtons. (...)

    Aus der Annäherung der arabischen Staaten wurde gar nichts, sie haben nur ein altes Angebot erneuert. (...) Weder beim Iran noch bei Syrien sind die Amerikaner ... vorangekommen. Die Position der Mullahs im Atomstreit hat sich verhärtet. Und auch die Entsendung eines US-Botschafters als Zeichen der Einbindungspolitik gegenüber Syrien wurde nicht honoriert. (...)

    Das alles sind mehr als Anfängerfehler. Es hat sich gezeigt, dass die Grundannahmen obamascher Nahost-Politik nicht funktionieren.
    Aber ist das alles wirklich nur die Unfähigkeit eines Präsidenten, der unter dem Motto "Yes, we can change the world" meint, mit Rhetorik die Weltprobleme lösen zu können? Charles Krauthammer befaßt sich mit dieser Frage.

    Zunächst weist er darauf hin, daß Obama die jetzige Krise erst geschaffen hat.

    Während des Besuchs von Joe Biden in Israel hatte ein Beamter des Innenministeriums ohne Wissen von Netanyahu die vierte von sieben Stufen eines Bebauungsplans für Ostjerusalem genehmigt (das ausdrücklich von dem Siedlungsstop nicht betroffen ist, den Jerusalem als Vorleistung für Friedensgespräche verkündet hat). Der Bau kann frühestens in zwei Jahren beginnen.

    Das war eine Panne, eine Ungeschicklichkeit, für die sich Netanyahu bei Biden entschuldigt hat. Als Biden am 11. März abreiste, schien die Sache bereinigt.

    Am Tag danach fand nach Krauthammers Informationen eine Unterredung des Präsidenten mit seiner Außenministerin Clinton statt. Wenig später hatte diese ein 45minütiges Telefongespräch mit Netanyahu, dessen Inhalt anschließend vom Pressesprecher des Außenministeriums, P.J. Crowley, in aller Breite der Presse mitgeteilt wurde. Er gipfelte in Clintons Behauptung, daß Jerusalems Vorgehen "had undermined trust and confidence in the peace process", die Zuversicht und das Vertrauen auf den Friedensprozeß untergraben hätte.

    Es war also Präsident Obama, der aus einer bereits beigelegten diplomatischen Verstimmung nachträglich eine Affäre machen ließ. Warum?

    Krauthammer nennt drei Möglichkeiten. Gehört dieses Verhalten einfach zu der generellen Neigung Obamas, die Feinde der USA zu besänftigen und ihre Freunde zu brüskieren? Ist es sein eigentliches Ziel, die jetzige Mitte-Rechts-Regierung Israels zu Fall zu bringen? Oder steckt mehr dahinter?

    Dieses Mehr, dem Krauthammer offenkundig zuneigt, möchte ich im Wortlaut zitieren:
    Or is it because Obama fancies himself the historic redeemer whose irresistible charisma will heal the breach between Christianity and Islam or, if you will, between the post-imperial West and the Muslim world -- and has little patience for this pesky Jewish state that brazenly insists on its right to exist ...?

    Oder liegt es daran, daß Obama sich als den geschichtlichen Erlöser sieht, dessen unwiderstehliches Charisma den Bruch zwischen der Christenheit oder, wenn man so will, zwischen dem postimperialen Westen und der moslemischen Welt heilen wird - und der deshalb wenig Geduld mit diesem störenden jüdischen Staat hat, der hartnäckig auf seinem Existenzrecht beharrt ...?



    Ich fürchte, das ist es.

    Barack Obama ist der Sohn eines Vaters, der in einer moslemischen Gemeinschaft aufgewachsen war, auch wenn er nach Obamas Aussage nicht fromm war. Da auch Barack Obamas Stiefvater Moslem war, wurde er selbst während seiner Kindheit in Indonesien in der Schule als Moslem geführt; auch er allerdings war nach der Erinnerung von Zeugen kein frommes Kind.

    Daß jemand mit einem solchen biographischen Hintergrund, der zugleich von einem tiefen Sendungsbewußtsein durchdrungen ist, es als seinen schicksalhaften Auftrag ansieht, die Kluft zwischen der westlichen Welt und der Welt der Moslems zu überbrücken, ist naheliegend.

    Nimmt man an, daß es so ist, dann wird vieles an der Politik Obamas verständlich. Nicht nur seine jetzige Parteinahme gegen Israel, nicht nur seine Kairoer Rede; sondern auch seine "ausgestreckte Hand" selbst gegenüber den Herrschern des Iran. Dann werden die Signale verständlich, die er (siehe Barack Obama und die Moslems; ZR vom 28. 1. 2009) vom Tag seines Amtsantritts an in die moslemische Welt ausgesandt hat.

    Wenn dies Obamas Grand Design für seine Rolle in der Geschichte ist, dann ist Israel für ihn in der Tat ein störendes Element.

    Gewiß wird er auch weiter der Solidarität mit Israel Lippendienst leisten; schließlich hat eine überwältigende Mehrheit der jüdischen Wähler ihm und nicht dem Senator McCain ihre Stimme gegeben. Aber wenn jemand sich als amerikanischer Präsident vom Mantel der Geschichte umhüllt weiß, dann denkt er in anderen Dimensionen als seine Vorgänger, denen die Wahrung der Sicherheit Israels ein vorrangiges Anliegen gewesen war.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: MathKnight. Frei unter GNU Free Documentation License, Version 1.2 oder später. Bearbeitet.