Bitte stellen Sie sich einen Augenblick dies vor:
Sie kommen von einer Reise nach Deutschland zurück. Am Flughafen werden Sie von Polizisten angesprochen. Man eröffnet Ihnen, daß ein Haftbefehl gegen Sie vorliegt. Unverzüglich werden Sie in Gewahrsam genommen und in ein Gefängnis verbracht. Sie erfahren, daß Sie eines Verbrechens beschuldigt werden, auf das bis zu zehn Jahre Freiheitsentzug stehen.
Genug des Albtraums? Nein, jetzt geht er erst richtig los. Man steckt Sie in eine Zelle von 13 Quadratmetern, in der sich bereits ein anderer Mensch befindet, mit dem sie fortan Tag und Nacht zusammenleben müssen. 13 Quadratmeter, das ist weniger als die gesetzlich vorgeschriebene Zwingerfläche für zwei große Hunde.
Sie teilen nicht nur alle Lebensäußerungen mit diesem Mitbewohner, sondern benutzen auch dieselbe Toilette. Mit "Toilette" ist nicht eine abgegrenzte Naßzelle gemeint, sondern ein Abort, der sich innerhalb der Zelle befindet. Eine Dusche steht Ihnen nicht zur Verfügung; immerhin dürfen Sie sich mit Ihrem ungebetenen Mitbewohner ein Waschbecken teilen.
Als Mittagessen serviert man Ihnen beispielsweise "Fleischkäse mit Wirsing". Einmal täglich erlaubt man Ihnen eine Stunde Hofspaziergang. Einmal pro Woche dürfen Sie Tischtennis spielen oder einen Kraftraum benutzen.
Diese Einzelheiten kann man einem Artikel entnehmen, der gestern in "Welt-Online" erschien. Überschrift: "Kachelmann wartet bei Fleischkäse auf den Richter". Haha, es darf gelacht werden.
Kachelmann ist offenbar nicht nach Lachen zumute. Aus dem Artikel:
Da er nun ein Häftling ist, wenn auch mit dem Zusatz "U", darf man als Journalist Kachelmann offenbar mit Häme überziehen. "Schiffen"; haha. Freilich ist das Schweizerdeutsch für kräftiges Regnen. Im Deutschen bedeutet es bekanntlich Urinieren. Was hat diese Bemerkung in einem Bericht über die Haftbedingungen zu suchen?
Aber warum nicht einen kleinen Witz auf Kosten eines Mannes machen, der ja nur ein Häftling ist. Und außerdem nur Ausländer. Schweizer gehören, wir haben das schon des öfteren erlebt, nicht zu denjenigen Ausländern, die durch das Gutmenschentum geschützt sind.
Verstehen Sie diese Schilderung bitte nicht als larmoyant. Ich will Sie keineswegs zu Mitleid mit Jörg Kachelmann veranlassen. Ich wollte nur auf einer konkreten Ebene verdeutlichen, wie es in Deutschland jemandem ergeht, der einer Tat als "dringend verdächtig" gilt.
Verdächtig, nicht mehr. Verdächtig zu sein ist nicht eine Eigenschaft, die jemand an sich trägt, sondern es ist etwas, das andere in Bezug auf ihn vermuten. Hier also eine Staatsanwaltschaft, welche die U-Haft beantragt und ein Untersuchungsrichter, der den Haftbefehl ausgefertigt hat.
Mißverstehen Sie mich bitte auch nicht dahingehend, daß ich etwa Partei für Kachelmann ergreifen wollte; daß ich ihn gar für unschuldig hielte. Ich weiß so wenig wie Sie und wie die Staatsanwaltschaft, ob er schuldig ist oder das Opfer einer haltlosen Anschuldigung. Ich empfinde auch keine besondere Sympathie für diesen Mann, so wenig wie Antipathie.
Mir geht es um das Verhängen der U-Haft als staatliche Maßnahme. Einen Menschen seiner Freiheit zu berauben gehört zum Schlimmsten, was ein Staat ihm antun kann. Was berechtigt den Staat, diesen Eingriff durch unwürdige Haftumstände weiter zu verschlimmern?
Wir haben uns angewöhnt, jeden noch so kleinen Eingriff des Staats in das Leben des Einzelnen mit Mißtrauen zu betrachten; und sei es auch nur die Speicherung von Verbindungsdaten im staatlichen Auftrag. Derlei führt - sehr zu Recht - zu heftigen öffentlichen Debatten. Wo ist die öffentliche Debatte darüber, ob es richtig und angemessen ist, einen Menschen so zu behandeln wie jetzt Jörg Kachelmann, nur weil er einer Straftat beschuldigt wird?
Juristen führen diese Debatte durchaus. Beispielsweise beschäftigte sich damit im September 2005 eine Tagung der Vereinigung Berliner Strafverteidiger. In der Einladung dazu hieß es:
Was uns in Freiheit selbstverständlich ist - daß wir nicht mit einem fremden Menschen zusammengesperrt werden, daß wir uns unser Essen selbst aussuchen, daß wir telefonieren können -, diese Selbstverständlichkeiten des Alltags sind für den Bürger, der in U-Haft genommen wird, plötzlich alles andere als trivial.
Ich weiß nicht, wie intensiv die Diskussion über die U-Haft gegenwärtig unter Juristen geführt wird und welche Alternativen man diskutiert. Als einem juristischem Laien stellt sich mir der Sachverhalt so dar:
Es wurde in letzter Zeit viel darüber diskutiert, was zu einem Leben gehört, das dem im GG niedergelegten Prinzip der unantastbaren Würde des Menschen entspricht. Es ging dort um Empfänger von Sozialhilfe.
Wieso eigentlich wird die Würde eines Menschen, der einer Straftat beschuldigt wird, augenscheinlich mit anderen Maßstäben gemessen als die Würde eines Menschen, der arbeitslos ist? Auch der in U-Haft Sitzende ist ein unbescholtener Bürger, der solange als unschuldig zu gelten hat, wie er nicht rechtskräftig verurteilt wurde.
Oder umgekehrt gefragt: Wenn es der deutsche Staat offenbar für menschenwürdig hält, daß jemand, gegen den keine Strafe verhängt wurde, so leben muß wie Kachelmann jetzt - warum sollte er, dieser selbe Staat, dann eigentlich nicht die Sozialhilfe so kürzen dürfen, daß deren Empfänger, was Wohnen, Essen und Freizeit angeht, so leben können wie jetzt Kachelmann?
Sie kommen von einer Reise nach Deutschland zurück. Am Flughafen werden Sie von Polizisten angesprochen. Man eröffnet Ihnen, daß ein Haftbefehl gegen Sie vorliegt. Unverzüglich werden Sie in Gewahrsam genommen und in ein Gefängnis verbracht. Sie erfahren, daß Sie eines Verbrechens beschuldigt werden, auf das bis zu zehn Jahre Freiheitsentzug stehen.
Genug des Albtraums? Nein, jetzt geht er erst richtig los. Man steckt Sie in eine Zelle von 13 Quadratmetern, in der sich bereits ein anderer Mensch befindet, mit dem sie fortan Tag und Nacht zusammenleben müssen. 13 Quadratmeter, das ist weniger als die gesetzlich vorgeschriebene Zwingerfläche für zwei große Hunde.
Sie teilen nicht nur alle Lebensäußerungen mit diesem Mitbewohner, sondern benutzen auch dieselbe Toilette. Mit "Toilette" ist nicht eine abgegrenzte Naßzelle gemeint, sondern ein Abort, der sich innerhalb der Zelle befindet. Eine Dusche steht Ihnen nicht zur Verfügung; immerhin dürfen Sie sich mit Ihrem ungebetenen Mitbewohner ein Waschbecken teilen.
Als Mittagessen serviert man Ihnen beispielsweise "Fleischkäse mit Wirsing". Einmal täglich erlaubt man Ihnen eine Stunde Hofspaziergang. Einmal pro Woche dürfen Sie Tischtennis spielen oder einen Kraftraum benutzen.
Diese Einzelheiten kann man einem Artikel entnehmen, der gestern in "Welt-Online" erschien. Überschrift: "Kachelmann wartet bei Fleischkäse auf den Richter". Haha, es darf gelacht werden.
Kachelmann ist offenbar nicht nach Lachen zumute. Aus dem Artikel:
Aus Sorge darüber, wie der Fernsehmann mit der überraschenden Inhaftierung wohl fertig wird, hatte JVA-Chef Romeo Schüssler seinen derzeit wohl bekanntesten Kunden in der Zelle besucht. Der Moderator, der schon mal vor der Kamera meckert, dass es seit Tagen "schifft", habe einen "sehr niedergeschlagenen Eindruck" gemacht, sagte Schüssler der "Bild"-Zeitung. "Da er so geschockt wirkte, ließ ich ihn durch einen Psychologen untersuchen, doch er ist nicht suizidgefährdet."Wie schön. Aber Kachelmann lebt ja auch erst seit vergangenem Montag unter solchen Umständen (siehe Verhaftung des Schweizers Jörg Kachelmann; ZR vom 22. 3. 2010).
Da er nun ein Häftling ist, wenn auch mit dem Zusatz "U", darf man als Journalist Kachelmann offenbar mit Häme überziehen. "Schiffen"; haha. Freilich ist das Schweizerdeutsch für kräftiges Regnen. Im Deutschen bedeutet es bekanntlich Urinieren. Was hat diese Bemerkung in einem Bericht über die Haftbedingungen zu suchen?
Aber warum nicht einen kleinen Witz auf Kosten eines Mannes machen, der ja nur ein Häftling ist. Und außerdem nur Ausländer. Schweizer gehören, wir haben das schon des öfteren erlebt, nicht zu denjenigen Ausländern, die durch das Gutmenschentum geschützt sind.
Verstehen Sie diese Schilderung bitte nicht als larmoyant. Ich will Sie keineswegs zu Mitleid mit Jörg Kachelmann veranlassen. Ich wollte nur auf einer konkreten Ebene verdeutlichen, wie es in Deutschland jemandem ergeht, der einer Tat als "dringend verdächtig" gilt.
Verdächtig, nicht mehr. Verdächtig zu sein ist nicht eine Eigenschaft, die jemand an sich trägt, sondern es ist etwas, das andere in Bezug auf ihn vermuten. Hier also eine Staatsanwaltschaft, welche die U-Haft beantragt und ein Untersuchungsrichter, der den Haftbefehl ausgefertigt hat.
Mißverstehen Sie mich bitte auch nicht dahingehend, daß ich etwa Partei für Kachelmann ergreifen wollte; daß ich ihn gar für unschuldig hielte. Ich weiß so wenig wie Sie und wie die Staatsanwaltschaft, ob er schuldig ist oder das Opfer einer haltlosen Anschuldigung. Ich empfinde auch keine besondere Sympathie für diesen Mann, so wenig wie Antipathie.
Mir geht es um das Verhängen der U-Haft als staatliche Maßnahme. Einen Menschen seiner Freiheit zu berauben gehört zum Schlimmsten, was ein Staat ihm antun kann. Was berechtigt den Staat, diesen Eingriff durch unwürdige Haftumstände weiter zu verschlimmern?
Wir haben uns angewöhnt, jeden noch so kleinen Eingriff des Staats in das Leben des Einzelnen mit Mißtrauen zu betrachten; und sei es auch nur die Speicherung von Verbindungsdaten im staatlichen Auftrag. Derlei führt - sehr zu Recht - zu heftigen öffentlichen Debatten. Wo ist die öffentliche Debatte darüber, ob es richtig und angemessen ist, einen Menschen so zu behandeln wie jetzt Jörg Kachelmann, nur weil er einer Straftat beschuldigt wird?
Juristen führen diese Debatte durchaus. Beispielsweise beschäftigte sich damit im September 2005 eine Tagung der Vereinigung Berliner Strafverteidiger. In der Einladung dazu hieß es:
Das Thema "Untersuchungshaft" ist für Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger nach wie vor von brennender Aktualität. Noch immer besteht der Eindruck, dass in Deutschland zu oft und zu schnell verhaftet wird und dass Haftbefehle viel zu lange vollstreckt bzw. aufrechterhalten werden. (...)In der Tat: Was für den Inhaftierten von eminenter Bedeutung ist.
Die Arbeitsgruppe II widmet sich einem leider häufig vernachlässigten Thema: Der Rechtsstellung des bzw. der Inhaftierten im Vollzug der Untersuchungshaft. Es wird um Besuchsregelungen, um die Möglichkeit zu telefonieren, um die Unterbringung in Einzel- oder Doppelzellen, den Zugang des Verteidigers zum Inhaftierten und anderes gehen, was für den Alltag Inhaftierter von eminenter Bedeutung ist.
Was uns in Freiheit selbstverständlich ist - daß wir nicht mit einem fremden Menschen zusammengesperrt werden, daß wir uns unser Essen selbst aussuchen, daß wir telefonieren können -, diese Selbstverständlichkeiten des Alltags sind für den Bürger, der in U-Haft genommen wird, plötzlich alles andere als trivial.
Ich weiß nicht, wie intensiv die Diskussion über die U-Haft gegenwärtig unter Juristen geführt wird und welche Alternativen man diskutiert. Als einem juristischem Laien stellt sich mir der Sachverhalt so dar:
Ja, entwürdigen.U-Haft wird angeordnet, damit jemand sich nicht der Strafverfolgung durch Flucht entziehen und/oder damit er nicht eventuelle Tatumstände vertuschen ("verdunkeln") kann. Punkt. Die Absicht einer Bestrafung - das Zufügen eines empfindlichen Übels, wie es die Juristen wohl sagen - ist mit der Anordnung von U-Haft nicht verbunden. Also ist der inhaftierte Bürger so zu behandeln, daß er unter der Inhaftierung so wenig wie möglich leidet. Warum kann man nicht in größeren Gefängnissen Trakte einrichten, die mit dem Komfort eines einfachen Hotels ausgestattet sind?
Würde es denn dem Zweck, Flucht oder Verdunklung zu verhindern, abträglich sein, wenn die Sistierten in Einzelzimmern untergebracht würden, in denen es außer Bett und Schrank einen kleinen Schreibtisch gibt, einen Sessel zum Beispiel zum Lesen, TV und (falls keine Verdunklungsgefahr besteht) Internetzugang? Und wenn dieses Zimmer über eine Naßzelle mit Dusche und WC verfügte? Warum sollte sich der Inhaftierte nicht auf eigene Kosten das Essen seiner Wahl kommen lassen können, Tischwein inklusive?Muß aber überhaupt inhaftiert werden? Der Gefahr einer Flucht läßt sich auch durch das Erheben einer hineichend hohen Kaution begegnen, wie das in den USA weithin üblich ist; durch Hausarrest, wie man das in der Schweiz bei Roman Polanski gemacht hat; oder auch durch die elektronische Fußfessel. Jede dieser Maßnahmen würde den Betroffenen ungleich weniger entwürdigen als die Inhaftierung.
Es wurde in letzter Zeit viel darüber diskutiert, was zu einem Leben gehört, das dem im GG niedergelegten Prinzip der unantastbaren Würde des Menschen entspricht. Es ging dort um Empfänger von Sozialhilfe.
Wieso eigentlich wird die Würde eines Menschen, der einer Straftat beschuldigt wird, augenscheinlich mit anderen Maßstäben gemessen als die Würde eines Menschen, der arbeitslos ist? Auch der in U-Haft Sitzende ist ein unbescholtener Bürger, der solange als unschuldig zu gelten hat, wie er nicht rechtskräftig verurteilt wurde.
Oder umgekehrt gefragt: Wenn es der deutsche Staat offenbar für menschenwürdig hält, daß jemand, gegen den keine Strafe verhängt wurde, so leben muß wie Kachelmann jetzt - warum sollte er, dieser selbe Staat, dann eigentlich nicht die Sozialhilfe so kürzen dürfen, daß deren Empfänger, was Wohnen, Essen und Freizeit angeht, so leben können wie jetzt Kachelmann?
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